Peter Eickmeyer und Gaby von Borstel („Im Westen nichts Neues“, „Heinrich Heine“) haben eine illustrierte Ausgabe zu Edgar Allan Poes berühmtem Schauergedicht „Der Rabe“ herausgebracht.
Schwarz ist sie, die Stimmung des lyrischen Ichs – in tiefer Trauer um seine verschiedene Angebetete Lenore hat er sich vor dem Kamin zurückgezogen und in alten, metaphysischen Büchern Trost gesucht. Da klopft es, herein flattert ein ebenso pechschwarzer Rabe, der sich auf die Pallas-Büste auf dem Kaminsims niederlässt. Der Sprecher tritt in einen erst amüsierten, dann immer dramatischeren Dialog, dessen Fragen der Besucher stets mit einem gekrächzten „Nimmermehr“ beantwortet – bis der Leidende davon überzeugt ist, dass der Rabe, wie der Schatten seiner Melancholie, ihn nie mehr verlassen wird.
Was sich rein rational als ein kleines Stück absurde Melodramatik liest, ist eines der genialsten Gedichte der Weltliteratur. Mit „The Raven“ lieferte der noch weitgehend unbekannte Edgar Allan Poe 1845 sein lyrisches Meisterwerk, das ihn nicht zuletzt durch eindrucksvolle Darbietungen durch den Autor selbst, vorgetragen in hypnotisch-suggestivem Singsang, auf einen Schlag bekannt machte. Das Gedicht brilliert durch eine magische Sprachmelodie und liefert ein Paradebeispiel für das, was Poe in seinen Kurzgeschichten als das Makabre und „Arabeske“ bezeichnete – ein schauerhafter, atmosphärischer Gesamteindruck, der weit über dem Inhalt steht.
Letztlich ging es Poe nach eigenen Worten darum, dass die Poesie die „Unbestimmtheit des von einer süßen Melodie erweckten Hochgefühls“ erzeuge, ohne dies weiter zu ergründen, getreu dem Motto „art for art’s sake“. Dies gelingt in „The Raven“ formidabel, mit gehörigen Anspielungen auf die Alkohol- und Drogenproblem des Dichters, der sein kurzes Leben mit Schnaps und dem seinerzeit frei verfügbaren Laudanum vergeblich zu verschönern versuchte: Nur vier Jahre nach seinem Erfolg mit dem Raben verstarb Poe unter mysteriösen Umständen. An einer nahezu unmöglichen Übersetzung des Gedichtes versuchten sich viele Federn, am nächsten kam dem Original wohl noch die Variante des Deutsch-Amerikaners Carl Theodor Eben von 1869, die auch die Basis für die hier vorliegende optische Untermalung des Textes bietet.
Treffend als „illustriertes Gedicht“ betitelt, legen Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer (u. a. „Der zweite Mann“, „Heinrich Heine“) eine kongeniale Untermalung des Textes vor, der zunächst in der deutschen Übersetzung und dann abermals im englischen Original in voller Länge enthalten ist. Auf jeder Seite findet sich jeweils eine Strophe, umrahmt von einer eindrucksvollen optischen Kombination des in aquarellhaftem Blau-Schwarz gehaltenen Besuchers und dem in Rot erscheinenden Protagonisten, der sich als sprichwörtlicher „roter Faden“ durch Geschehen zieht. Ebenfalls in Rot gehalten sind die leitmotivischen Schlüsselwörter: „Lenore“, „Nevermore“, all das erscheint im Bilde ebenso wie die symbolträchtige Pallas-Büste.
Im englischen Teil dominiert dann vollends eine pechschwarze Gestaltung, die die Atmosphäre nochmals erdrückender macht. Damit die Sache allerdings nicht gänzlich ins Melancholische abdriftet, fügen die beiden Macher noch ein Essay zu Poes Leben und Werk hinzu, wozu sich noch eine kleine Rehabilitation des oft geschmähten titelgebenden Raben gesellt, der in mancher Kultur durchaus positiv als Götterbote und Weisheitsstifter besetzt ist – und dessen reales Vorbild für die Zeichnungen im Heimattierpark Bielefeld wohnt.
Hier findet sich ein Interview mit Peter Eickmeyer und Gaby von Borstel.
Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.
Peter Eickmeyer, Gaby von Borstel: Der Rabe/The Raven • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 64 Seiten • Hardcover • 18,00 Euro
Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.