Sein Wahnsinn hat Methode – „Batman: The Killing Joke“

Witzmacher. Das steht deutlich auf dem Objekt der Kamera zu lesen, die uns der Joker grinsend entgegenhält – und mit der er, wie wir später erfahren, Bilder der niedergeschossenen Barbara Gordon anfertigt, alles Teil seines perfiden Plans. Nur ein kleines Detail, aber symptomatisch für diese legendäre Geschichte, in der Bild und Wort zu einer selten gesehenen inhaltlichen Einheit verschmelzen: der Joker hält die Welt für einen einzigen grausamen Witz. Die einzig normale Reaktion darauf ist der Wahnsinn. Diesen Ausweg hat er gewählt, und dass das auch gut so ist, davon möchte er Batman nun in einem grausamen Experiment überzeugen. Er schießt Barbara Gordon nieder, entführt ihren Vater, den Polizeichef, in einen verlassenen Vergnügungspark, und führt ihm dort Bilder seiner gelähmten Tochter vor, um ihn in den Wahnsinn zu treiben. Dazwischen wird er geplagt von Erinnerungen an eine – mögliche – Vergangenheit als erfolgloser Komödiant, der sich darauf einlässt, in die Maske des Red Hood zu schlüpfen und einige schwere Jungs durch die Chemiefabrik zu führen, in der er früher arbeitete. Der damals noch neue „Fledermaus-Typ“ war aufgetaucht und hatte den Bruch vereitelt – wobei der unglückselige arme Schlucker in den umliegenden Fluss sprang und dort von den verseuchten Chemikalien an Körper und Geist entstellt wurde. In der Gegenwart kommt es dann zur entscheidenden Konfrontation der Widersacher, die letztlich zum Konflikt zwischen Wahnsinn und Würde wird…

Bedeutung und Wirkung dieses Werks, das Brian Bolland und Alan Moore 1988 vorlegten, sind bahnbrechend. Während der „British Invasion“ der US-Comicszene schnappten sich junge, wild innovative Autoren und Zeichner sattsam bekannte Figuren und interpretierten sie teilweise radikal neu. Zwei Jahre zuvor hatte Frank Miller das Bild von Batman grundlegend revolutioniert und vom Pausenclown der 60er und Detektiv der 70er mit Macht zurück geführt an die düsteren Anfänge als Dunkler Ritter, wobei auch seine Nemesis Joker zu Ehren (und einem gewaltsamen Ende) kam. Aber es lag an Bolland, den Joker wirklich in den Mittelpunkt zu rücken: als DC-Chef Dick Giordano seinen Schützling fragte, was er denn gerne als nächstes Projekt umsetzen wolle, optierte Bolland klar für eine Story, in der der Joker im Vordergrund steht und Batman eher als Nebenfigur agiert. Gleichzeitig sollte Bollands Wunschautor Alan Moore den Clown wieder zu dem kranken Psychopathen machen, als den ihn Bob Kane, Jerry Robinson und Bill Finger 1940 in Heft 1 und 2 der Batman-Reihe einführten – und noch weit darüber hinaus ins Extrem treiben.

Ein Jahr, bevor Jack Nicholson auf der Leinwand den feixenden Kasper gab, der bestenfalls Fünfjährige erschreckt, breitete Moore in der damals noch neuen Form der „graphic novel“ (anders als „The Dark Knight Returns“ oder „Watchmen“ erschien „The Killing Joke“ nie als Heftserie, sondern gleich als hochwertig produzierte Einzelausgabe) das Psychogramm einer zutiefst verletzten Seele aus, die bitterste Konsequenzen aus der wertelosen, postmodernen Welt zieht. Die Origin-Story, die ins Geschehen verquickt wird und auch in Tim Burtons Filmfassung erscheint, bietet eine der möglichen Varianten, die in der Batman-Historie kurz angerissen und dann verworfen wurde: schon in den 1950ern wurde angedeutet, dass unter der Red Hood der Joker gesteckt haben könnte. Hier geht es allerdings weniger um Chronologie oder Mythologie, sondern um existentialistische Betrachtungen – Joker und Batman sind Kehrseiten der gleichen Medaille, Zerrbilder und Doppelgänger, die (wie im literarischen Motiv von Jekyll und Hyde bis zum Student von Prag stets der Fall) unweigerlich nur in der gegenseitigen Vernichtung enden können.

