Meine liebste Comicseite aller Zeiten stammt aus Alan Moores erstem Buch der Reihe „Promethea“. J.H. Williams III zeichnet den Grundriss einer Krankenhausetage, nutzt die Räume als einzelne Panels und den Flur, den die Figuren entlanglaufen, als eine Art Zeitstrahl, anhand dessen sich die Reihenfolge erschließt, in der man die Raum-Panels lesen muss. Sogar die Blickachsen stimmen ausnahmslos. Die Seite ist ein unerreichtes Beispiel für die Virtuosität Alan Moores und seiner Zeichner.
Wer Comics liest, dem ist Alan Moore unter Garantie für bahnbrechende Werke wie „Watchmen“ bekannt. Wer keine Comics liest, wird ihn über Bande trotzdem kennen. Im Abspann weist zwar aus gutem Grund nichts darauf hin, der sich einer soliden Fanbase erfreuende „V wie Vendetta“ basiert jedoch auf dem gleichnamigen Band des britischen Autors. Aber um noch einmal auf „Promethea“ zurückzukommen: Die Reihe erzählt von der Studentin Sophie Bangs in einem alternativen New York City des Jahres 1999, die zur jüngsten Reinkarnation einer Art Superheldin der Vorstellungskraft wird. „Promethea“ wird von vielen als Moores persönlichste Arbeit angesehen. Im Kern enthält sie seine Weltsicht eins zu eins, umgesetzt in Farbexplosionen und völlig entfesselten Seitenarchitekturen, die von Tarotkarten inspiriert sind, von Science-Fiction-Filmen und ägyptischer Mythologie. Es gibt keine Verfilmung von „Promethea“ und das ist auch kein Wunder. Denn Alan Moore und Verfilmungen – das ist kompliziert.
Alan Moores Frust gegenüber Hollywood ist keine einfache Geschmacksfrage, das geht tiefer. Nachdem Stephen Norrington 2003 den Film „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ nach der gleichnamigen Comic-Reihe von Alan Moore und Kevin O‘Neill die Kinos gebracht hatte, verklagten die Drehbuchautoren Larry Cohen und Martin Poll 20th Century Fox. Der Film sei ein Plagiat ihres Manuskripts „Cast of Characters“. Obwohl das Studio die Anschuldigungen zurückwies, legte es den Fall außergerichtlich bei. Eine Entscheidung, die Alan Moore übelnahm – so sei ihm die Möglichkeit genommen, sich von den Vorwürfen freizusprechen. Von da an beschloss der Autor, sich von sämtlichen Verfilmungen seiner Werke zu distanzieren. Könne er eine Verfilmung nicht verhindern, weil er nicht alleiniger Inhaber der Rechte sei, würde er immerhin dafür sorgen, dass sein Name nicht im Abspann stünde und seinen Verdienst unter den am Comic beteiligten Künstlern aufteilen. Tragisch, dass ausgerechnet „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ den Zwist zwischen Alan Moore und Hollywood besiegeln musste, denn zweifellos ist er das dickste Ei unter den Moore-Adaptionen. Nichts als endlose Dialoge ohne jede Dynamik und Figuren, die durch lieblose Kulissen laufen. Unglaublich, dass ein Film, der die wichtigsten literarischen Helden der Phantastik des 19. Jahrhunderts zusammenbringt, derart dröge sein kann.Erwacht der Comic auf der Leinwand zum Leben?
Das Medium Comic gegenüber der Literatur oder dem Film als minderwertig anzusehen, hat Tradition: zu wenig Text, die Bilder bewegungslos, in jeder Hinsicht zweitrangig. Der erste Live-Action-Langfilm mit Ton, der auf einem Comicstrip basierte, war der 1931er „Skippy“. Die Abenteuer des Zehnjährigen sollten später unter anderem Charles Schulz’ Peanuts beeinflussen. Der Film mit dem bekannten Our-Gang-Kinderdarsteller Jackie Cooper brachte Regisseur Norman Taurog eine Oscarnominierung für die beste Regie ein und war ein riesiger Publikumserfolg. Filmplakate, Werbeanzeigen und Kritiken sprachen immer wieder davon, dass der Film den allseits beliebten Skippy endlich auf der großen Leinwand zu Leben erwecke und man ihn persönlich treffen könne. Im Presskit hieß es: „I’ve gotten so popular just from folks seein’ my picture in the papers it came to me, just like that, I should make a personal appearance. So I’ll be seein’ ya!“ Charmant, na klar, aber es klingt, als müsse der arme Junge aus den starren Fesseln der bewegungslosen Seite befreit werden. Bis in die 1980er Jahre gehörte es zum common sense, dass Lehrer Comichefte aus den Schulen verbannten, und der Versuch, das Medium heute durch die Bezeichnung Graphic Novel bildungsbürgerlich aufzuladen, ist ähnlich verlogen wie der Trend, von elevated horror zu sprechen.
