„Ich gehe am liebsten von einer schwarzen Fläche aus“

Fein gearbeitet, intensiv, auf beste Weise plakativ und zudem ungewöhnlich: Bis zum 22. Mai sind Thomas Otts Schabkartonwerke in einer großen Ausstellung im Cartoonmuseum Basel zu sehen.

Wald füllt den ersten Raum. Das Licht ist schummrig, so als fiele es gedämpft durch Baumkronen. In der Luft scheint eine Mischung aus Düften von Moos, Laub, Harz und Erde zu liegen. Doch kein Blätterdach, kein Laub oder Moos am Boden: „Der Wald“ hängt nur an der Wand. Rund 20 Bilder aus dem Comic von Thomas Ott dominieren die größte Fläche im ersten Ausstellungssaal des Cartoonmuseums Bassel und fluten ihn mit dichter forstlicher Atmosphäre. Otts Grafik besitzt enorme Plastizität und macht Stimmung, meist bedrückende: Die eindrucksvolle Ott-Werkschau „From Scratch“ präsentiert vier Jahrzehnte grimmige Faszination.

Auf den Bildern des schweizerischen Comic-, Film- und Installationskünstlers blicken Menschen eigentlich immer unfreundlich drein – fies, verschlagen oder bitterböse. Selbst seine Clowns reißen grausige Grimassen. Zudem wirken Ott-Figuren meistens fremdartig, unbelebt und steif. Wie schockgefroren, aber gleichzeitig verstörend real, fast greifbar. Sprechblasen fehlen auf den Bildern ebenso wie Wärme und Farbe. Schwarz regiert. Mit Otts Kunst tauchten Betrachtende „ins Dunkle hinein“, sagt Anette Gehrig, Direktorin und Kuratorin am Cartoonmuseum Basel. Die Motive kreisen oft um die Thema Niedergang und Tod. Wenn nicht, lauern in ihnen anderweitig Unheil und Schrecken.

Beide ziehen sich unterschwellig auch durch „Der Wald“: Ein Bub in kurzen Hosen stiehlt sich davon aus einem Haus, in dem Erwachsene um seinen verstorbenen Großvater trauen. Der Junge streift durch einen düsteren Wald. Mächtige Stämme und Wurzeln säumen seinen Weg; Geisterwesen und Kreaturen kreuzen ihn. Schließlich kehrt der Junge zurück zum Haus, begibt sich an das Bett, in dem der Großvater aufgebahrt ist und nimmt still Abschied. Das ist traurig, aber frei von Grauen und damit für Ott nahezu versöhnlich.

Gelegentlich kokettiert der Künstler sogar mit hintersinnigem Humor. Den Höhepunkt der Retrospektive in dieser Hinsicht bildet wahrscheinlich seine Installation „La Grande Famiglia“ (1997), die eine gescheiterte Mafiafamilie persifliert. „Sie sind die Loser der Mafia“, erzählt Ott. Unfähig, krumme Dinger zu drehen und legale Geschäfte zu treiben: „Ihr Restaurant hat die Polizei aus Gesundheitsgründen geschlossen.“ Nun haust der letzte Spross des Versager-Clans in dem abgewrackten Ex-Restaurant. Aus Porträts an der Wand glotzen verstorbene, verschrobene Clanmitglieder hinab auf ein schmuddeliges Wohnküchenensemble mit Kochtopf, Pizzaofen, Segelbootmodell, Chiantiflasche und allerlei betagtem Tand. Als wäre es Absicht, hängt muffiger Geruch in dem Raum. Die Sachen lagerten Jahre im Keller. Für die Ausstellung hat Ott sie hervorgeholt und das Arrangement mit neuen Bildern aufgefrischt.

Härter kneift der Humor von „Mann mit Herz“. So einer muss lächeln, auch bei Thomas Ott. Genau betrachtet, trügen die gehobenen Mundwinkel vom „Mann mit Herz“. Sie haben nichts Herzliches, sondern formen ein sardonisches Grinsen. Mit dem Burschen ist keinesfalls gut Kirschen essen – oder Herzen: Das menschliche, im Titel genannte, liegt vor ihm roh und verzehrbereit auf einem Teller. Womöglich wartet der „Mann mit Herz“ auf Besteck?

Das Bild entsteht 1998 auf Schabkarton. Eine Seite des Materials ist komplett mit einer schwarzen Farbschicht bedeckt, die mit Messern, Cuttern und anderen Werkzeugen örtlich weggekratzt oder -geschabt wird, sodass der weiße Karton darunter als helle Linien, Schraffuren oder weiße Stellen hervortritt. Ott lernt diese „Weißmalerei“ in Zürich, wo er 1966 zur Welt kommt, von 1983-1987 Gestaltung studiert und ab 1998 noch ein Filmstudium absolviert. Seinen ersten animierten Streifen „La grande illusion“ stellt er allerdings schon 1984 her – als 18-jähriges Wunderkind! Kurz darauf verfällt er grafisch der aufwändigen Schabkunst: „Ich gehe am liebsten von einer schwarzen Fläche aus.“

Seinen „Goldenen Käfig“ nennt er das Verfahren in der Begleitpublikation. Sie verzichtet auf ausgestellte Bilder aus Otts längeren Graphic Novels. Das ist einerseits verständlich, weil die Geschichten nicht alle komplett im Buch untergekommen wären. Andererseits besitzt jedes von Otts Bildern auch losgelöst aus der Handlung hohen Betrachtungswert. Ein paar Abbildungsbeispiele aus den langen Storys hätten keinen Schaden angerichtet. Stattdessen enthält der Band einige Bilder, die nicht ausgestellt sind, und Texte als Ergänzung zum Bildteil. Die Publikation folgt wie Ausstellung keiner strengen Chronologie.

