Balloon Books – Oder: Wie man elegant Lizenzverträge umgeht

Seit 1977 schrieb der Schriftsteller und Comicautor Peter Mennigen zunächst deutsche Geschichten für Comicreihen wie „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“, „Conny“, „Biggi“, „Vanessa“, „Felix“, „Lasso“, „Phantom“, „Axel F.“ und zahlreiche weitere Serien des Bastei Verlags. Ab den 90er Jahren arbeitete er für andere Verlage wie Egmont (Disney-Magazine), Panini (Jessy, Sternentänzer, Willi will‘s wissen) und Ravensburger (u.a. Fix und Foxi). In dieser Zeit verfasste er auch internationale Comics: „Lucky Luke“, „Schlümpfe“, „Bessy“ und „Isnogud“. Aktuell arbeitet er zusammen mit Ingo Römling an der Mystery-Steampunk-Serie „Malcolm Max“. Für comic.de blickt er in unregelmäßigen Abständen zurück auf seine Arbeit im deutschen Comicverlagsgeschäft.

Die Geschichte der „Balloon Books“ (abgeleitet von der englischen Bezeichnung für „Sprechblase“ = „Word Balloon“, „Balloon“ oder „Speech Bubbles“) aus dem Bastei Verlag ist eng verknüpft mit der TV-Serie „ALF“. Noch vor Ausstrahlung der Show in Deutschland hatte sich der Chefredakteur der Bastei Jugendredaktion Werner Geismar die Rechte der von Marvel produzierten und publizierten ALF-Comics gesichert. Und zwar hinter dem Rücken seines Verlegers Gustav Lübbe. Dem erschien die Serie zu vulgär, um in Deutschland auch nur ansatzweise ein Hit zu werden. Erst der unvergleichliche Erfolg der ALF-Comics im Verbund mit einem entsprechenden Geldregen für den Verlag milderte die Vorbehalte des Verlegers gegenüber dem Alien aus Melmac.

Als die ersten ALF-Folgen im deutschen Fernsehen alle Quotenrekorde brachen und hierzulande das ALF-Fieber immer weiter um sich griff, führte das bei mir ebenfalls zu einigen Veränderungen. Durch meine Namensnennung im Impressum der ALF-Comics – und später auf den ALF-Buchcovern – trat ich erstmals aus dem Schatten der Anonymität heraus. Bereits kurz nach Erscheinen des ersten ALF-Heftes bat ein Radiosender um ein Interview. Was wiederum mein erstes Interview überhaupt werden sollte, per Telefon live über den Sender. Ich erwartete einige Fragen über ALF im Allgemeinen und meine Arbeit an dem Comic im Besonderen.

Ausgabe Nr. 2 des ALF-Comichefts (Bastei)

Nachdem mich der Moderator den Hörern vorgestellt hatte, wurde schnell klar, dass er den Comic nicht besonders mochte. Er ließ weder ein gutes Haar an den Zeichnungen noch an den Geschichten. Das Ganze gipfelte in seinem Vorwurf, dass ich(!) mich mit einem Wucherpreis für das Magazin auf unmoralische Weise an den ALF-Fans bereichern wolle. Ganz offensichtlich verwechselte mich der gute Mann mit dem Verleger. War zwar schmeichelhaft, jedoch nicht korrekt. Ich versuchte den Irrtum aufzuklären. Dass ich lediglich der Übersetzer und nicht der Herausgeber des Comics war. Und dass der Heftpreis analog zu ähnlichen Printprodukten sogar etwas niedriger angesetzt sei. Meine Einwände überhörte er großzügig und steigerte sich in einen endlosen Monolog seiner Sicht der Dinge. Ich hätte es schöner gefunden, wenn er mir in diesen vier oder fünf Minuten eine Frage zu ALF gestellt hätte. Aber was ich schöner fand, interessierte ihn nicht sonderlich bei seinem selbstgerechten Feldzug gegen meine „Profitmacherei“. Irgendwann wurde mir das zu blöd, ich legte den Telefonhörer beiseite und ging stattdessen meine Wellensittiche füttern. Später erfuhr ich von jemandem, der sich die Sendung bis zum Schluss angehört hatte, dass der Moderator offenbar nichts von meiner Absenz mitbekommen hatte.