Die besten Argumente für die unendlichen Möglichkeiten des Comics liefert Alan Moore selbst seit Anbeginn seiner Karriere. Er bringt nicht nur immer wieder komplexe, oft tabuisierte Themen im Mainstream unter – Anarchie, Okkultismus, natürliche Geburten. Vor allem sprengt er die Grenzen des Comics und nutzt die ganze Klaviatur: Manchmal lässt er die Sprechblasen weg, dann wieder die Kommentarkästen. Lautmalereien findet man bei ihm so gut wie nie, dafür aber in „From Hell“ 80 Seiten Fußnoten mit weiteren Recherchen und Ergänzungen der Autoren. Moore arbeitet mit völlig unkonventionellen Seitenarchitekturen, mit Comics im Comic, Symbolen, Referenzen, seine Panels sind Füllhörner an Details. Um es in Moores eigenen Worten zu sagen: „I’m not going to claim all comic books are literate — there’s a lot of rubbish out there. But there have been some very literate comic books done over the last 20 years, some marvelous ones. And to actually read a comic, you do have to be able to read, which is not something you can say about watching a film. So as for which medium is literate, give me comics any day.“
Von einem Medium ins andere
Dabei hat Alan Moore nichts grundsätzlich gegen Filme. Er nennt Jean Cocteau, John Waters, George A. Romero als geschätzte Regisseure, hat selbst einige Kurzfilme gedreht. Sein Problem hat vielmehr mit dem Transfer einer Geschichte vom einen Medium ins andere zu tun. Was in der einen Form hervorragend funktioniert, müsse es in einer anderen nicht automatisch auch: „Alan, why is it that films made from your comics never seem to do them justice? Is it a lack of intelligence or courage on the part of filmmakers?“ -„It’s not, it’s simply because they weren’t ever designed to be films. This is what I’ve been trying to explain to these stupid bastards for the past 20 years. They were designed to exploit all the things that comic books can do and that no other medium can. […] This assumption that if something works in one medium it will work as well or better in another, I’ve got no idea where that comes from.“ Seit 20 Jahren versucht er zu erklären, dass seine Comics nicht als Filme konzipiert seien, sondern sie sollen ausnutzen, was Comics können und was kein anderes Medium kann.
In „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ funktioniert der Transfer von Comic in Film jedenfalls nicht, dabei übernimmt der Film eigentlich auch nur die Grundidee der Comicreihe. Ein ähnlicher Fall ist „From Hell“ der Brüder Albert und Allen Hughes. Während Moore in dem beeindruckend recherchierten Werk über die Jack-the-Ripper-Morde der Psychogeografie ein künstlerisches Denkmal setzt, interessiert sich der Film in erster Linie für den Kriminalfall. Überlegungen über unser Verhältnis zu einem Ort und seiner Geschichte verkommen darin zu Postkartenbildern des Big Ben vor blutrotem Himmel. „From Hell“ ist aber auch ein anschauliches Beispiel dafür, wie sich Comicverfilmungen gern aufs Merkwürdigste mit der Realität verstricken: Einerseits basieren die Comics auf einer Realität, die Hollywood nicht umzusetzen vermag. Das Londoner East End des Jahres 1888 war ein Dreckloch und die dortigen Prostituierten würden weder gemäß damaliger noch heutiger Schönheitsideale auf einem Filmplakat landen. Andererseits kriecht immer wieder eine überaus gegenwärtige Realität in die Filme, wenn Schauspieler die vom Autor erdachte Fantasie nicht ausfüllen wollen. Johnny Depp wollte in „From Hell“ nicht der Normalo-Polizist Fred Abberline aus dem Comic sein, ein Absinth-süchtiger Dandy schien ihm attraktiver. Sean Connery hingegen weigerte sich, seinen Allan Quatermain in „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ als Drogenabhängigen zu spielen. Dass der Autor die Kontrolle über seine Schöpfungen behält, ist im Film nicht vorgesehen. In James McTeigues „V wie Vendetta“ bleibt die Handlung, wenn auch unter anderen Vorzeichen, recht nah an der Vorlage. Aber während im Comic in erster Linie die Faszination daher entspringt, wie V seinen Plan allein aus der Kulturgeschichte heraus entwickelt, werden uns seine fertigen Gedankengänge im Film einfach vor den Latz geknallt. Ganz zu schweigen von den visuell uninspiriert heruntergekurbelten Bildern, denen