Batman kommt in der Eröffnungssequenz nach Arkham, um eben diesen Teufelskreis zu durchbrechen: „Wir werden uns gegenseitig töten, nicht wahr? […] Mir ist nicht ganz klar, warum unser Verhältnis mit dem Tod enden muss.“ Fast schon stur beharrt der korrekt-steife Bruce Wayne auf der Sinnhaftigkeit des Daseins, die der Joker radikal negiert. Ein einziger schlechter Tag, so seine These, reiche doch aus, um über die Klippe des Wahnsinns zu stürzen – und das sei Batman doch ebenso passiert: „Ich weiß es. Auch Du hattest einen furchtbaren Tag, der alles verändert hat… ein furchtbarer Tag, der dich wie uns alle in den Wahnsinn getrieben hat. Nur gibst du’s nicht zu! Du machst Dir weiter vor, dass das Leben einen Sinn hat, dass all diese Anstrengungen einem Zweck dienen!“

Zur Untermauerung seiner These nutzt der Joker nicht nur grausamste Taten, er beginnt auch ein perfides Spiel mit der Sprache. Permanent durchbricht er die gemeinschaftliche Basis, die in Form von Sprichwörtern und Redewendungen innerhalb einer Sprachgemeinschaft Verständigung schafft, und erzeugt neue, verdrehte Karikaturen und Zerrbilder – so etwa in einem alptraumhaften Song, den er als Entertainer für Gordon darbietet: „if life treats you bad – don’t get even, get mad!“ Diese Verkehrung des gängigen Idioms „don’t get mad, get even“ (zu Deutsch etwa „nicht aufregen, lieber heimzahlen“ oder schlicht „Rache ist süß“) entzieht dem Gegenüber Gordon zusätzlich zum visuellen Terror der Bilder seiner Tochter jegliche Erfahrungsbasis und stellt die Welt auch sprachlich auf den Kopf – die Kommunikation wird zur Waffe des Jokers und als Mittel, die Realität zu zerstören.

Auch perfide eingesetzte Metaphern und Zweideutigkeiten nutzt er zum gleichen Zweck – als er die Bibliothekarin Barbara Gordon anschießt, kommentiert er süffisant zu ihrem entsetzten Vater: „Machen Sie sich keine Sorgen. Es handelt sich um eine Psychose, die bei Ex-Bibliothekarinnen häufig auftritt. Sie hält sich für einen Prachtband. Doch leider ist dieses Exemplar in keinem guten Zustand. Sehen Sie, der Umschlag weist ein Loch auf, und der Rücken ist beschädigt.“ Auch wenn die komplette Neuübersetzung von Steve Kups die nahezu unmöglichen sprachlichen Klippen weitgehend hervorragend meistert, kommt die abartige Spielerei des Jokers durch die Mehrdeutigkeit der Wortwahl im Original noch besser zum Tragen: „she thinks she is a coffee table edition“, sagt der Joker da, nachdem Barbara durch einen Glastisch stürzt, „but she is in poor condition. There’s a hole in the jacket (Jacke und Buchumschlag), and the spine is damaged (Buchrücken, aber natürlich auch Rückgrat).” Diese bewusste Nutzung metaphorischer und übertragener Wort(mehr)bedeutungen verleiht dem Geschehen eine grausame Harmlosigkeit und Kälte, an der Gordon scheitern soll, weil die eigentlich doch einende Symbolik und der gemeinsame Erfahrungsschatz der Sprache und damit letztlich auch der Identität genommen werden.

