„Sie waren die On-Off-Beziehung meiner Kindheit“

Bild aus "Drei Väter" (Edition Moderne)

In seinem kürzlich veröffentlichten Comic-Debüt „Drei Väter“ erzählt Nando von Arb auf über 300 Seiten aus Kinderperspektive vom Aufwachsen in einer ungewöhnlichen Patchwork-Familie mit drei Vaterfiguren. In allegorischen Bildern, die grafische Entsprechungen für kindliche Psyche, Wünsche und Emotionen finden, setzt er sich mit gesellschaftlichen Vorstellungen von Vater- und Männerrollen auseinander. Wir präsentieren das von Filip Kolek geführte Presse-Interview mit Nando von Arb mit freundlicher Genehmigung der Edition Moderne.

Könntest du uns zu Beginn ein bisschen über dich und deinen künstlerischen Werdegang erzählen? Wie bist du zum (Comic-)Zeichnen gekommen und was bedeutet das Medium Comic für dich?
Ich bin 1992 in Zürich geboren, wo ich nach wie vor lebe und arbeite. Verschiedene Einflüsse haben mich aufs Zeichnen gebracht, aber wie bei jedem waren es wohl die Eltern, die Lehrer und andere Vorbilder. Mehrere dieser Vorbilder rieten mir nach der Sekundarschule den Vorkurs und eine Grafikerlehre zu machen. Für das Gymnasium fehlte mir das Interesse an den meisten Fächern, und zu faul war ich wohl auch. Ich machte dann also den Vorkurs an der Berufsschule für Gestaltung, seither wusste ich definitiv, dass ich einen künstlerischen Werdegang wählen würde. Ich fand eine Lehrstelle in Zürich, glücklicherweise zwang mich mein damaliger Lehrmeister die Berufsmaturität zu machen.

Nach der Lehre, 2012, arbeitete ich drei Jahre selbstständig, zuerst freiwillig und dann aus Trotz. 2013 bewarb ich mich für die Illustrationsklasse in Luzern. Ich wurde jedoch nicht angenommen. Doch noch im selben Herbst konnte ich an der Jungkunst ausstellen, das rettete mich vorübergehend vor dem Loch, welches die Enttäuschung dieser Absage hinterließ. Ich würde sagen, es war ein Erfolg. 2015 fühlte ich aber wieder diesen Frust in mir ansteigen, ich fürchtete, dass ich mich nicht mehr weiterentwickeln würde und merkte, dass ich erneut bereit war, mich der Jury in Luzern zu stellen. Dieses Mal klappte es. Während des Studiums begeisterte ich mich am meisten für Bilderzählung und Comics in jeglicher Form. Für meine theoretische Bachelor-Arbeit analysierte ich zwei Comics mit autobiographischem Fundament. Die erste Version von „Drei Väter“ war meine praktische Bachelorarbeit. Seitdem arbeite ich selbständig in Zürich, bis jetzt vor allem am Buch. Wenn alles klappt, werde ich Ende 2019 den Master für Comics und Illustration in Gent, Belgien, beginnen.

Nando von Arb (Autor und Zeichner): „Drei Väter“.
Edition Moderne, Zürich 2019. 304 Seiten. 39 Euro

Wie ist die Idee zu „Drei Väter“ entstanden? Wie lange hast du dich mit dem Gedanken, über deine Kindheit und deine Familie zu erzählen, getragen?
Die ersten Ideen zum Buch hatte ich beim Einschlafen, irgendwann Ende 2017, ich war melancholisch und hatte zuvor ein bisschen zu viel Rotwein getrunken. Ich machte mir Gedanken über meine Familie und überlegte, wie mich die verschiedenen Vorbilder – nicht nur die Väter – in meinem Leben beeinflusst hatten. Ich erinnerte mich an Situationen zurück und stellte mir Situationen vor, in denen meine verschiedenen Väter auf dieselben Gegebenheiten reagierten. Wie sie alle eine andere Rolle in meinem Leben einnahmen, wie unterschiedlich sie sind, was sie verbindet und was sie auseinander bringt. So entstand eigentlich der Titel „Drei Väter“, den ich mir sofort auf dem Handy notierte. Ganz am Anfang war also eigentlich der Titel, und darauf baute ich auf. In derselben Nacht machte ich schnelle Skizzen zu meinen Ideen. Meine Mutter sollte auch eine wichtige Rolle im Buch spielen. Meine erste Idee war, das Projekt um sie herum aufzubauen. Die zweite Skizze war eine fast schematische Darstellung von drei Männern, die einen Sarg tragen. Der Tod und die Angst davor waren also auch von Anfang an ein fast unterbewusst integrierter Teil der Geschichte. Dass eine Graphic Novel daraus entstehen sollte, wusste ich damals aber noch nicht.