Insgesamt fünf Säle zeigen vorwiegend Schabkarton-Werke: Einzelbilder wie „The Fight of the Year“ (1989), Serien wie die furchteinflößenden „Clowns“ (2019), Auszüge aus Reiseberichten wie dem lakonischen „Travel Book Route 66“ (2018), der Filmadaption „Dark Country“ (2013), aus kurzen und langen Comics wie „Greetings from Hellville“ (1995). In Schaukästen sind entsprechende Publikationen zu sehen und Objekte wie Spielkarten.

Einer der Räume beherbergt noch „La Grande Famiglia“, ein anderer die Installation „Das ottologische Zimmer“ (2010). Vom Effekt her ähnelt sie einer antiken Freak-Show, bei der sich Schaulust mit Schauern paart. Das Horrorkabinett, erzählt der Künstler, stelle das Labor eines fiktiven verrückten Professors dar, der sich mit „Seelenkrebs“ beschäftigt: In Vitrinen lagern Masken deformierter Gesichter. An den Wänden hängen befremdliche Bilder grotesk entstellter geöffneter Körper und merkwürdige Schautafeln. Ott liebt alte Medizinfachbücher und wissenschaftliche Illustrationen.

Je ein weiterer Raum widmet sich seinen Filmarbeiten und dem Frühwerk. Anfangs verwendet Ott noch andere Techniken, macht etwa noch Kaltnadelradierungen und zeichnet mit Tusche wie bei seiner ersten veröffentlichten Story „Tagtäglich“ (1984). Die druckt das Comic-Kult-Magazin „Strapazin“ noch im selben Jahr. „Auf dem Titel der Ausgabe stand mein Name gleich neben denen von José Muñoz und Carlos Sampayo“, erinnert er sich, „das war ein Superstart für mich!“ Stilistisch heben sich seine frühen Bilder ebenfalls von späteren ab. Sie sind gröber, kantiger und haben den punkigen Charme damals angesagter Straßenkultur. Was sich nicht verändert hat: Die Stimmung ist trostlos und die Figuren können sich höchstens zu einem gequälten oder boshaften Lächeln durchringen. Die Gründe der Finsternis in seinen Werken trägt der Künstler teils in sich. „Natürlich ist die Welt traurig“, findet Thomas Ott, „aber meine Kunst ist auch Exorzismus von den eigenen Dämonen.“ Seit jeher denke er einmal pro Tag an den Tod.

Otts Finsternis sollte nicht abschrecken. Sie hat oft einen doppelten Boden und helle Flecken. Davon abgesehen liegt das Cartoonmuseum Basel in der schönen St. Alban-Vorstadt drei Fußminuten vom Rhein entfernt. Diese Lage versüßt jeden Besuch dort, wobei das schmucke Museum allein genug Anreiz bietet – genauso wie die Werkschau zu Thomas Ott. Seine Schabkartonkunst ist fein gearbeitet, intensiv, auf beste Weise plakativ und zudem ungewöhnlich. „From Scratch“ bannt Blicke, aber versetzt auch Synapsen in Aufruhr.

Thomas Ott: „From Scratch“ • Cartoonmuseum Basel, St. Alban-Vorstadt 28, Basel • bis 22.05.2025 • Öffnungszeiten Di bis So 11-17 Uhr • www.cartoonmuseum.ch

Begleitband „From Scratch“ • Cartoonmuseum Basel/Anette Gehrig (Hg.) • Christoph Merian Verlag, Basel • 148 Seiten • 29 Euro

Jürgen Schickinger hat seine ersten Artikel über Comics im Jahr 1981 für das Fachmagazin „Comic Art“ geschrieben. Danach folgte ein Studium, das er zu einem guten Teil mit dem Verkauf von Comics auf Flohmärkten finanziert hat. Zwangsläufig wuchs dabei die eigene Sammlung. In dieser Zeit sind auch weitere Comic-Artikel von ihm in verschiedenen Fanzines und Büchern erschienen. Nebenher hat er einige Jahre im Fachhandel gejobbt. Seit 1999 betreut er für die Badische Zeitung in Freiburg als freier Autor unter anderem das Themengebiet Comics, Graphic Novels, Cartoons und verwandte Grafik. 

Alle Abb. oben © Cartoonmuseum Basel, „Thomas Ott. From Scratch“, 2025
Foto: Derek Li Wan Po