Meine liebste Comicseite aller Zeiten stammt aus Alan Moores erstem Buch der Reihe „Promethea“. J.H. Williams III zeichnet den Grundriss einer Krankenhausetage, nutzt die Räume als einzelne Panels und den Flur, den die Figuren entlanglaufen, als eine Art Zeitstrahl, anhand dessen sich die Reihenfolge erschließt, in der man die Raum-Panels lesen muss. Sogar die Blickachsen stimmen ausnahmslos. Die Seite ist ein unerreichtes Beispiel für die Virtuosität Alan Moores und seiner Zeichner.
Wer Comics liest, dem ist Alan Moore unter Garantie für bahnbrechende Werke wie „Watchmen“ bekannt. Wer keine Comics liest, wird ihn über Bande trotzdem kennen. Im Abspann weist zwar aus gutem Grund nichts darauf hin, der sich einer soliden Fanbase erfreuende „V wie Vendetta“ basiert jedoch auf dem gleichnamigen Band des britischen Autors. Aber um noch einmal auf „Promethea“ zurückzukommen: Die Reihe erzählt von der Studentin Sophie Bangs in einem alternativen New York City des Jahres 1999, die zur jüngsten Reinkarnation einer Art Superheldin der Vorstellungskraft wird. „Promethea“ wird von vielen als Moores persönlichste Arbeit angesehen. Im Kern enthält sie seine Weltsicht eins zu eins, umgesetzt in Farbexplosionen und völlig entfesselten Seitenarchitekturen, die von Tarotkarten inspiriert sind, von Science-Fiction-Filmen und ägyptischer Mythologie. Es gibt keine Verfilmung von „Promethea“ und das ist auch kein Wunder. Denn Alan Moore und Verfilmungen – das ist kompliziert.

„Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ (© 20th Century Fox)
Erwacht der Comic auf der Leinwand zum Leben?
Das Medium Comic gegenüber der Literatur oder dem Film als minderwertig anzusehen, hat Tradition: zu wenig Text, die Bilder bewegungslos, in jeder Hinsicht zweitrangig. Der erste Live-Action-Langfilm mit Ton, der auf einem Comicstrip basierte, war der 1931er „Skippy“. Die Abenteuer des Zehnjährigen sollten später unter anderem Charles Schulz’ Peanuts beeinflussen. Der Film mit dem bekannten Our-Gang-Kinderdarsteller Jackie Cooper brachte Regisseur Norman Taurog eine Oscarnominierung für die beste Regie ein und war ein riesiger Publikumserfolg. Filmplakate, Werbeanzeigen und Kritiken sprachen immer wieder davon, dass der Film den allseits beliebten Skippy endlich auf der großen Leinwand zu Leben erwecke und man ihn persönlich treffen könne. Im Presskit hieß es: „I’ve gotten so popular just from folks seein’ my picture in the papers it came to me, just like that, I should make a personal appearance. So I’ll be seein’ ya!“ Charmant, na klar, aber es klingt, als müsse der arme Junge aus den starren Fesseln der bewegungslosen Seite befreit werden. Bis in die 1980er Jahre gehörte es zum common sense, dass Lehrer Comichefte aus den Schulen verbannten, und der Versuch, das Medium heute durch die Bezeichnung Graphic Novel bildungsbürgerlich aufzuladen, ist ähnlich verlogen wie der Trend, von elevated horror zu sprechen.
Die besten Argumente für die unendlichen Möglichkeiten des Comics liefert Alan Moore selbst seit Anbeginn seiner Karriere. Er bringt nicht nur immer wieder komplexe, oft tabuisierte Themen im Mainstream unter – Anarchie, Okkultismus, natürliche Geburten. Vor allem sprengt er die Grenzen des Comics und nutzt die ganze Klaviatur: Manchmal lässt er die Sprechblasen weg, dann wieder die Kommentarkästen. Lautmalereien findet man bei ihm so gut wie nie, dafür aber in „From Hell“ 80 Seiten Fußnoten mit weiteren Recherchen und Ergänzungen der Autoren. Moore arbeitet mit völlig unkonventionellen Seitenarchitekturen, mit Comics im Comic, Symbolen, Referenzen, seine Panels sind Füllhörner an Details. Um es in Moores eigenen Worten zu sagen: „I’m not going to claim all comic books are literate — there’s a lot of rubbish out there. But there have been some very literate comic books done over the last 20 years, some marvelous ones. And to actually read a comic, you do have to be able to read, which is not something you can say about watching a film. So as for which medium is literate, give me comics any day.“
Von einem Medium ins andere
Dabei hat Alan Moore nichts grundsätzlich gegen Filme. Er nennt Jean Cocteau, John Waters, George A. Romero als geschätzte Regisseure, hat selbst einige Kurzfilme gedreht. Sein Problem hat vielmehr mit dem Transfer einer Geschichte vom einen Medium ins andere zu tun. Was in der einen Form hervorragend funktioniert, müsse es in einer anderen nicht automatisch auch: „Alan, why is it that films made from your comics never seem to do them justice? Is it a lack of intelligence or courage on the part of filmmakers?“ -„It’s not, it’s simply because they weren’t ever designed to be films. This is what I’ve been trying to explain to these stupid bastards for the past 20 years. They were designed to exploit all the things that comic books can do and that no other medium can. […] This assumption that if something works in one medium it will work as well or better in another, I’ve got no idea where that comes from.“ Seit 20 Jahren versucht er zu erklären, dass seine Comics nicht als Filme konzipiert seien, sondern sie sollen ausnutzen, was Comics können und was kein anderes Medium kann.