Im Zentrum deiner Erzählung stehen neben deiner Mutter, die du als stets beschützendes Vogelwesen darstellst, die drei titelgebenden Vaterfiguren, dein leiblicher Vater, eine Wolfsgestalt in androgyn wirkenden Kleidern, Kiko, der leibliche Vater deiner großen Schwester, eine Art Harlequin mit Stelzenbeinen und Zelo, der neue Partner deiner Mutter, dem du einen archaischen Golemkörper verpasst. Kannst du uns etwas über diese drei Menschen und ihre gezeichneten Entsprechungen verraten? Welches Verhältnis hattest du zu ihnen? Wofür standen und stehen sie in deinem Leben und in deiner Erzählung?
Als ich mich entschied, einen Comic über meine Kindheit zu machen, merkte ich schnell, dass ich meine Familie nicht so zeichnen würde, wie sie wirklich aussieht, sondern wie sie auf mich wirkt. Da ich ungehemmt und frei mit meiner eigenen Geschichte umgehen wollte, musste ich meine Familie verfremden. Das ermöglichte mir, eine gewisse Distanz einzunehmen. So konnte ich ehrlicher sein. Ich habe viele verschiedene Skizzen zu den Charakteren gemacht und mich so immer näher an diese Wesen herangetastet, welche meine Familie repräsentieren würden. Ich wusste, dass ich sie oft würde zeichnen müssen, deshalb war es nötig, sie schnell zeichnen zu können. Gleichzeitig mussten sie gut unterscheidbar sein, so dass ich einen freien, spontanen Strich haben konnte und mich nicht zu sehr in Details verlieren würde. Ich wollte die Erinnerungen unmittelbar zeigen können. Dass meine Schwestern und ich uns nur durch unsere Frisur unterscheiden, ist so, weil ich uns in der Geschichte als eine Einheit betrachte. Im Buch soll es ja auch vor allem um die Väter und die Mutter gehen.

Es kommen drei Parteien vor: Die Kinder, die Mutter und die Väter. Viele Spannungen passieren aber auch im Innern dieser Parteien. Kindern gegen Kinder, Mutter gegen sich selbst und vor allem die Väter untereinander. Man kann natürlich in einem dreihundertseitigen Buch nicht alles zeigen, da ist ja nicht mein ganzes Leben drin, aber ich denke man spürt das Verhältnis, welches die Parteien zueinander haben und hatten. Das Buch ist nur vage aufgebaut wie eine Geschichte, ich sehe es eher als eine Art Essay, einen Spaziergang.

Seite aus „Drei Väter“ (Edition Moderne)

Neben dem Thema Vater / Elternschaft verhandelt dein Debüt auf vielen Ebenen auch das Thema Männlichkeit bzw. die Konstruktion und Projektion von Männlichkeit durch deine drei Vaterfiguren. Kannst du uns etwas zu diesem Aspekt erzählen? Was hat dich speziell an diesem Diskurs interessiert? Welche Rolle spielte dieses Thema für dich beim Aufwachsen?
Bis ich acht war, lebte ich nur mit meinen zwei Schwestern und meiner Mutter, die männlichen Vorbilder waren also nicht permanenter Teil meines frühen Lebens. Sie waren die On-Off-Beziehung meiner Kindheit. Mal gab es sie im Überfluss, mal waren sie ganz weg. Männlichkeit war – logischerweise – automatisch ein Hauptthema im Buch. Im Buch zeige ich einschneidende Situationen aus meinem Leben. Zum Beispiel die Beschneidung, da geht es aber nicht unbedingt um Männlichkeit, sondern eher um Angst. Da die wichtigsten Männerrollen in meinem Leben meine Väter waren, habe ich vor allem von und durch sie gelernt, was ein Mann ist. Auch durch ihre negativen Seiten. Ich denke, wenn wir die drei Vaterfiguren im Buch anschauen, dann hat jeder seinen Teil der zahllosen Aspekte davon abgedeckt. Ich denke aber, dass ich mehr von meiner Mutter und meinen Schwestern gelernt habe. Ich habe sie immer als größere Autorität angesehen und dem, was sie sagten, eine höhere Richtigkeit beigemessen.

