Ein ökologiebewusster Tarzan-Batman in Schwarzweiß

Jean-Yves Mittons Fassung von Lee Falks „Phantom“ erscheint in einer Gesamtausgabe.

Das Phantom ist ein Superheld aus der Zeit vor den Superhelden. Bevor Superman 1938 von Jerry Siegel und Joe Shuster erfunden wurde, gab es schon einige Figuren, die dem späteren Konzept von maskierten Superheroen schon sehr nahekamen. Den sehr erfolgreichen Science-Fiction-Comics über Buck Rogers (1929) und Flash Gordon (1934) fehlten nur die weiter übersteigerten Superkräfte und das Kostüm, aber als Lee Falk 1936 das Phantom erfand, schuf er eine Blaupause für die spätere Erfolgsgeschichte der Superhelden. Ein maskierter Crime Fighter mit bürgerlichem Alter Ego lebt in einer Höhle und rettet mit Muskelkraft und Hirnschmalz die Unschuldigen und Schwachen – die Tarzan-Variante des urbanen Batman, könnte man meinen.

Die ursprünglichen und damals schon sehr erfolgreichen Zeitungsstrips haben die Zeit erwartungsgemäß nicht gut überdauert, aber ich kann mich gut daran erinnern, dem Phantom in den 1980ern über den Weg gelaufen zu sein, wahrscheinlich in den Bastei-Ausgaben dieser Jahre. Wer sich für die deutschen Fassungen und die Retuschierungen dieser Zeit interessiert, sollte unbedingt „Lee Falks Phantom“ von Christian Blees (Edition Alfons 2022) zur Hand nehmen und wird aus dem Staunen nicht mehr rauskommen.

Das war aber eher die zweite Liga der neunten Kunst, und umso erstaunter war ich nun, als ich die aktuelle Ausgabe der „Phantom“-Comics von Jean-Yves Mitton (Kult Comics) aufschlug. Der erste von zwei Bänden versammelt vier von Mitton zwischen 1989 und 1990 stimmungsvoll und detailliert gezeichnete Schwarzweiß-Geschichten im Albenformat. In einem zehnseitigen Vorwort schildert zunächst Bernd Frenz Mittons Lebensweg und seine Arbeit als Retuscheur und Zeichner bei der Éditions Lug. Nachdem der Verlag 1989 an den schwedischen Verlag Semic Press verkauft wurde, arbeitete Mitton fortan für diesen – und wurde mit seiner Arbeit an „Phantom“ beauftragt. Das Vorwort führt also nicht in die Geschichte von Lee Falks „Phantom“ ein und lässt auch Mittons Arbeit an der Serie außer Acht. Das Phantom erschien zuerst in Skandinavien, Frankreich und Australien.

In „Der gelbe Tod“ (Story: Scott Godall, S. 16-51) muss ein mit einer Fußprothese lebendes Mädchen, Alona, mitansehen, wie ihr Heimatdorf von einem seltsamen gelben Nebel eingenommen wird, und da es sich um giftige Dämpfe handelt, sterben die Menschen in diesem abgeschiedenen Dschungeldorf. Das Phantom deckt schließlich einen internationalen Chemiewaffen-Schmugglerring auf und kann eine größere ökologische Katastrophe verhindern. Dass Alona im Laufe der Erzählung lernt, dass sie trotz ihrer Beeinträchtigung alles andere als hilflos ist, ist wesentlicher Teil des Plots und klingt ausgesprochen modern. Mit der Phantom-rettet-Frau-Story knüpft Mitton wiederum nahtlos an die frühen Falk-Strips an, in denen das Retten junger Frauen auf der täglichen Agenda stand.

„Worubu“ (Story: Norman Worker, S. 52-84) ist der Name des Kommandeurs der Dschungelpatrouille, der plötzlich in den Verdacht gerät, einen Überfall organisiert zu haben. Sowohl der Präsident des Landes Bengalla als auch das Phantom wundern sich über diesen tiefen Fall eines vertrauenswürdigen Verbrechenskämpfers, und der etwas bemühte Twist am Ende tief aus der Klischeekiste gibt den Zweiflern schließlich recht.

In „Die Kinder des Dschungels“ (Story: Scott Goddall, S. 86-118) steht erneut eine Umwelttragödie im Fokus: Verseuchtes Wasser ist schuld daran, dass diverse Tiere und auch Menschen plötzlich versterben. Das Phantom folgt mit seinem detektivischen Scharfsinn den Spuren und entdeckt eine Fabrik, deren Unternehmer ihrer Profitgier jede Achtung für Mensch und Natur geopfert haben. Die 1980er Jahre sind eben eine Zeit, in der sich erstmals ein kollektives ökologisches Bewusstsein ausbildete und die Menschen sich mit dem Waldsterben, dem Ozonloch und Atomkraft auseinandersetzten. In diesem Zusammenhang muss man diese Geschichte (wie auch die erste) lesen.

Die letzte und kürzeste Geschichte, „Der Nektar der Götter“ (Story: Scott Goodall, S. 120-148) handelt von einer tief im Dschungel verborgenen Orchideenart, deren Nektar Unsterblichkeit verleihen kann. Das Phantom erfährt durch ein altes Manuskript von dessen Existenz und stöbert sogar zwei Menschen auf, die noch immer von der Kraft dieser Pflanze zehren. Die exotischen Geheimnisse des wilden Dschungels sind ein klassischer Topos, und die nicht durchweg logische Story profitiert, wie die anderen auch, von den detailreichen Zeichnungen Mittons, dessen feiner Strichführung die Schwarzweißgestaltung sehr gelegen kommt.

Mitton hat insgesamt acht Phantom-Comics gestaltet, und diese sind für die „Phantom“-Serie nicht unbedingt repräsentativ. Umso lesenswerter sind diese aber, und wen das neugierig macht, der ist mit dem zweiten Band sicher gut beraten. Gerade ist der zweite Band dieser Ausgabe erschienen.

Jean-Yves Mitton (Zeichner) u. a.: Das Phantom. Bd. 1 • Kult Comics, Leipzig 2023 • 148 Seiten • Softcover • 25,00 Euro

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate.de, Alfonz und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.