ein paar cartoonhafte Soundeffekte und Blutspritzer in der vorfinalen Konfrontation auch nichts mehr hinzuzufügen vermögen. „V wie Vendetta“ hat durchaus Fans – ob er den Geist des Comics in ein neues Medium transportiert hat, darüber lässt sich allerdings streiten. In der Verfilmung sei es plötzlich um völlig andere Kernthemen gegangen als im ursprünglichen Werk, befand Alan Moore und bescheinigte den Filmemachern Feigheit. Immerhin dreht sich „V“ um Dinge wie Faschismus und Anarchie, aber diese Worte kommen im Film nicht vor: „When I wrote V, politics were taking a serious turn for the worse over here. We’d had Margaret Thatcher in for two or three years, we’d had anti-Thatcher riots, we’d got the National Front and the right wing making serious advances. V for Vendetta was specifically about things like fascism and anarchy. Those words, „fascism“ and „anarchy,“ occur nowhere in the film. It’s been turned into a Bush-era parable by people too timid to set a political satire in their own country.“ Dafür waren sie aber nicht zu schüchtern, Alan Moore Worte in den Mund zu legen. Bei einer Pressekonferenz behauptete der Produzent Joel Silver, seine Kollegin Lana Wachowski habe sich vorab mit Moore über den Film unterhalten und er sei begeistert gewesen. Natürlich dementierte Moore und am Ende musste ihn Silver persönlich anrufen und sich entschuldigen. Als wahrscheinlich gelungenste Moore-Adaption bleibt „Watchmen“. Auch hier gibt es Abweichungen von der Vorlage, insgesamt bleibt Zack Snyder aber erstaunlich nah beim Comic und schafft es dennoch, zugleich seinen eigenen Gestaltungswillen auszuleben: Ein in Zeitlupe stilisiertes Intro erzählt die Geschichte der Minutemen und die Musik von Bob Dylan und Jimi Hendrix erinnert an eine Zeit, als linker Protest noch zum Mainstream gehörte. Dafür wirkt der Film aber auch merkwürdig überladen, er ächzt unter seinem eigenen Detailreichtum und den vielen Wendungen und liefert so den besten Beweis: Was in einem Medium meisterhaft wirkt, kann im anderen erst die Schwächen hervorheben.Die wahre Magie
Im Jahr 2008 brachte Jake Strider Hughes die animierte Serie „Watchmen: Motion Comic“ heraus. Das Paradebeispiel an Werktreue arbeitet Panel für Panel des Comics ab, animiert einzelne Bildelemente und Tom Stechschulte leiht sämtlichen Figuren ihre Stimme, als würde ein Leser sich Stück für Stück durch das Buch tasten. Aber auch hier werden wir nicht zu vollends aktiven Hybriden aus Zuschauern und Lesern. Letztlich den Konventionen des Bewegtbildes verpflichtet, verwendet Hughes nicht nur Hintergrundmusik, sondern blendet auch in spannenden Szenen einige Panels nur jumpscare-artig für Sekundenbruchteile ein – unmöglich alle darin versteckten Details zu ermessen, ein eigenes Tempo zu entwickeln, zurückzublättern, um Verbindungen herzustellen.
Alan Moore hat eine Theorie: Je mehr Geld einer Produktion zur Verfügung stehe, desto schneller gehe die Kreativität der Regisseure flöten. Er liebt die handgemachten Effekte aus Cocteaus „La Belle Et La Bête“ und wenn Filmemacher ein geringes Budget zu ihrem Vorteil zu nutzen wissen, wie Romero in „Die Nacht der lebenden Toten“. Film als demokratisches Medium. Als Medium, in dem der Autor die kreative Kontrolle behält und das Publikum sich nicht einlullen lässt. Hatte ich erwähnt, dass Moore auch Magier ist? „Do I believe, for example, that by using magic I could fly? No. How would you get around gravity? Impossible. Do I believe that I might be able to project my consciousness into a very, very vivid simulation of flying? Yeah. Yes, I’ve done that. Yes, that works.“ Die eigentliche Magie bleibt die Vorstellungskraft. Hoffen wir also, dass nie jemand auf die Idee kommt, „Promethea“ zu verfilmen.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 2.12.2018 auf: kino-zeit.de
Katrin Doerksen, Jahrgang 1991, hat Filmwissenschaft nebst Ethnologie und Afrikastudien in Mainz und Berlin studiert. Neben redaktioneller Arbeit für Deutschlandfunk Kultur und Kino-Zeit.de schreibt sie über Comics, aber auch über Film, Fotografie und Kriminalliteratur. Texte erscheinen unter anderem im Perlentaucher, im Tagesspiegel oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie lebt in Berlin.