Dave Lizewski verbringt sein Leben wie die meisten männlichen Teenager unserer Generation. Mit Tagträumen und ziellosen Ausflügen in die unendlichen Weiten des Internets, die am Ende doch nur in zwanghafte Masturbation übergehen. Gern würde der schmächtige Nerd seinem Leben einen besonderen Sinn, etwas Dramatik verleihen. Kurzerhand bestellt sich der Jugendliche einen Neopren-Anzug, Schlagstöcke und weitere Utensilien, aus denen er sich eine leidlich eindrucksvolle Superhelden-Uniform bastelt. Gleich der erste Einsatz von „Kick-Ass“ wird jedoch zur lebensbedrohlichen Farce. Begeisterung für die Sache und ein Kostüm allein machen noch keinen Superhelden und so wird Dave von ein paar Straßenräubern beinahe tot geprügelt. Ironischerweise verleihen ihm die Folgen seiner epochalen Tracht Prügel nun tatsächlich so etwas wie Superkräfte. Daves Schmerzempfinden ist durch eine schwere Rückenverletzung auf ein absolutes Minimum reduziert…
„Kick-Ass“ ist atemberaubend gut. Egal was Sittenwächter oder die Botschafter guten Geschmacks Millars Helden-Saga andichten wollen, an „Kick-Ass“ werden sich bissige Indie-Comics noch sehr lange messen müssen. Auch wenn sich auf den ersten Blick schmerzhaft realistische, omnipräsente Gewalt und oft pubertärer Humor in den Vordergrund drängen ist „Kick-Ass“ ein beispielloses Kunstwerk. Denn die mittlerweile vier Miniserien umfassende Saga um Dave, Hit-Girl und all die anderen, selbst ernannten Hobby-Helden ist gleichzeitig ein extrem zynischer Abgesang auf das enge Korsett des sich ständig wiederholenden Helden-Comics, als auch eine geniale Blaupause dafür, wie man dem Genre neues Leben und mehr Authentizität verleihen kann und muss.
Obwohl groteske Übertreibung und nerdiger Meta-Humor zwischen den Seiten nur so hervorquillen, ist die Vorzeige-Reihe des zynischen Schotten ein Musterbeispiel für eine bewegende, epische und mitreißende Heldensaga, wie die großen „Adelshäuser“ des Superhelden-Comics sie nur ausgesprochen selten bis gar nicht fabrizieren. „Kick-Ass“ lässt einen Erwachsenen wieder das fühlen, was er als Kind bei der Lektüre eines Superhelden-Heftes empfunden hat. Denn die Gewalt ist roher, direkter, bedrohlicher und näher an der Realität als uns lieb ist, die Menschen in „Kick-Ass“ haben echte, greifbare Leben, die bedroht sind. Dieses Gefühl glaubhaft zu vermitteln, während man das ganze Konzept Heldencomic gleichzeitig anarchisch, frech und schonungslos der Lächerlichkeit preisgibt, ist schon ein genialer erzählerischer Schachzug.
Mit krachenden, extrem dynamischen Bildern von Spider-Man-Thronfolger John Romita Jr. greift die visuelle Seite alle Komponenten des klassischen, amerikanischen Comics auf, die es wert sind, zitiert zu werden. Seine eigenwillig schraffierten, extrem charaktervollen Zeichnungen sind aber gleichzeitig auch ein genialer Schmelztiegel, in dem sich auch reichlich Einflüsse aus Underground oder europäischem Funny wiederfinden.
Mit mehr als 400 Seiten liefert der inzwischen dritte Band der Millar-Collection die ersten beiden, längst erfolgreich verfilmten Kick-Ass-Episoden in einem ordentlich gebundenem und verarbeitetem Hardcover. Wer sich zu den Konditionen dieses Kleinod des grenzwertigen Geschmacks noch immer nicht in sein Regal stellt, der hat wohl tatsächlich einen Tritt in den Arsch verdient. Tschuldigung.
Mark Millar, John Romita Jr.: Kick-Ass Runde 1 (Mark Millar Collection 3). Panini, Stuttgart 2017. 412 Seiten, 29,99 Euro.