Vordergründig scheitert der Joker an seinem Vorhaben: Gordon verfällt nicht dem Wahnsinn, sondern fordert von Batman, er solle den Joker in jedem Fall „nach Recht und Gesetz“ festnehmen – „we have to show him our way works“. Auch Batman lehnt die These, er sei ebenso psychopathisch wie sein Gegenspieler, vehement ab: Schicksalsschläge mag es geben, aber auf die Ebene des Wahnsinns muss man sich deswegen noch lange nicht begeben. Sein konkretes Hilfeangebot lehnt der Joker am Ende ab und erzählt erklärend den titelgebenden Witz, der sich leitmotivisch durchs Geschehen zieht: „Da sind diese beiden Typen im Irrenhaus“, nimmt er die gleichen Formulierungen auf, die die Eröffnungsszenen beschreiben und auch in der Mitte wie Zwischentitel im Stummfilm nochmals aufgenommen sind. Beim Fluchtversuch springt der eine über das Dach, der andere traut sich nicht, worauf ihm sein Kumpel anbietet, er würde mit einer Taschenlampe über den Abgrund leuchten, damit er über den Strahl die rettende andere Seite erreichen kann. „Ja glaubst Du, ich bin irre?“, kommt die Antwort: „Du würdest sie auf halbem Weg ausmachen!“ Aus dem Irrenhaus der gegenseitigen Vernichtung der Doppelgänger gibt es für den Joker keinen Ausweg: sein Vertrauen in Batman reicht nicht so weit, als dass er mit ihm über den Abgrund hin zur Normalität springen würde – zu viel Angst vor dem endgültigen Absturz hat er. Wo so schon fast die Wiederherstellung von Recht und Ordnung aufscheint, wo die Welt nicht mehr aus den Fugen geraten scheint, wo der Joker isoliert dasteht, unterlaufen Moore und Bolland diese Erwartungshaltung plötzlich. Batman bricht in zunehmend manisches Lachen aus, das Soundword der heraneilenden Polizei vermischt sich mit dem irren Gelächter beider Figuren, die im Schattenriss kaum mehr unterscheidbar sind, bevor sie verschwinden.

Batman muss zugestehen, dass der Killing Joke – der Witz, der ins Schwarze trifft und gleichzeitig tötet, so beide Wortbedeutungen von „kill“ – den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Dafür spricht auch die minutiös parallele Struktur, in der Brian Bolland das Geschehen beginnen und enden lässt – nicht nur der Witz, sondern auch die optische Gestaltung verbinden sich nahtlos: die ersten beiden Panels mit Pfützen und Scheinwerferlichtern wiederholen sich spiegelverkehrt am Ende. Die Struktur ist somit zirkulär, es gibt keinen Fortschritt, wir drehen uns im Kreis – ein Kennzeichen des modernen absurden Dramas, das die gefühlte Sinnlosigkeit der Welt in mangelnder dramatischer Bauweise spiegelt. Es gibt weder ein happy noch ein tragic ending, sondern nur ein Weitermachen.

Die Form wird somit, wie in gelungenen Kunstwerken immer zu beobachten, zum unverzichtbaren Teil der Aussage: das Spiegelmotiv durchzieht das Geschehen durchgängig, wenn der Joker auf dem Jahrmarkt einen Clownsauslage betrachtet, düster in eine Pfütze sinniert oder Batman ihn kurz vor dem Finale in einem Spiegelkabinett stellt. Assoziativ gleitet die Geschichte über gleichartige Bildkompositionen zwischen Schauplätzen und Zeitebenen: immer werden die Erinnerungsfetzen des Jokers, die Bolland monochrom gestaltet, durch ähnliche Konstellationen in der Gegenwart ausgelöst.

Insgesamt wirkt die Farbgebung in dieser Neuausgabe gelungener und stimmiger, da Bolland diese im Gegensatz zur Erstausgabe, deren Kolorierung 1988 von John Higgins eher knallig-bunt besorgt wurde, hier vollständig nach eigenen Vorstellungen umsetzen konnte. In den flashback-Szenen sind dabei als finstere Vorboten immer einige wenige Details (ein Fliegenpapier, die verspeisten Garnelen, die Maske des Red Hood) in leuchtendem Rot belassen, das sich immer mehr Raum greift und schließlich in der Genese des Jokers endet. In entscheidenden Momenten, wie der Auftaktszene oder der finalen Auseinandersetzung, kann sich Bolland vollständig ohne Dialog entfalten und entwickelt Szenenabfolgen, die aus einem Kunstfilm der Stummfilmära stammen könnten, da die Handlung und die Bilder vollständig für sich selbst sprechen.