Das leicht bizarre Interview änderte nichts an dem Triumph der Comics. Deshalb veröffentlichte Bastei – neben dem vierfarbigen ALF-Comic-Magazin im Überformat – zusätzlich ein Taschenbuch mit Nachdrucken der Comics in Schwarzweiß. Titel: „Irre Geschichten mit dem Knuddel-Chaoten“. Die erste Auflage des Buches erschien im Mai 1988 und war binnen einer Woche vergriffen. Im selben Monat folgte die Zweitauflage, die im Juni ausverkauft war. Im Juli folgten innerhalb von drei Wochen Auflage Vier und Fünf. Im August die sechste und im September die siebte. Man konnte gar nicht so schnell nachdrucken, wie sich das Buch verkaufte. In kurzen Intervallen schob man drei weitere Taschenbücher mit Nachdrucken der Comics hinterher. Doch dann neigte sich der Vorrat an Comics dem Ende der Fahnenstange entgegen.

1. Band des ALF-Taschenbuchs (Bastei)

Spätestens nach dem Volltreffer mit dem ersten Taschenbuch bereute man im Verlag, dass sich die erworbenen Rechte an ALF lediglich auf die Herausgabe der bereits existierenden Comics aus den USA beschränkten. Zu gern hätte man die Buchreihe mit eigenen Geschichten fortgesetzt. Allerdings besaß zum einen der Loewe Verlag die Buchrechte an ALF und zum anderen waren die Lizenzgebühren für ALF-Produkte aufgrund des Megaerfolgs inzwischen – zumindest für Bastei – in unbezahlbare Höhen geschnellt. Selbst wenn die Buchlizenz zu dem Zeitpunkt noch nicht vergeben gewesen wäre, hätte der Verlag die sich kaum mehr leisten können. Was also tun?

Bei Bastei überlegte man sich einen Plan B. Mögliche Vertragslücken auszuloten, gehörte – aufgrund des zur Verfügung stehenden, chronisch geringen Budgets – zu den Spezialitäten der Redaktion. Das Ergebnis des Brainstormings lautete „Balloon Books“. Dabei handelte es sich um Taschenbücher mit Abbildungen aus den Comics. Freilich dienten die Abbildungen lediglich als Alibi zur formalen Tarnung des Produkts als Comic. Pro Seite gab es ein Schwarzweiß-Panel und eine kleine freigestellte Illustration aus dem Comic. Den Großteil der Seite füllten dann mehrere kleine und eine gigantische Sprechblase mit dem Text, den zu schreiben mir vorbehalten war. Im Grunde genommen handelte es sich bei dem Ergebnis also um einen Hybriden aus Comic und Roman.

Damit man den Loewe Verlag (Lizenzinhaber der ALF-Buchrechte) deswegen nicht gleich auf die Palme und sich selbst womöglich auf eine Anklagebank brachte, hielt Bastei sich bei dem ersten „Balloon Book“ mit der Textmenge noch etwas zurück. Ich nahm für jede Seite lediglich einen Spruch von ALF und suchte aus der Fülle der bestehenden Comiczeichnungen eine dazu passende Illustration aus. Die meisten Sprüche stammten aus der Fernsehserie, einige habe ich mir auch selbst aus den Fingern gesaugt. Das erste ALF-Sprüchebuch erschien im Juni 1988 mit einer weitaus höheren Auflage als das erste ALF-Comicbuch. Trotzdem waren die Bücher binnen weniger Tage vergriffen. Bis Februar 1989 folgten acht weitere Auflagen, die das Sprüchebuch in die Top Ten der Bestsellercharts katapultierten.

Das ALF-Sprüchebuch, Band 1 (Bastei)

Bei dem sich abzeichnenden Megaerfolg gab es für Bastei kein Halten mehr. Eine mögliche Anzeige wegen Lizenzverletzungen hin oder her erteilte man mir den Auftrag für weitere „Balloon Books“. Neben einem zweiten und dritten ALF-Sprüchebuch schrieb ich außerdem drei „Balloon Bücher“ in Romanform mit komplett neuen ALF-Geschichten. Für die kreative Umsetzung hatte ich vollkommen freie Hand. Titel, Inhalt, Sprachstil und Auswahl der Illustrationen überließ die Redaktion mir. So erschienen ab März 1989 in kurzen Intervallen die ALF-Bücher „ALF auf Tour…“, „Was wäre wenn…“, „Meine Memoiren“ und „Von Mülltonne zu Mülltonne“. Das riskante Manöver gelang. Höchstwahrscheinlich nicht sonderlich erfreut, wohl eher zähneknirschend und mit geballten Fäusten in der Tasche, nahmen sowohl der Lizenzgeber als auch der Loewe Verlag den geglückten Coup von Bastei lediglich zur Kenntnis und fanden sich damit ab.

Nach Ende des ALF-Hypes und der Einstellung der ALF-Comics setzte man die erfolgreichen „Balloon Books“ mit anderen Titeln fort. Im August 1990 – einen Monat vor den vierfarbigen Comicmagazinen – erschien „Graf Duckula – Geschichten mit Biss“, die Abenteuer einer vegetarischen Vampir-Ente.

