„Wenn die Buchhändler*innen sich mehr trauen würden, wären wir schon weiter“

Am 11. Mai findet der Gratis Kids Comic Tag statt. Zu den teilnehmden Verlagen gehört auch die Edition Helden, ein neuer, kleiner Verlag aus Bayern. Dahinter steckt die ehemalige Buchhändlerin Martina Streble, die ausschließlich Comics in Hinblick auf Leseförderung/Lesemotivation verlegt. Ein Gespräch über die Lage der Kindercomics im Buchhandel.

Liebe Frau Streble, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für unser Gespräch nehmen. Sie nehmen am Gratis Kids Comic Tag als Verlegerin des Kindercomic-Verlags Edition Helden teil. Mögen Sie uns eingangs kurz ein wenig über sich selbst und ihren Werdegang verraten? Wie kamen Sie zum Comicverlegen?

Wenn Sie mir diese Frage vor 10 Jahren gestellt hätten, ich hätte laut gelacht. Denn obwohl ich vor einigen Jahren über Graphic Novels zum Comic-Lesen gekommen bin, hat es erst eine ganz wichtige Erfahrung gebraucht: Meine Kinder wollten nicht selbst Bücher lesen. Erst als ich ihnen Comics gegeben habe, ging es wie von allein. Das hat mich dazu gebracht, auf die Suche zu gehen. Weil ich einfach nicht genug in ausreichend großer Schrift für Erstleser gefunden habe, kam ich auf die Idee, die Lücke zu schließen. Als Buchhändlerin und dann Verlagsmitarbeitern hatte ich natürlich etwas Vorwissen in Buchproduktion.

Sie haben lange als Buchhändlerin gearbeitet. Wie haben Sie die Entwicklung auf dem Kindercomicmarkt der letzten Jahre aus Buchhandelssicht wahrgenommen? Was haben die Verlage richtig gemacht, wo hätten Sie aus Handelsperspektive andere Entscheidungen getroffen? Wie hat sich das Kaufinteresse/das Kundenverhalten in Sachen Kindercomic über die Jahre gewandelt?

Das ist eine Frage, die ich nicht mehr aus Handelssicht beantworten kann. Denn als Verlegerin bin ich fast ein wenig sauer, dass viele Händler*innen so langsam aufspringen. Andere aber sehr begeistert Comics anbieten! Richtig ist auf jeden Fall, vermehrt Hardcoverausgaben anzubieten und eng mit der Presse und Leseförderern zusammenzuarbeiten. Es gibt viel mehr Interesse durch Kinder und Eltern – wenn die Buchhändler*innen sich mehr trauen würden, wären wir schon weiter. Es gibt eben auch das Problem des höheren Preises als bei anderen Kinderbüchern, der unter anderem aus dem größeren Format und dem Illustrationsaufwand resultiert.

Hat sich der Kindercomic im Buchhandel etabliert? Wie schwierig ist es, sich im Handel bei der Flut an Kinder- und Jugendbüchern mit einem relativ jungen Segment wie dem Kindercomic zu behaupten?

Nein, Kindercomics sind noch lange nicht flächendeckend etabliert! Ausnahmen sind jedoch vorhanden, und über jede davon freue ich mich. In einigen Buchhandlungen in Berlin und Hamburg sieht es beispielsweise schon sehr gut aus!

Welche Rolle spielen Lesepädagogik, Schulen und anderen Institutionen für die Kindercomicbranche? Was macht Ihrer Meinung nach die Attraktivität von Kindercomics für Bereiche wie Leseförderung und Wissensvermittlung aus?

Die IGLU-Studie hat gezeigt: Wir können es uns nicht leisten, lesefördernde Möglichkeiten für Kinder verstreichen zu lassen. Manche Kinder lieben Sachbücher, andere Romane, aber ganz viele Comics. Sie sind eben häufig dünner, lustiger, attraktiv bebildert und bieten schnellere Erfolgserlebnisse. Und die sind unheimlich wichtig. Nur mit Spaß üben Kinder gerne Lesen, ohne ausreichendes Üben wird man aber auch nicht zum guten Leser.