Linke – alte Kolorierung. Rechts – neue Kolorierung

Durch diese bestechende Optik, charakterisiert durch Bollands klaren, dynamischen Strich, der den Joker mit Lippenstift, großen Augen und bunten Kostümen (inkl. Hawaii-Shirt aus der Hölle!) fast als drag queen zeigt auf der einen Seite und die zirkuläre, leitmotivische Komposition auf der anderen unterläuft die Darstellung auf der Metaebene die inhaltliche, politisch korrekte Aussage: der Text suggeriert uns die beruhigende Botschaft, dass die Welt ein schlimmer Ort sein mag, aber dass es immer Auswege gibt, während die Form das zutiefst verstörende Gegenteil in unserem Unterbewusstsein platziert.

Diese Ambivalenz trägt zweifelsohne zur zeitlosen Faszination dieses Werks bei, das hier nicht nur neu koloriert und übersetzt, sondern auch um zwei Vignetten aus der Feder Bollands ergänzt aufgelegt wird: „Die Entstehung des Jokers“, geschrieben von Mark Waid, macht nochmals klar, dass es keine klare Origin-Story, sondern eine Vielfalt möglicher Entstehungsgeschichten gibt, die der Joker in seinem Wahn vielleicht alle erfunden hat – was in der herausragenden Filmfassung The Dark Knight durch Heath Ledger auf die Spitze getrieben wurde, der permanent andere, gleich kranke Geschichten zu seiner Herkunft auf Lager hatte. Mit „An Innocent Guy“ (hier betitelt als „Ein ganz normaler Typ“) lieferte Bolland schließlich 1996 für die Kurzgeschichten-Sammlung „Batman: Black And White“ eine zutiefst verstörende Variante der Grundidee der Psychosen, die sich im biederen Alltag verstecken. Kombiniert mit einer ausführlichen Cover-Galerie, die Bollands Arbeiten für „Joker: Last Laugh“, „Batman: Gotham Knights“ und andere Reihen versammelt, und einigen Originalskizzen zum „Killing Joke“ – darunter auch das „Selfie“ mit Kamera, das als Vorlage zum Cover diente, bei dem in der vorliegenden Ausgabe übrigens das „Smile“ des Jokers weggelassen wurde – erhält der geneigte Leser ein feines Kompendium, um diesen Klassiker neu oder wieder zu entdecken. Wer es noch hochwertiger schätzt, der greift zur mittlerweile ebenfalls erhältlichen Deluxe-Ausgabe, die als großformatiges Hardcover ordentlich etwas hermacht.

Ach ja, zurück zum Witzmacher: als wir Brian Bolland vor einigen Jahren direkt sprechen durften – was wir natürlich nur respektvoll per „Sir“ taten – erläuterte er uns, dass das ausnahmsweise kein Wortspiel, sondern ein tatsächlich existierender, polnischer Hersteller von Kameras ist. Manchmal, das sagte ja schon Freud, ist die Zigarre eben nur eine Zigarre. Und der Name des grinsenden Protagonisten fällt im ganzen Geschehen kein einziges Mal.

Mehr zu den sprachlichen Waffengängen des Jokers findet sich in meinem Aufsatz „Die Funktion idiomatischer Wendungen in populärer Literatur am Beispiel Comicbook. Mit einer Beispielinterpretation von Alan Moores ‚The Killing Joke’” in Sprachwissenschaft 21 (1996), S. 337-366.

Eine Leseprobe gibt es hier.

Alan Moore, Brian Bolland: Batman – The Killing Joke. Panini, Stuttgart 2017. 116 Seiten, € 12,99 / Luxusausgabe € 29,99