Trondheims schwarze Pädagogik – „Aurora und der Ork“

„Aurora und der Ork“, die neue Serie von Lewis Trondheim, steht als Kindercomic im Regal. Doch aufgepasst: Der Ork ist kein Kuschel-Kumpel, der Humor recht deftig.

„Er kommt von weit her“, führt die Lehrerin den Neuen ein, „er stammt aus einer gewalttätigen und bildungsfernen Familie.“ Was sie verschweigt: Der Neue ist ein Ork. Diese, weiß Schülerin Aurora, die neben dem Ork sitzen muss, fressen bekanntlich zuweilen Kinder. Sie fände das schlimm des gefressenen Kindes wegen, ihre Lehrerin aus anderem Grund: „Am Ende erstickt er, weil ihm ein Schuh im Hals stecken bleibt…“

Derart geht es weiter bei „Aurora und der Ork“, der neue Serie von Lewis Trondheim. In jeweils einseitigen Gags frisst der Ork – mangels Elfenkindern an der Schule – wahlweise Ratten oder Hunde, lädt sich in der Kantine eine Dame vom Personal aufs Tablett oder trägt seiner Klasse auf Anregung der Lehrkraft eigenwillige „Gedichte“ vor: „Verreck, verreck, verreck!“ Der Kommentar der sichtlich angefassten Lehrkraft: „Das war wirklich sehr bewegend…“

Das ist deftig und lustig – der charakteristische Trondheim-Humor, ein bisschen balla balla, aber stets originell und mit netten Spitzen. Ähnlich typisch für den Künstler kommt die Grafik daher, sodass darüber kein Wort fallen muss. Wer’s kennt und nicht mag, wird durch „Aurora“ kein Fan trondheimscher Zeichenkunst werden. Wer’s mag, wird auch „Aurora“ lieben.

Die Handlung bekommt im Laufe der Serie etwas Tiefe. Der Ork hat gefühlige Seiten. Ihm kommen aus Scham oder Rührung die Tränen, wenngleich reichlich selten. Weit öfter teleportiert es ihn unversehens in kriegerische Parallelwelten. Offenbar die Nebenwirkung eines Fluchs. Tatsächlich klärt sich irgendwann in den Folgebänden sogar, warum Erwachsene dem Treiben des Orks mit rätselhafter Gelassenheit beiwohnen. Wunderlich bleibt dagegen, dass „Aurora und der Ork“ als „Kindercomic“ gilt. Laut Definition sind Kinder sämtliche Menschlein unter 14 Jahren…! Speziell bei den Jüngeren davon könnten die kernigen Kracher um den notorischen Elfenschlächter und Hundefresser doch gewisse Irritationen auslösen. Die Zeichnungen zeigen zwar so gut wie keine Gräuel, aber das Kopfkino funktioniert bei Kindern schon gut. Die sollten besser älter oder ziemlich abgebrüht sein! Zur Sicherheit können Erwachsene „Aurora“ vorkosten. Ihr Zwerchfell kommt dabei sicherlich auf seine Kosten.

Lewis Trondheim: Aurora und der Ork 1 • Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock • Reprodukt Verlag, Berlin 2024 • Klappenbroschur • 64 Seiten • 15 Euro

Jürgen Schickinger hat seine ersten Artikel über Comics im Jahr 1981 für das Fachmagazin „Comic Art“ geschrieben. Danach folgte ein Studium, das er zu einem guten Teil mit dem Verkauf von Comics auf Flohmärkten finanziert hat. Zwangsläufig wuchs dabei die eigene Sammlung. In dieser Zeit sind auch weitere Comic-Artikel von ihm in verschiedenen Fanzines und Büchern erschienen. Nebenher hat er einige Jahre im Fachhandel gejobbt. Seit 1999 betreut er für die Badische Zeitung in Freiburg als freier Autor unter anderem das Themengebiet Comics, Graphic Novels, Cartoons und verwandte Grafik.