„From Hell“ (© 20th Century Fox)

„V wie Vendetta“ (© Warner Bros. Pictures Germany)

„Watchmen“ (© Paramount Pictures Germany)
Die wahre Magie
Im Jahr 2008 brachte Jake Strider Hughes die animierte Serie „Watchmen: Motion Comic“ heraus. Das Paradebeispiel an Werktreue arbeitet Panel für Panel des Comics ab, animiert einzelne Bildelemente und Tom Stechschulte leiht sämtlichen Figuren ihre Stimme, als würde ein Leser sich Stück für Stück durch das Buch tasten. Aber auch hier werden wir nicht zu vollends aktiven Hybriden aus Zuschauern und Lesern. Letztlich den Konventionen des Bewegtbildes verpflichtet, verwendet Hughes nicht nur Hintergrundmusik, sondern blendet auch in spannenden Szenen einige Panels nur jumpscare-artig für Sekundenbruchteile ein – unmöglich alle darin versteckten Details zu ermessen, ein eigenes Tempo zu entwickeln, zurückzublättern, um Verbindungen herzustellen.
Alan Moore hat eine Theorie: Je mehr Geld einer Produktion zur Verfügung stehe, desto schneller gehe die Kreativität der Regisseure flöten. Er liebt die handgemachten Effekte aus Cocteaus „La Belle Et La Bête“ und wenn Filmemacher ein geringes Budget zu ihrem Vorteil zu nutzen wissen, wie Romero in „Die Nacht der lebenden Toten“. Film als demokratisches Medium. Als Medium, in dem der Autor die kreative Kontrolle behält und das Publikum sich nicht einlullen lässt. Hatte ich erwähnt, dass Moore auch Magier ist? „Do I believe, for example, that by using magic I could fly? No. How would you get around gravity? Impossible. Do I believe that I might be able to project my consciousness into a very, very vivid simulation of flying? Yeah. Yes, I’ve done that. Yes, that works.“ Die eigentliche Magie bleibt die Vorstellungskraft. Hoffen wir also, dass nie jemand auf die Idee kommt, „Promethea“ zu verfilmen.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 2.12.2018 auf: kino-zeit.de
Katrin Doerksen, Jahrgang 1991, hat Filmwissenschaft nebst Ethnologie und Afrikastudien in Mainz und Berlin studiert. Neben redaktioneller Arbeit für Deutschlandfunk Kultur und Kino-Zeit.de schreibt sie über Comics, aber auch über Film, Fotografie und Kriminalliteratur. Texte erscheinen unter anderem im Perlentaucher, im Tagesspiegel oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie lebt in Berlin.