„Skim“ ist der erste gemeinsame Comic der Kanadierinnen Jillian und Mariko Tamaki. Mit wunderbarer Selbstverständlichkeit erzählt er von den Nöten einer 16-Jährigen.
Als der Exfreund einer Schülerin sich umbringt, bricht an einer katholischen Mädchenschule des Jahres 1993 der Wahnsinn aus: Aus Angst vor Nachahmern überschlagen sich Lehrer und Mitschülerinnen mit gut gemeinten Ratschlägen und Präventionsmaßnahmen. Im Comic „Skim“ von Jillian und Mariko Tamaki erfahren wir davon aus Sicht der 16jährigen Tagebuchschreiberin Skim. „Skim“ war 2008 die erste Zusammenarbeit der Cousinen, die hierzulande bereits durch eine Übersetzung ihres Nachfolgewerks „Ein Sommer am See“ bekannt wurden und seither zu den interessantesten Stimmen der internationalen Comic-Szene gehören.
Den Tagebuchstil setzen sie jedoch ganz anders um, als man ihn etwa kürzlich bei der Amerikanerin Emil Ferris im Comic „Am liebsten mag ich Monster“ gesehen hat. Während sich dort das Gefühl einstellt, das Notizbuch der Protagonistin mit ihren eigenen Aufzeichnungen und Skizzen in der Hand zu halten, gehen in „Skim“ Texte und Bilder unterschiedliche Wege. Vor allem in den großen Splash-Pages zu Beginn der einzelnen Kapitel geben die Textfelder Skims Tagebucheinträge wieder. Die Zeichnungen hingegen illustrieren ihre Erlebnisse aus einer übergeordneten Perspektive, ähnlich wie bei einem auktorialen Erzähler im Roman.
Die Frage nach der Bedeutsamkeit der verschiedenen Erzählinstanzen war es auch, die den Comic nach seinem Erscheinen in den Mittelpunkt einer Kontroverse rückte: Als „Skim“ 2008 ins Rennen um einen kanadischen Literaturpreis, den Governor General’s Award, ging, war ausschließlich die Autorin Mariko Tamaki nominiert. Mehrere kanadische und US-amerikanische Comic-Künstler unterzeichneten daraufhin einen offenen Brief, in dem sie sich für die Nachnominierung der Zeichnerin Jillian Tamaki einsetzten. Ihr Argument: Die Gleichberechtigung der Texte und Bilder als Erzählinstanzen machen überhaupt erst die Besonderheit des Mediums Comic aus. Die Organisatoren versprachen dies in künftigen Jahrgängen zu berücksichtigen – aus der Nachnominierung wurde jedoch aus zeitlichen Gründen nichts.Im Fall der Tamakis verfasst Mariko die Texte in einer Form, die an Drehbücher für Theaterstücke erinnert. Jillian fertigt im Anschluss die Zeichnungen an. Ihr Stil ist eigen, sehr schwungvoll. Sie experimentiert mit Formen, zeichnet etwa nebeneinander ausgelegte Polaroids statt konventioneller Panels. Dem Schwarzweißstil fügt sie graue Schattierungen hinzu, die den Bildern mehr Textur und Dimension verleihen.
Skim ist eine Figur, wie man ihr weder in Comics noch in anderen Medien ständig begegnet: Eine 16-Jährige mit asiatischen Wurzeln, die ihren Spitznamen verpasst bekommen hat, weil sie eben nicht „slim“ – schlank – ist, die sich für die Hexenreligion Wicca interessiert und sich im Laufe der Geschichte in ihre eigene Englischlehrerin verliebt. Aber solche Figuren sind typisch für die Comics von Jillian und Mariko Tamaki, auch „Ein Sommer am See“ erzählte etwa von zwei Freundinnen, die irgendwo im Übergang zwischen Kindheit und Jugend feststecken.
„Skim“ mag im Vergleich dazu noch nicht ganz so ausgefeilt und umfangreich sein. Die Selbstverständlichkeit, mit denen die Tamakis ihre Figuren zum Leben erwecken, ist aber schon hier zu spüren. Nie beanspruchen sie für sich eine repräsentative Geschichte über die experience einer asiatisch-stämmigen Jugendlichen geschrieben zu haben, mit ihrer Arbeit ein queeres Statement abzugeben oder eine abschließende Meinung darüber zu formulieren, wie eine Schule mit Selbstmordfällen umgehen sollte. Jillian und Mariko Tamaki wissen, dass sie nicht für alle sprechen können. Und so erzählen sie von einer fiktiven und ganz spezifischen Gefühlswelt. Darin kann man sich wiedererkennen oder auch nicht – lesenswert bleibt der Comic so oder so.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 07.06.2019 in: Deutschlandfunk Kultur
Katrin Doerksen, Jahrgang 1991, hat Filmwissenschaft nebst Ethnologie und Afrikastudien in Mainz und Berlin studiert. Neben redaktioneller Arbeit für Deutschlandfunk Kultur und Kino-Zeit.de schreibt sie über Comics, aber auch über Film, Fotografie und Kriminalliteratur. Texte erscheinen unter anderem im Perlentaucher, im Tagesspiegel oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie lebt in Berlin.