Torpedo im Wilden Westen? – „Tex Band 4“

Arizona. Tex Willer und dessen Kumpel Kit Carson erhalten einen unerwarteten Hilferuf. Der stammt von Johnny Butler, einem ehemaligen Südstaaten-Lieutenant, der einst Tex während des Sezessionskrieges das Leben gerettet hat. Und das, obwohl beide auf feindlichen Seiten standen. Nun steckt Johnny in ernsten Schwierigkeiten, deren Ursache wohl ebenfalls im amerikanischen Bürgerkrieg zu suchen ist. Denn damals zog, diesmal auf Seiten der Nordstaaten, die Truppe um einen gewissen Colonel Shelby marodierend, plündernd und vor allem tötend durch den vom Krieg bereits gezeichneten Süden. Und Butlers Eltern gehörten ebenfalls zu den Opfern dieser Todesschwadron. Nach Kriegsende verlor sich Shelbys Spur, er entging der Justiz, die ihn für seine Kriegsverbrechen zur Rechenschaft ziehen sollte. Bis heute. Denn Butler, der immer noch Gerechtigkeit will, hat Shelby endlich aufgespürt, welcher unter falschem Namen im Knast von Prescott in Arizona einsitzt. Und just als Butler dort auf der Bildfläche erscheint, wird er vom Sherriff unter fadenscheinigen Anschuldigungen verhaftet. Zufall? Sicher nicht. Butlers Freundin Lola, die als attraktive Tänzerin inkognito in Prescott arbeitet, unterbreitet Tex und Kit einen verwegenen Plan, der alle Beteiligten in ein gefährliches und überraschendes Abenteuer stürzen wird…

Wie schon in den Vorbänden interpretiert auch hier ein illustrer Zeichner den Texas Ranger mit dem markanten, unverschmutzbaren gelben Hemd (das er sich offenbar mit Jijés Jerry Spring teilt), der als Fumetti-Held bereits seit 1948 für das italienische Verlagshaus Bonelli durch den Wilden Westen reitet. Jordi Bernet, Jahrgang 1944 und schon als Jugendlicher im Comic-Geschäft, wurde berühmt durch seine Geschichten um den Auftragsmörder „Torpedo“, die auf Deutsch zuletzt bei Cross Cult erschienen. Ältere Comic-Semester kennen ihn auch als Zeichner der Endzeit-Fantasy-Saga „Andrax“, deren Episoden einst in diversen Kauka-Publikationen veröffentlicht wurden. Vor Bernets „Der Mann aus Atlanta“ brachte Panini bereits die Tex-Storys anderer Zeichen-Cracks: Colin Wilson (u. a. Blueberry, Star Wars, Tag X, Wonderball), Joe Kubert (u.a. Sgt. Rock, Yossel, Fax aus Sarajewo) und Paolo Eleuteri Serpieri (u. a. Druuna, Saria) setzten Tex in dicken Hardcover Alben in Szene, wobei der Band von Serpieri aus der Reihe fällt: viel dünner, viel neuer, ohne Autor Claudio Nizzi und im typisch realistisch filigranen Serpieri-Strichel-Stil gehalten. Die übrigen Zeichner, inkl. Bernet, zeigen hier nicht ihre feinste Zeichenarbeit, was den bis zu 240 Seiten dicken Alben geschuldet sein mag. Zwar offenbart jeder Zeichner seinen charakteristischen, unverwechselbaren Strich, aber eben nicht in letzter Konsequenz, bzw. Detailgenauigkeit.

Bernet verleiht in seinem Tex-Sonderband, der 1996 erschien, den Protagonisten seine typisch kantigen, verbissenen Gesichter, bisweilen auch an der Grenze zur Karikatur. Während Titelheld Tex seine althergebrachten Gesichtszüge erkennen lässt (anders als bei Serpieri), finden wir in Kit Carson, den es übrigens wirklich gab, eine Buffalo Bill Figur und Ex-Pinkerton Agent Kogan erinnert bisweilen sogar an Luca Torelli alias Torpedo. Johnny Butler, der aufrechte Sonnyboy schließlich ähnelt in seinem Aussehen an den alten Hollywood-Haudegen und Frauenschwarm Errol Flynn. Entsprechend bekommt Butler dann auch das Mädchen ab, eine typische Bernet-Frauenfigur, wie wir sie aus „Torpedo“ kennen: Tänzerin Lola (wie soll sie auch sonst heißen), blond, attraktiv, die aber mehr als nur bloßes Beiwerk ist und die im Laufe der langen Geschichte immer wieder für Überraschungen sorgen wird.

Was die Handlung betrifft, nutzt Autor Nizzi den Platz und breitet auf 230 Seiten eine geschickt eingefädelte Story aus, die durchdacht konzipiert ist und sich viel Zeit nimmt. Kriegsverbrecher Shelby wird von zwei Parteien aus unterschiedlichen Motiven gejagt. Zum einen von Tex, Kit, Lola und Johnny, zum anderen von seinen alten Kameraden, die ihren Ex-Anführer ganz bestimmt nicht aus humanitären Gründen aus dem Knast holen wollen. Diese Hatz, dieser „Wettstreit“, sorgt für abwechslungsreiche Episoden, bei denen Nizzi charakteristische Western-Elemente genüsslich und in voller Länge einpflegen kann: so erstrecken sich die (schon beinahe parodistisch angelegte) Saloon-Schlägerei, die waghalsige nächtliche Aufholjagd per Pferd oder die Schießerei mit der Kutsche über etliche facettenreiche Seiten und werden vor dem Leser regelrecht ausgebreitet. Das sorgt, wie auch bei den Vorbänden, einmal mehr für nostalgisch verklärtes Western-Feeling und unterhält dazu noch bestens. Einen Sonderband wird es noch geben, diesmal gezeichnet von dem Kroaten Goran Parlov, der für Marvel bereits den Punisher in Szene setzte. Wir sind gespannt.

Claudio Nizzi, Jordi Bernet: Tex, Band 4: Der Mann aus Atlanta. Panini Verlag, Stuttgart 2017. 230 Seiten, 34,99 Euro