„Tales from the Crypt“, „The Vault of Horror“ oder „Weird Science“: Bei Titeln wie diesen klingelt es nicht nur in den Ohren hartgesottener Comic-Fans. Der New Yorker Verlag EC Comics, der Heftserien wie diese ab Anfang der 1950er-Jahre herausgab, schuf mit seinen zum Teil ziemlich morbiden und blutrünstigen, aber immer virtuos gezeichneten Horror-, Crime- und Science Fiction-Storys einen neuen Trend im superheldendominierten Comicbusiness. Mit subtilem Humor, einer guten Portion Subversion und einer sozialkritischen Note legte EC Comics auch einen Grundstein für die aufkeimende Jugend- und Popkultur – unter anderem auch mit dem legendären „MAD Magazine“.
Der Taschen-Verlag hat nun die bewegte Geschichte des Kultverlags in einen sechs Kilo schweren Prachtbildband gepackt – samt illustren Details, bisher unveröffentlichten Raritäten, einer kompletten Cover-Galerie und vielen Originalzeichnungen.
Von informativen Sachcomics zu schonungslosem HorrorDer Verlag geht zurück auf Max Gaines, der mit „Famous Funnies“ Comic-Geschichte geschrieben hatte und mit dem Verlag All-American Comics die Wiege von „Wonder Woman“ und anderen Superheld*innen mitbegründet hatte. 1945 gegründet, stand EC noch für Educational Comics. Tatsächlich versuchte sich Gaines mit Bibelgeschichten und informativen Sachcomics wie „Picture Stories from World History“ und „Picture Stories from Science“. Der Erfolg hielt sich in Grenzen. Als Gaines 1947 bei einem Bootsunfall starb, übernahm sein 25-jähriger Sohn Bill vollkommen unverhofft den Verlag, dessen Akronoym EC nunmehr für Entertaining Comics stand.
Anstatt weiter mit Romance-, Western- und Krimiheften den Trends anderer Verlage zu folgen, begannen der junge Bill Gaines und seine Mannschaft innovativer Autoren-Zeichner wie Wallace Wood und Al Feldstein darauf umzusatteln, selbst neue Wege zu gehen. Sie experimentierten mit einem schonungslosen, realistischerem Zeichenstil und Pulp-Storys, gespickt mit Zombies, Geköpften, Hexen und wandelnden Leichen in sämtlichen Stadien der Verwesung. Wie nachhaltig die neue Schiene die Generation prägte, zeigen Stephen King, George Romero, John Carpenter, George Lucas und Steven Spielberg, die EC-Comics zu ihren Inspirationsquellen zählen.
Sozialkritische Tabubrecher
Die Comics, die ganz bewusst überzeichnet waren und – immer mit einem Augenzwinkern – Gänsehaut einjagen sollten, trafen den Nerv der Epoche. Sie reflektierten die Ängste, Tabus und gesellschaftlichen Repressionen des vom Kalten Krieg geprägten Zeitalters, und begaben sich direkt in die Abgründe menschlichen Wahns.
In oberflächlich sensationsgierenden Titeln wie „Crime“ und „Shock“ wurden Themen wie Rassismus, Polizeigewalt, Drogenabhängigkeit und Antisemitismus sozialkritisch verhandelt – ein absolutes Novum zu dieser Zeit. Auch die Kriegs-Comics in „Two-Fisted Tales“ und „Frontline Combat“, beide vom späteren MAD-Gründer Harvey Kurtzman herausgegeben, stellten die Schrecken des Krieges ungeschminkt und aus einer pazifistischen Perspektive dar.
Schräge Science FictionDie ständige Angst vor der atomaren Apokalypse spiegelte sich auch in den stilprägenden Science-Fiction-Comics, die im EC Verlag zu Hochtouren auffuhren. Sie waren die wahre Leidenschaft der Truppe rund um Gaines: „Feldstein und Gaines hatten Spaß mit den Horrorcomics, aber sie liebten es Science-Fiction-Hefte zu machen“, schreibt Grant Geissman, EC-Experte und Jazzmusiker, der sich für den Taschen-Verlag tief in die Verlagsgeschichte grub.
Lange Diskussionen über Möbiusbänder, Zeitschleifen oder die Klein’sche Flasche mündeten in ausgefeilte SF-Storys, die in „Weird Fantasy“ und „Weird Science“ präsentiert wurden – samt schräger Lebensformen in fernen Welten, Klone, Zeitsprünge, künstlicher Intelligenz und allem was zum bis heute gültigen Repertoire an hochtrabenden Zukunftsvorstellungen gehört. Neben einer Fülle an eigenen Storys wurden viele Texte von Ray Bradbury adaptiert, mit dem eine langjährige, freundschaftliche Zusammenarbeit bestand.