Könnten Sie uns bisschen über Ihren verlegerischen Ansatz verraten? Auf welche Aspekte achten Sie bei Ihrer Programmauswahl? Wie sollen Eltern und Pädagog*innen Ihre Comics am besten einsetzen?

Meine Idee ist und war es von Anfang an, Titel zu machen, die Kinder schon gleich zu Beginn ihrer Leselaufbahn lesen können, bereits in der ersten Klasse. Wenig Text, große und gut lesbare Schrift sind uns wichtig. Und das unterscheidet uns von den meisten anderen Comicverlagen. Am liebsten sollen die Kinder den Comic selbst wählen und dann – zu Beginn gemeinsam, dann allein – mit Eltern oder beispielsweise Lesepat*innen lesen. Lieber zu Beginn wenig Text und Umfang wählen und damit unbedingt ein Erfolgserlebnis ermöglichen.

Der Comic war über Jahrzehnte ein Jungs- bzw. Männermedium, sowohl was die Macher als auch die Leser anbelangt. Wie sieht es heute in dieser Hinsicht aus, speziell auf dem Feld der Kindercomics? Gibt es hier noch immer ein Defizit an Geschichten für Mädchen?

Nein, Comics für Mädchen verkaufen sich im Bereich der ab 10-jährigen sogar besser. Ich sehe kein Defizit mehr.

Bei dem Thema Leseförderung mittels Comic wird oft auf Comics für Leseeinsteiger*innen/Grundschüler*innen geblickt, aber mit Comics kann man auch ältere Kinder und Jugendliche erreichen und für Sachthemen oder einfach das Lesen an sich begeistern. Worauf sollten Verlage und/oder Händler*innen in Sachen Jugend-/Young-Adult-Comics achten? Was sehen Sie da für Potential?

Ein großes! Comics können in jeder Lebensphase, in der Menschen aus unterschiedlichen Gründen wenig Zeit oder Lust zum ausgiebigen Lesen finden, tolle Leseerfahrungen ermöglichen. Das ist ganz eindeutig in der Zeit ab 10 Jahren der Fall – die Kinder haben jetzt ein Handy oder ein eigenes Schultablet. Das trägt nicht gerade zu mehr Buchzeit pro Tag bei. Und in der Pubertät ändert sich auch noch viel. Comics mit passenden Inhalten halten hier die Leselust wach, das hat spätestens der Erfolg der „Heartstopper“-Reihe gezeigt. Ich würde mir wünschen, dass Young-Adult-Comics in der Buchhandlung neben den gerade boomenden Romance-Titeln liegen. Und manche Verlage könnten vielleicht auch bei Comics über Farbschnitte nachdenken.

2024 findet zum ersten Mal der Gratis Kids Comic Tag statt. Was ist das Ziel der Verlagskooperation, was versprechen Sie sich von der Aktion?

Ich nehme zum ersten Mal Teil und sehe für meinen Verlag auf jeden Fall eine große Möglichkeit, Sichtbarkeit zu gewinnen. Ich habe einige Anfragen nach weiteren Werbemitteln erhalten. Es ist grandios, wie viele Aktionen vor Ort im ganzen Bundesgebiet stattfinden! Ich selbst bin in München in eine Buchhandlung eingeladen. Für uns Verlage ist es allgemein eine Chance zu zeigen, welche Vielfalt und welchen Anspruch Kindercomic erfüllen kann.

Beim GKCT machen auch viele Bibliotheken mit. Welche Rolle spielen Kindercomics für Bibliotheken bzw. für das Thema Leseförderung mittels Comics? Was können Verlage hier noch machen, um Bibliotheken bei diesen Aktivitäten unter die Arme zu greifen?

Viele Bibliotheken haben sich in den letzten Jahren, auch dank manga- und comicaffiner junger Mitarbeiter*innen, für das Medium stärker geöffnet, das liegt auch an ihrem Auftrag zur Leseförderung. Ich würde mir wünschen, dass wir in jeder größeren Stadt eine gemeinsam Verlags-Aktion wie beim Salon der grafischen Literatur in Berlin haben könnten, um unsere Titel vorzustellen. Ich selbst gebe auch Fortbildungen für Bibliothekar*innen.