„Murena“ – Brot, Blut und Intrigen-Spiele im alten Rom

murena_01_kleinNero. Kaiser Roms. Tyrann, Wahnsinniger. Christenverfolger, Feuerteufel. Und sah aus wie Peter Ustinov. Aber Spaß und „Quo Vadis“ beiseite. Nero gehört zu den historischen Figuren, die negativ belegt sind, deren öffentliches Image ganz tief im Keller ist. Und das obwohl die offizielle Geschichtsschreibung auch ein anderes, differenzierteres Bild des römischen Cesaren zeichnet, der von 54 bis 68 bisweilen durchaus erfolgreich regierte. Ein Bild, das Jean Dufaux und Philippe Delaby in ihrem Römer-Epos „Murena“ aufgreifen und zu einem opulenten Historien-Tableau samt zeitgenössischem Sittenbild ausweiten.

Die Handlung steigt ein, als Nero 17 Jahre alt ist. Er ist der Stiefsohn von Kaiser Claudius und steht als Älterer damit noch vor dessen leiblichem Sohn Britannicus an der Spitze der Thronfolge. Neros Mutter Agrippina, Kaiserin und Claudius‘ zweite Frau, giert nach Macht. Als sich Claudius auf seinen leiblichen Sohn besinnt und diesen doch noch per Testament als Thronfolger einsetzen will, zögert Agrippina nicht und vergiftet ihren ungeliebten Gatten. So ist Nero mit 17 nicht nur der Spielball seiner Mutter, sondern auch Kaiser Roms und damit praktisch Herrscher der bekannten Welt. Doch der Jungspund hat vorerst nur Augen für die schöne Acte, eine ehemalige Hure, deren „Besitzer“ er nun ist. Was Agrippina zupass kommt – solange sich ihr Sohn vergnügt, kann sie in aller Ruhe die Fäden der Macht in den Händen halten, als heimliche Herrscherin Roms. Der titelgebenden Figur des Patriziers Lucius Murena fällt dabei (vorerst) nur eine Nebenrolle zu. Seine Mutter, Lollia Paulina, war Geliebte von Kaiser Claudius und wurde ebenfalls auf Geheiß Agrippinas beseitigt. Doch Murena lässt nicht locker, forscht nach, will die Ermordung seiner Mutter aufklären und löst damit bei seinem Freund Nero einen Interessenskonflikt aus, der erste Schatten auf den jungen Regenten wirft…

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Mord, Intrigen, Machtgier, Skrupellosigkeit. All diese wunderbar negativen Eigenschaften vereinen sich im ersten Band der Neuauflage von „Murena“ nicht auf Nero, wie man vielleicht vermuten mag, sondern auf dessen Mutter Agrippina, die eigentlich im Mittelpunkt des Geschehens steht. Auf dem Weg zur Macht geht sie ohne mit der Wimper zu zucken über Leichen, spannt loyale Mitstreiter vor ihren unheilvollen Karren (wie den Philosophen Seneca) und intrigiert, was das Zeug hält. Dabei greifen Dufaux und Delaby die geschichtlichen und damit verbürgten Fakten auf und spinnen darum ein politisches Intrigengerüst und ein persönliches Beziehungsgeflecht, gegen das sich „House of Cards“ wie ein Kindergarten ausnimmt. Man hält sich an die Historie, lediglich die Titelfigur Lucius Murena ist fiktiv. Dazu kommt der gnadenlose Blick auf die damalige Gesellschaft Roms und deren Klüfte. Sklaven sind persönlicher Besitz, auch freigelassen ist ihr Ansehen nicht gerade hoch. Man kann Einfluss üben, die Frauen auch gerne mit Einsatz ihres Körpers, wird aber fallengelassen, sobald Zweifel an der Loyalität aufkommen. Die Reichen und die Herrschenden geben sich indes Fress- und Sex-Orgien hin und ergötzen sich an blutig grausamen Gladiatorenkämpfen.

Bereits 1998 veröffentlichte der alte Splitter-Verlag den ersten Band der Reihe, ehe Kult Editionen 2002 noch einmal von vorne startete und bis 2014 Band 1-9 herausbrachte. Bei Splitter erscheint die Serie nun im Double-Format, also zwei Original-Alben in einem Band, komplett mit Sekundärteil, der von Eisenherz-Übersetzer Wolfgang J. Fuchs stammt. Aber das größte Pfund der Reihe sind zweifellos die realistischen Zeichnungen von Philippe Delaby („Ritter des verlorenen Landes“), der im Januar 2014 mit nur 53 Jahren überraschend und viel zu früh verstarb. Sein runder, bisweilen zarter, aber bestimmter und eleganter Strich spiegelt die Kunst der griechisch-römischen Antike wider, die sich so vor allem im Realismus und Individualismus der Bildhauerei ausdrückte. Interessant auch (weil im direkten Vergleich) sind die unterschiedlichen Stilarten in der Farbgebung der beiden enthaltenen Alben. Während der erste Band („Purpur und Gold“), von Dina Kathelyn koloriert, kräftiger und damit dunkler daherkommt, beinahe als hätte man mit Farbstiften gearbeitet, übernahm Delaby die Kolorierung des zweiten Bandes („Sand und Blut“) selbst. Die Abstufungen sind hier nuancierter, die Farben insgesamt heller, mehr in Richtung Aquarell/Wasserfarben. Somit hat beides seinen Reiz. Zusammen entsteht ein lebendiges Geschichtsepos, aufgeladen mit politischen Ränke- und Mordspielen, gestaltet in einem grandiosen Realismus. Der nächste Band mit den Kapiteln 3 & 4 erscheint im Dezember.

Jean Dufaux, Philippe Delaby: Murena, Band 1: Kapitel 1 & 2: Purpur und Gold / Sand und Blut. Splitter, Bielefeld 2016. 128 Seiten, 24,80 Euro