Verzweiflung – „Der Traum von Olympia“

Reinhard Kleist ist ein Comic-Storyteller der Spitzenklasse, egal ob auf der Langstrecke der Graphic Novel oder der Kurzstrecke des Comic-Strips. Derzeit arbeitet er an einer weiteren Comic-Biografie über einen Musiker – nach Johnny Cash ist als nächstes ein Panel-Portrait von Nick Cave dran. Anfang des Jahres erschien indes Kleists „Der Traum vom Olympia“, das ein halbes Jahr später aktueller ist denn je, wenn man sich die Schlagzeilen so anschaut.

In „Der Traum von Olympia“ schildert Kleist, dessen Reportage aus einem syrischen Flüchtlingslager im Nordirak im diesjährigen Gratis-Comic-Tag-Heft „Reinhard Kleist: Backstage“ abgedruckt war, das tragische Schicksal der jungen somalischen Leichtathletin Samia Yusuf Omar. Bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking kommt sie im Sprint über 200 Meter als Letzte ins Ziel. Dennoch träumt sie von den nächsten Spielen 2012 in London. Doch die Bedingungen in ihrer afrikanischen Heimat machen die Vorbereitung praktisch unmöglich: Das Trainingsgelände ist ein Albtraum, und die religiösen Fundamentalisten verbieten Frauen jegliche sportliche Aktivität und bedrohen sogar Samias Leben.

Letztlich sieht Samia die Flucht nach Europa als einzige Chance. Aus diesem Grund lässt die junge Sprinterin sich auf eine Odyssee ein, die sie großen Strapazen aussetzt und skrupellosen Schleppern ausliefert. Diese wollen unterwegs ständig mehr Geld, und die angeblich fest geplante Reiseroute nach Italien entpuppt sich als Lüge. Samia sitzt fest, und selbst das Posten ihrer Facebook-Statusmeldungen, die Kleist im Comic als narratives Stilmittel einbindet, wird immer schwieriger. Am Ende klappt es zwar mit der Mittelmeer-Überfahrt in einem hoffnungslos überladenen Boot, allerdings überlebt Samia sie nicht – die 21-jährige ertrinkt auf See.

In seinem Flüchtlingsdrama, das vom ökonomischen Strich her unverkennbar Kleist ist und ursprünglich als Fortsetzungsgeschichte in der „FAZ“ erschien, erinnert ein Einzelschicksal daran, dass es jenseits der linken und rechten Extreme sowie der sicherlich notwendigen Debatte über Kapazitäten in vielen Fällen um zutiefst verzweifelte Menschen geht.

Reinhard Kleist: Der Traum von Olympia. Carlsen, Hamburg 2015. 152 Seiten, € 17,90