Bei den meisten auf Trickfilmen basierenden Serien bekam ich vorab mehrere Folgen auf Video. Weil Bastei mit dem „Balloon Book“ möglichst schnell auf dem Markt sein wollte, wich das Prozedere bei „Graf Duckula“ insofern ab, als ich zunächst lediglich einen Stapel Schwarzweiß-Kopien der Protagonisten erhielt, auf denen ab und an ein oder zwei Sätze zu deren Besonderheiten und ihrem Verhältnis zueinander standen. Alles andere durfte ich mir dann zusammenreimen. Das erschwerte mir die Umsetzung der Serie mit eigenen, neuen Geschichten. Erst nach Fertigstellung des Skripts für das erste „Balloon Buch“ schickte man mir Kopien der von Marvel publizierten Comics, aus denen ich im Nachhinein Illustrationen für meine Storys aussuchte. Insgesamt erschienen zwei Duckula-Bücher: „Mein Leben als Vampir-Ente“ und „Liebe ist wie Spinat“

1. Band des Beetlejuice-Balloon-Books (Bastei)

Im selben Jahr verfasste ich zudem noch Geschichten für eine weitere neue „Balloon Serie“: „Beetlejuice“. Sie basiert auf der gleichnamigen amerikanischen Trickfilmserie, die wiederum auf Tim Burtons Realverfilmung aus dem Jahre 1988 fußt. Zwischen 1989 bis 1991 wurden insgesamt 94 Trickfilme über den schwarzhumorigen Geist und seine Gruftie-Freundin Lydia Deetz ausgestrahlt. Wie bei „Graf Duckula“ brachte Bastei insgesamt zwei Titel der Serie heraus: „Wenn die Gruft ruft“ und „Hoppla, jetzt spuke ich“.

Eines der Highlights der Balloon-Reihe war für mich neben „Lucky Luke“ sicherlich „Isnogud“ von Jean Tabary. Zwar besaß Egmont Ehapa die Rechte für die deutschen Albenveröffentlichungen, nicht aber die für Taschenbücher. Für die Illustrationen des ersten Buches wählte ich Bilder aus den bestehenden Isnogud-Alben. Nun ist „Isnogud“ nicht irgendeine Serie, sondern zählt zu den europäischen „Schwergewichten“ im Comicbereich. Umso stolzer war ich, neue Geschichten des Großwesirs verfassen zu dürfen und umso überraschter dann, dass Tabary offenbar wenig Interesse an der Veröffentlichung zeigte.

1. Band des Isnogud-Balloon-Books (Bastei)

Morris verfuhr da ganz anders. Bevor ich die Comics mit neuen Lucky Luke Storys schrieb, veröffentlichte Bastei das erste von drei Lucky Luke „Balloon Books“. Morris war sehr darauf bedacht, dass mit seinem Lucky Luke kein Schindluder getrieben wurde. Bei den später erscheinenden Comics musste ihm jedes meiner Exposés und jedes Skript in französischer Übersetzung zur Genehmigung vorgelegt werden. Ob dieses Prozedere ebenfalls bei den „Balloon Books“ stattfand, kann ich nicht sagen, es mir jedoch gut vorstellen.

Das letzte Balloon-Book kam im Jahre 1995 auf den Markt und war der Kultserie um Al Bundy und seiner „schrecklich netten Familie“ gewidmet. In den USA erschien der Comic zur Fernsehserie im Verlag „NOW Comics“ unter dem Originaltitel „Married with Children“. Bastei erwarb die Comic-Lizenz für Deutschland und veröffentlichte zwischen 1993 und 1994 außer dem „Balloon Book“ insgesamt zwölf vierfarbige Magazine im Überformat. Das „Balloon Buch“ bestand – wie die ALF Sprüchebücher – aus Al-Bundy-Sprüchen. Die meisten stammten aus der TV-Serie, einige auch von mir.

Als nächstes war ein weiteres Lucky Luke Buch geplant. Titel: „Knapp vorbei ist auch daneben“. Obwohl ich das Skript fertig geschrieben hatte und es vom Verlag bereits abgenommen war, wurde es nicht mehr veröffentlicht. Mitte der 1990er Jahre kam es durch den Tod des Verlegers Gustav Lübbe zu einer partiellen Neuausrichtung bei Bastei, der die Jugendredaktion zum Opfer fiel. Bis auf „Gespenster Geschichten“ wurden alle Comicreihen eingestellt. Damit endete gleichfalls das Kapitel der „Balloon Books“.



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