Der erfolgreiche Batman-Autor Scott Snyder legt sein persönlichstes und intensivstes Werk vor.
Sailor ist schon grundsätzlich ein sehr ängstliches und introvertiertes Mädchen. Die brutale und grobschlächtige Annie drangsaliert sie tagtäglich und setzt sie unter Druck. Nach einer Konfrontation im Wald ist ihre Peinigerin verschwunden, Sailor selbst kommt mit einer Kopfverletzung davon. Die zerrüttete Familie, die zusätzlich unter der Gehbehinderung der Mutter und den persönlichen Dämonen des Vaters, eines Comiczeichners leidet, sucht nun ihr Heil in einer neuen Stadt, in der sie gemeinsam von vorn beginnen wollen. Doch die Gerüchte um das mysteriöse Verschwinden von Sailors Kontrahentin eilen dem traumatisierten Mädchen voraus. Was genau ist an diesem Tag im Wald geschehen?
Mit „Wytches“ schuf der gefeierte Batman-Autor Scott Snyder sein bislang persönlichstes und intensivstes Werk, dessen Erfolg weder Künstler Jock und er, noch der amerikanische Image-Verlag in diesem Ausmaß vermutet hätten. Doch trotz der sehr kunstvollen Inszenierung, mit all ihren verfremdeten, leuchtenden Farben und dynamischen Aquarell-Klecksen bietet die haarsträubend gruselige Graphic Novel exzellente Unterhaltung, die sich zwar immer auf hohem Niveau befindet, aber sich nicht in sozialkritischem Gejammer verliert.
Mit vielschichtigen, glaubhaft interagierenden Charakteren und beispiellos geschicktem Umgang mit den Urängsten ihrer Leser treiben Künstler und Autor Hand in Hand jeden Glückspilz, der „Wytches“ einmal aufgeschlagen hat ohne Atempause durch eine Achterbahnfahrt der Albträume. Es scheint beinahe unmöglich, den Band beiseite zu legen, bevor man endlich hinter jedes der dunklen Geheimnisse in dem zwar unscheinbaren, aber unglaublich bitteren und giftigen Comic gekommen ist. Obwohl Plot und Bildsprache offensichtlich bewusst Bezug auf die jungen Horrorfilm-Klassiker „Blair Witch Project“ und „The Descent“ nehmen liest sich der intelligente Hexen-Thriller extrem frisch, unverbraucht und kurzweilig. Und wie es sich für ein richtig gutes Horror-Szenario gehört, belohnt das finale mit einer absolut unvorhersehbaren Wendung, die auch routinierten Horror-Experten zu schockieren weiß.
Ein echter Überraschungshit in gebührend hübscher Hardcover-Fassung, der mit reichhaltigen, fesslenden Hintergrundinfos aus der Feder von Snyder selbst wirklich keine Wünsche mehr offen lässt. Chapeau, Splitter geben sich wirklich keinerlei Blöße bei der Auswahl und Präsentation ihrer US-Titel.
Scott Snyder, Jock a. k. a. Mark Simpson, Matt Hollingsworth: Wytches Bd. 1. Splitter, Bielefeld 2016. 192 Seiten. 24,80 Euro