Anti-Comics-Kampagne
Die Zäsur kam im Jahr 1954, als in den USA die öffentliche Kritik an Comics immer weiter hochkochte. Inmitten des reaktionären Klimas, in dem Sittenwächter wie Joseph McCarthy nicht nur hinter dem Kommunismus, sondern auch kulturellen Bewegungen wie dem Rock’n’Roll eine Bedrohung für die Vereinigten Staaten witterte, fielen nun auch Comics der allgemeinen Hysterie zum Opfer.
Dabei standen die EC-Comics im Mittelpunkt einer beispiellosen Kampagne, die vom Psychologen Fredric Wertham losgetreten wurde. In seinem pseudowissenschaftlichen Buch „The Seduction of the innocent“ (1954) versuchte er zu belegen, dass Comics praktisch als Einstiegsdroge zu Kriminalität jeder Art dienen würden. In der Folge setzte der schon länger aktive Justizausschuss des Senats zu Jugendkriminalität eine Untersuchungskommission ein, die landesweit im Fernsehen übertragene Hearings veranstaltete – ein Schauprozess gegen Comics.Hearings und Comics-Verbrennungen
Auch Bill Gaines, dessen Verlag zum Symbol für die Verkommenheit der Comic-Industrie schlechthin hochstilisiert wurde, trat zur Aussage an. Seine Verteidigung der Horror und Crime Comics, bei der er u. a. argumentierte, dass die Comics sich an Erwachsene richteten und darüber hinaus auch Jugendlichen zwischen Fiktion und Realität unterscheiden könnten, half nichts.
Die Stimmung führte so weit, dass es US-weit in einigen Gemeinden zu öffentlichen Comic-Verbrennungen kam – ein Jahr nach dem Erscheinen von Ray Bradburys „Fahrenheit 451“, wie Geissman anmerkt.
Um staatlichen Zensurmaßnahmen zuvorzukommen, entschloss sich die Comic-Industrie schließlich zur Selbstzensur. Ab Oktober 1954 prüfte die Comic Code Authority alle Veröffentlichungen. Darstellung von Blut und erotischen Posen war ebenso verboten wie Respektlosigkeit gegen Autoritäten, kontroversielle Themen wie Religion, Politik und Rassismus und vieles mehr. Von dem Siegel hing de facto ab, ob die Hefte in den Handel gelangen durften.
KurswechselGaines blieb nichts anderes übrig, als die gesamten Horror- und Crime-Serien einzustampfen. Nur die Science-Fiction-Comics überlebten, außerdem wurde ein Relaunch mit Abenteuer- und Thrillergeschichten gestartet – doch das typische EC-Flair und die Fanbasis waren verloren.
Aber immerhin: Mit „MAD“, das als Magazin relauncht wurde, hatte der EC-Verlag nicht nur ein komplett neues Humor-Genre geschaffen, sondern auch das provokative Element über die Zensur hinübergerettet. „Der Einfluss von MAD kann nicht überschätzt werden“, schreibt Geissman. „Kurtzmans MAD säte den Samen der Anarchie, in den Cartoonisten der folgenden Underground-Comix-Bewegung der 1960er-Jahre (…) genauso wie im zukünftigen Monty-Python-Mitglied und Filmregisseur Terry Gilliam.“
Bilder, die zum Kult wurden
Im neuen Taschen-Konvolut, das auf knapp 600 Seiten die Jahre 1933 bis 1956 mithilfe unzähliger Quellen rekonstruiert, sprechen aber vor allem die Bilder für sich: Großformatige Ausschnitte, Skizzen, Fotos, Covers – und vollständig abgedruckte Geschichten wie den Klassiker der NS-Aufarbeitungscomics „Master Race“ von Bernard Krigstein oder Al Feldsteins „My World“, eine Liebeserklärung an die Science Fiction.
Nach dem Ende der klassischen Horror-Comics wurde EC schlicht Kult, der mit diesem Taschen-Ziegel eine angemessene Würdigung bekommt. Für die Fans war EC ohnehin nie totzukriegen – genauso wie die Leichen, die in den Comics immer wieder aus ihren Gräbern steigen.
Diese Kritik erschien zuerst am 21.12.2020 auf dem Standard-Comicblog Pictotop.
Hier gibt es eine weitere Kritik zu „The History of EC Comics“.
Karin Krichmayr arbeitet als Wissenschaftsredakteurin für Der Standard. Außerdem betreibt sie für die österreichische Tageszeitung den Comicblog Pictotop.