Moby Dick taucht mal wieder auf

Erkennt man einen wahren Klassiker der Weltliteratur daran, wie oft er quer durch alle Medien adaptiert und interpretiert wurde? Nicht zwingend, aber es ist eines der untrüglichen Zeichen. „Moby Dick“ von Herman Melville (1819–1891) ist einer dieser wuchtigen literarischen Klassiker, zuhause in Filmen, auf der Bühne, in Hörspielen, in verstümmelten Jugendbuch-Ausgaben, in freien Hommagen oder Interpretationen wie China Mievilles postapokalyptischem Roman-Geniestreich „Das Gleismeer“, und natürlich in Comics.

Mit Panels und Sprechblasen wurde „Moby Dick“ schon viele Male harpuniert. In diversen „Illustrierte Klassiker“-Fassungen, wo Abenteuerliteratur traditionell hoch im Kurst stand – 1990 schufen sogar „Daredevil“-Autor D. G. Chichester und der unvergleichliche Bill Sienkiewicz eine Adaption als „Classics Illustrated Graphic Novel“, in der sie die vielen inhaltlichen Facetten der Melville’schen Schwarte einzufangen versuchten. 1998 raffte hingegen der große Will Eisner im Herbst seiner Karriere den Roman auf weniger als drei Dutzend Comic-Seiten zusammen. Zehn Jahre später machten sich der legendäre Marvel-Macher Roy Thomas und der französische Zeichner Pascal Alixe an eine weitere Comic-Umsetzung.

Französische Comic-Künstler scheint es die Geschichte vom getriebenen Einbeinigen und dem weißen Leviathan ohnehin angetan zu haben. 2014 erst kleideten Szenerist Olivier Jouvray und Zeichner Pierre Alary den Klassiker in etwas weichere, auf Farbstimmung setzende Bilder, wie im Splitter-Hardcover zu sehen – und jetzt ist die Comic-Variante des 1967 geborenen Christophe Chabouté (Ganz allein, Fegefeuer) bei Egmont Graphic Novel erschienen. Im französischen Original in zwei Bänden veröffentlicht, kommt Chaboutés Moby in der deutschen Übertragung von Ulrich Pröfrock als 256 Seiten starker Einzelband angeschwommen.

Chaboutés intensive Schwarzweiß-Aufbereitung konzentriert sich auf Kapitän Ahabs Obsession und Wahnsinn und weiß dabei genauso zu überzeugen wie in der Darstellung von Starbucks Zweifeln. Ein oder zwei Mal zeigt Chabouté zumindest kunstvoll die Handgriffe auf einem Walfänger, was in Melvilles Vorlage einigen Raum einnimmt und im Comic gerne auch etwas präsenter hätte sein können. Aus dramaturgischer Sicht ist es nur allzu verständlich, wieso Ahabs glühender Pottwal-Fanatismus im Mittelpunkt rudert. Außerdem versteht es Monsieur Chabouté, sich das Pacing, also die Verlangsamung und Beschleunigung der Zeit in den einzelnen Szenen, zu Nutze zu machen. Sein gutes Storytelling und interessantes Artwork, dem er zwischendurch ganz ohne Worte vertraut (ungewöhnlich für eine Buch-Adaption!), sind definitiv die Pluspunkte dieser Comic-Nacherzählung.

Der weiße Wal wurde schon oft gesehen und gejagt – trotzdem tauchen noch immer gute neue Adaptionen von „Moby Dick“ auf.

Herman Melville, Christophe Chabouté: Moby Dick. Graphic Novel. Egmont Graphic Novel, Köln 2015. 256 Seiten, € 29,99

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