Geht eine Füchsin in die Wüste – „Myre Bd. 2“

Und weiter geht die Reise von Wüstenfuchs-Dame Myre und ihrem leuchtenden Drachengefährten durch die wundersame Welt von Yria. Auf einem Marktplatz lässt sich die wortkarge Antiheldin unfreiwillig auf einen aufdringlichen Diebesjungen ein, der mit seinen Schandtaten die wenig kompromissbereiten Ordnungshüter der Stadt auch gegen sie selbst aufbringt. Das führt letzten Endes sogar zur Gefangennahme ihres treuen Freundes und Reittieres. Ob Myre will oder nicht – nun ist sie auf die Hilfe des vorlauten Frettchens angewiesen, das sie überhaupt erst in diese missliche Lage gebracht hat…

Claudya Schmidt (Text und Zeichnungen), Matt W. Davis (Text): „Myre – Die Chroniken von Yria Band 2“.
Aus dem Englischen von Jacqueline Stumpf. Splitter Verlag, Bielefeld 2018. 96 Seiten. 19,80 Euro

Der zweite und abschließende Band des ersten „Myre“-Kapitels ist mit seinen 96 Seiten auf den ersten Blick deutlich umfangreicher, als der bei Splitter vorherrschende Alben-Standard mit nur um die 50 Seiten pro Band. Allerdings sollten Freunde komplexer Storys und fesselnder Dialoge vielleicht zuerst einen Blick in die großformatigen Hardcover-Bände werfen. Die erste Geschichte aus den Yria-Chroniken, der Traumwelt von Künstlerin Claudya Schmidt, ist extrem visuell erzählt, könnte ohne den atemberaubenden Detailgrad auch durchaus als Storyboard für einen aufwändig produzierten Hollywood-Trickfilm durchgehen. Um diese sichtbar immense Arbeit aber angemessen zu honorieren, muss man „Myre“ eben auch sehr visuell lesen, sich in Bildern verlieren und sich an den zahllosen Details erfreuen wollen.

Es sind die leuchtenden Farben, die ungeheuer ausdrucksstarke Mimik der Figuren und die reichlich vorhandenen, beeindruckenden Splashpages, mit denen die Welt von Yria zum Leben erwacht. Keine komplexen politischen Strukturen oder tiefgreifende Dialoge. Tatsächlich werden Feinschmecker der grafischen Literatur die zusammen knapp 200 Seiten wieder und wieder verschlingen und dabei am Ende doch deutlich mehr Zeit dafür brauchen, als zunächst vielleicht vermutet. Denn trotz oder vielleicht gerade wegen des starken Fokus auf die grafische Präsentation erlangen die wenigen Charaktere eine beeindruckende emotionale Tiefe, versteht Claudya Schmidt es meisterlich, Gefühle und Reaktionen selbst in Einzelbildern ganz unmissverständlich zu vermitteln. Die Tatsache, dass alle digitalen Malereien (von den leuchtenden Farben vielleicht abgesehen) herrlich analog und klassisch wirken, ist dabei nur die Kirsche auf einem riesigen Sahnehäubchen von grandiosen Fantasy-Bildern.

Dieser Text erschien zuerst auf: DeinAntiheld.de

Hier findet sich ein Video-Interview mit Künstlerin Claudya Schmidt.

Mattes Penkert-Hennig ist Betreiber des Online-Comicmagazins DeinAntiHeld.de, Autor für Comic.de und den Berliner Tagesspiegel, war Juror beim „Rudolph Dirks Award“, Panelmoderator auf Comicmessen und hat zahlreiche Video-Interviews mit internationalen Comic-Künstlen geführt. Darüber hinaus produziert er animierte Video-Trailer für Comics und artverwandte Medien.