In seiner neuen Graphic Novel „Das Buchmaultier von Córdoba“ erzählt Comicautor Wilfrid Lupano („Die alten Knacker“) eine hochaktuelle und trotzdem schreiend komische Geschichte über den Konflikt zwischen religiöser Machtgier und der Freiheit, die durch Wissen geschaffen wird.
Córdoba, Hauptstadt des gleichnamigen Kalifats auf der iberischen Halbinsel im Jahr 976. Die Bibliothek, nach der in Bagdad die zweitgrößte der Welt, soll zerstört werden. Denn der Wesir Mohammed Amir, der den gerade einmal elfjährigen Kalifen „vertritt“, plant aus den üblichen Gründen (also Machtgier und religiösem Wahn) eine gigantische Bücherverbrennung. Da Eile geboten ist, schickt sich Bibliothekar Tarid an, mithilfe der Kopistin Lubna so viele Exemplare wie möglich vor der Vernichtung zu bewahren. Just als der Büchercoup startet, taucht Marwan auf, ein Ex-Schüler von Tarid, samt seinem Maultier, dem „lausigsten seit Menschengedenken“. Dennoch benutzen es Tarid und Lubna als Buch-Transporter, womit eine abenteuerliche Flucht beginnt. Die äußeren Umstände führen also das ungleiche Trio zusammen, der heimliche wie sture Star der Geschichte ist jedoch das Maultier, dessen genervte Blicke verpassen vielen Szenen erst die humoristische Würze.
Überhaupt ist der Humor exquisit und kommt nicht brachial daher, sondern fein und subtil, gewürzt mit einer angemessenen Prise Ironie. Die Flucht des Trios ist denkbar schlecht vorbereitet und scheint von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Tarid, keine körperlichen Anstrengungen gewohnt, ist mit Pantoffeln unterwegs, das Maultier überladen und auch Marwans Einfälle zünden nicht. Der Hunger ist ständiger Begleiter. Doch Tarid ist fest entschlossen, aller Widrigkeiten zum Trotz die wertvollen Folianten und damit auch unschätzbares Wissen für die Nachwelt zu retten.
Auch in der damaligen arabischen Welt, die in Form des Kalifats von Córdoba auf der iberischen Halbinsel in Europa präsent war und als wesentlich fortschrittlicher und zivilisierter als die westliche galt, gab es noch keinen Buchdruck. Die Bücher mussten mit großem Aufwand händisch kopiert, also abgeschrieben werden und waren somit ein kostbarer und seltener Besitz. Dass ein skrupelloser Fanatiker, getrieben von religiösen Fundamentalisten und von Macht- und Eroberungsfantasien zerfressen, die Herrschaft an sich reißt und dazu Bücher verbrennen lässt, um die „einzige Wahrheit“ zu verbreiten, ist der erzählerische Link zur Gegenwart.
Mehrfach steht die halsbrecherische Mission vor dem Aus, doch man gibt nicht auf (auch wenn manche Bücher immer „weniger“ werden und somit Schwund zu verzeichnen ist). Am Ende steht eine faustdicke Überraschung, ein gelungener Twist. Die Geschichte der Flucht ist wunderbar erzählt, voller unterschiedlicher Episoden, mal witzig, mal dramatisch. Mit leichter, aber versierter, ja virtuoser Hand von dem „Alten Knacker“-Autor Wilfrid Lupano geschrieben. Léonard Chemineaus Zeichenstil spielt mit diversen Variationen. So werden Rückblenden mal skizzen- und funnyhaft oder in Form von Albträumen dargestellt. Dazu gesellen sich immer wieder filmisch inszenierte Sequenzen, die ohne Worte auskommen und die Bilder wirken lassen. Wunderbar.
Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de
Wilfrid Lupano (Autor), Léonard Chemineau (Zeichner): Das Buchmaultier von Córdoba • Aus dem Französischen von Désirée Schneider • Splitter Verlag, Bielefeld 2022 • 264 Seiten • Hardcover • 39,80 Euro
Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.