Repost vom 14. September 2020.
Es scheint, als würde der Mangaka Sukegawa Sukezo gar nicht erfolgreich sein wollen: Nachdem er mit einer ersten Mangaserie erfolgreich war, bietet er seinem Verleger keine neuen Projekte an, sondern wartet darauf, dass der mit einer Idee auf ihn zukommt. Und anstatt in sein Atelier zu gehen, um zu arbeiten, mietet sich Sukezo lieber ein leeres Apartment, in dem er tagsüber an die Decke starrt, um abends zu seiner Frau zurückzukehren.
Sukezo will nicht erfolgreich sein, er möchte keinen Zweck erfüllen, eigentlich soll nichts in seinem Leben einen Zweck haben. Das wird spätestens dann klar, als seine Frau das Apartment entdeckt und ihm nicht etwa eine Standpauke hält, sondern es gemütlich einrichtet. Das Refugium ist damit zweckmäßig als Rückzugsort eingerichtet – und verliert für Sukezo sofort jeden Reiz.
Als Yoshiharu Tsuge zu Beginn der Siebzigerjahre seine Geschichten über einen erfolglosen Mangaka zeichnete, begründete er damit das neue Genre der Shishosetsu. Bis dahin hatte es vor allem Manga für Kinder und Abenteuergeschichten gegeben. Nun erzählt ein Manga-Künstler in allen Facetten von seinen Seelenqualen. Und die werden größer, je älter der Mangaka wird.
Mit der Geburt ihres Sohnes hat seine Frau immer weniger Verständnis dafür, dass ihr Mann erfolglos in den Tag hineinlebt und wird ungehalten. Der denkt sich in der Folge immer neue Geschäftsideen aus, die zum Scheitern verurteilt sind. Die absurdeste: Menschen über den Fluss tragen, weil es keine Brücke gibt. Tatsächlich will der Mangaka in dieser japanischen Leistungsgesellschaft nicht mitmachen, sondern am liebsten einfach nur verschwinden.
Und das zeigt Yoshiharu Tsuge auch in seinen Zeichnungen, indem sich die Konturen seines Mangaka auflösen. Yoshoharo Tsuge zeichnet in Schwarzweiß, wie das für Manga üblich ist, die regelmäßig in Manga-Magazinen erscheinen. Die Hintergründe, vor allem die Zeichnungen von Landschaften, sind aufwendig schraffiert.
Die Protagonisten dagegen sind mit scharfen Linien umrissen. Und diese scharfen Linien löst Tsuge immer wieder auf, sodass sich sein Mangaka in der Landschaft verliert. Etwa, wenn der Mangaka fremdgehen will. Oder wenn er sich umbringen will. Oder wenn einfach mal wieder eine seiner wahnwitzigen Geschäftsideen schiefgegangen ist. Dieses Auflösen bleibt allerdings ein Wunschtraum. Denn am Ende kommt der Sohn des Mangaka und holt ihn wieder in die Familie, in die Verantwortung zurück.
Eine ganz eigene Wucht
„Der nutzlose Mann“ ist in japanischer Leserichtung geschrieben. Das heißt, er wird von rechts nach links gelesen. Wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, ist der Manga ein großes Lesevergnügen, weil Yoshiharu Tsuge aus dem Stoff eine bitterböse Satire macht. Denn dieses „Nicht-mitmachen-wollen“ zeichnet Tsuge nicht nur als Nabelschau eines unglücklichen Mangaka, der den Anforderungen der Welt nicht gewachsen ist und sich trotzig dagegen wendet. Er dekliniert dieses Thema auch in seinen Abgründen durch.
Der Mangaka wendet sich zum Beispiel von allem ab, was gerade en vogue ist und widmet sich lieber der Pflege der Tradition: Er sammelt Natursteine, repariert alte Kameras oder widmet sich dem Haiku. Das sind wunderschöne Tätigkeiten, in die man versinken kann – und das zeigt Tsuge auch.
Zugleich zeigt er, in was für ein Milieu man geraten kann, wenn man sich mit Menschen umgibt, die die Traditionspflege zum Zentrum ihres Lebens machen. Die Traditionspflege wird als das einzig Wahre überhöht – und die japanische Kultur gleich mit. Dazu gesellen sich überkommene Vorstellungen, etwa dass eine Frau ihrem Mann gehorchen müsse. An solchen Stellen wird „Der nutzlose Mann“ zur Gesellschaftsanalyse – und entwickelt eine ganz eigene Wucht.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 03.09.2020 auf: kulturradio rbb
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.