Die schlimmste zweier Welten – „Parallel“

Wir schreiben das Jahr 2082: die Erde ist von Kriegen zerrüttet, die Rohstoff-Vorräte sind erschöpft. Unweigerlich scheint man auf das ultimative Ende zuzugehen, das die nächste Auseinandersetzung mit sich bringen wird. In einer verzweifelten Mission schickt man daher Raumschiffe ins All, die nach bewohnbaren neuen Welten suchen sollen. Eines dieser Expeditionsschiffe ist die Hybris, die unter Kommando von Commander Sylan Kassidy unterwegs in einen Magnetsturm gerät und von den Ortungsgeräten verschwindet. Kurioserweise besteht dennoch weiterhin bester Funkkontakt, als ob das Schiff gleich um die Ecke parken würde. So kann man in Cap Franklyn in den USA mitverfolgen, wie Kassidy und seine Mannschaft tatsächlich auf einem erdähnlichen Planeten stranden, der halbwegs bewohnbar scheint – wenn man von der klirrenden Kälte absieht. Und den monströsen Wesen, die sich kurz nach der Bruchlandung über das Schiff hermachen und sich die Eindringlinge höchst gewaltsam vornehmen.

Mit einem Shuttle gelingt nach einem wagemutigen Manöver die Flucht, während derer man sogar die Leiche eines Angreifers untersuchen kann. Schiffsärztin Doktor Mahru macht dabei erstaunliche Entdeckungen: die Bewohner des unwirtlichen Eisplaneten sollten doch eigentlich behaart, widerstandsfähig und dickhäutig sein – stattdessen weist das Exemplar eine äußerst menschenähnliche Anatomie auf. Als vor dem Shuttle plötzlich die Silhouette einer altbekannten Stadt auftaucht, kommt langsam Licht ins Dunkel: man scheint auf einer Art Kopie New Yorks zuzufliegen, das offenbar vor Jahrzehnten verwüstet wurde. Im letzten großen Krieg des Jahres 2070 wollte der US-Präsident die Russisch-Chinesische Allianz in einem groß angelegten, präventiven Nuklearschlag endgültig vernichten – wobei die großflächigen atomaren Zündung offenbar zu einem Riss im Raum-Zeit-Gefüge führten und eine parallele Erde erzeugten, auf der die Geschichte in leicht abgewandelter Form abläuft: auf dieser alternativen Erde wurde New York durch einen gigantischen, atomaren Angriff, garniert mit mutagenen Viren, in eine Wüste verwandelt, in der die Zerrbilder der Menschen vegetieren, die die Hybris attackiert haben…

Parallele Welten! Multiversen! Die Idee der leicht versetzten, alternativen Realitäten kennen wir sattsam aus Film, Funk, Fernsehen und Comics, von den einschlägigen Star Trek-Episoden (empfehlenswert hier vor allem „Mirror, Mirror“) bis hin zur Erde 2 (bis 58), die im DC-Universum ein wunderbares Experimentierfeld bietet. Spiegelwelten dienen üblicherweise als spannendes Reagenzglas, in dem bekannte Konstellationen und Figuren neu erprobt und in anderen Kontext gestellt werden (Kirk als Klingone, Superman heiratet Lois, die Golden Age Helden dürfen wieder auftreten, so in diese Richtung), was in der guten Tradition des „What if?“-Konzeptes den guten alten Conan ja sogar schon ins moderne Manhattan geführt hat.

Philippe Pelaez fügt in seiner Version allerdings das Element der dystopischen Anti-Utopie hinzu, dessen wohl bekanntester Vertreter klar als Inspiration dient: als die Besatzung der treffend benannten Hybris (der Hochmut der Menschen gerät zu ihrem Fall) durch das entfremdete New York stapft, ragt die Freiheitsstatue als umgestürzte Ruine empor – weshalb schon weiland Charlton Heston am Strand erkennen musste, dass der scheinbar weit entfernte Planet der Affen nichts anderes als die zukünftige Erde nach einem Atomkrieg ist. In der klugen Umsetzung der Grundidee läuft die Handlung während eines Flashbacks ins Jahr 2070 auch optisch parallel: nach der Trennung der beiden Erden entfalten sich auf gegenüberliegenden Seiten quasi gespiegelt die jeweils gleichen Handlungsstränge – hier die Version, die Kassidy kennt, und dort die Variante, die zur Verwüstung führt, durch die er letztendlich watet. Auch optisch ist das Geschehen von Laval NG („Die Reise ans Ende der Welt“, „Die Chroniken von Sillage“) trefflich inszeniert, mit detaillierten, teilweise ineinander fließenden Panels, die die franko-belgische SF-Schule genauso evoziert wie die schlurfenden lebenden Toten, die wir aus den einschlägigen Zombie-Stories und auch „Alice Matheson“ bestens kennen. Ein spannendes, faszinierendes Gedankenexperiment somit. Wir sind gespannt, wie es im Multiversum weitgeht – it’s up to you, New York, New York.

Philippe Pelaez, Laval NG, Florent Daniel: Parallel Bd. 1 – New York, New York. Splitter, Bielefeld 2017. 64 Seiten. 14,80 Euro