Bild aus „Drei Väter“ (Edition Moderne)

In einer Schlüsselsequenz sieht man dich beim Malen. Dein junges Alter Ego zeichnet eine Hybridgestalt aus den drei Vaterfiguren und deiner Mutter auf die Leinwand. Hier wirkt es so, als hättest du bereits als Kind versucht, zeichnerisch deine Gefühle zu verarbeiten und das Chaos der Welt zu ordnen. Hat Zeichnen für dich diese therapeutische Wirkung? Und wenn ja, inwieweit hat es dir geholfen, dieses Buch gemacht zu haben?
Ja, ich denke, ich habe mich schon immer über Zeichnungen ausgedrückt. Ich habe Sachen gezeichnet, die ich nicht sagen konnte. Mal konkreter, mal abstrakter, verschachtelter. Doch irgendwie hat sich immer ein Gefühl in die Zeichnungen eingeschlichen. Das Buch war eine Art Katharsis für mich, ich konnte Dinge ungehemmt loswerden, auch weil ich wusste, dass das Buch nur in der Basis autobiografisch sein würde. Ich schütze mich also selbst davor, zuzugeben, welche Gedanken oder Situationen echt sind und welche nicht. Meine Familie reagierte verschieden, sie haben alle etwas daraus gelernt, Positives wie Negatives. Mir ist selbst viel klar geworden, bei der Recherche zum Buch wie auch beim Zeichnen selbst. Dinge haben plötzlich Sinn ergeben, die vorher noch keinen Sinn ergaben, so konnte ich verstehen und verzeihen, aber habe auch viel Dankbarkeit und Wertschätzung empfunden.

Bild aus „Drei Väter“ (Edition Moderne)

Deine ersten Begegnungen mit Kunst, Design und Malerei ziehen sich ebenfalls wie ein roter Faden durchs Buch. Welchen Aspekt spielt Kunst in „Drei Väter“ und welche Verbindung haben deine Väter zu diesem Teil deines Aufwachsens?
Ich glaube Kunst an sich war schon seit jeher sehr wichtig für mich, weil ich sie mit meiner Familie verbinde. Die Kunst ist eines der wichtigsten Dinge in meinem Leben, deshalb geschah es ganz automatisch, dass sie eine wichtige Rolle im Buch einnimmt. Die Kunst ist, glaube ich, das, was meine Mutter und meinen leiblichen Vater noch bis heute verbindet. Es ist ein gemeinsames Interesse. Sie haben das gleiche Auge dafür und eine Vorliebe für dieselben Dinge. Alle haben mich immer schon in meinem Werdegang ermutigt und motiviert. Auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Kiko, wie er im Buch heißt, machte Witze über mein Talent, war immer sehr kritisch und trotzdem oder genau deswegen enorm wichtig für meine Entwicklung. Er ist Grafiker und wenn er etwas gut fand, das ich machte, war es für mich das größte Kompliment. Es klingt vielleicht hart, aber ich glaubte immer, ihm etwas beweisen zu müssen und das hat mich extrem angespornt. Mein Vater ist Fotograf, er hat meine Bilder immer verstanden (auch manchmal nicht so, wie ich sie verstand) und ihnen einen Wert beigemessen, den ich selbst nicht darin erkannte. Alles, was meine Mutter mir zeigte, fand ich wunderbar. In meinen Augen ist sie auch eine Künstlerin, sie selbst würde das wahrscheinlich nicht von sich behaupten. Zelo, den ich als archaisches Steinwesen darstelle, ist im Buch selbst ein Kunstwerk. Er ist ursprünglich, wie naive oder primitive Kunst. Auch das war eine wichtige Inspiration für dieses Buch. Ich wollte mich von gestalterischen Normen abwenden, zumindest im Prozess zum Buch.

Welche KünstlerInnen haben dich für deine Arbeiten und deinen Stil am meisten geprägt? Holst du dir deine Inspiration auch in der Comicgeschichte oder vor allem in der Kunstwelt?
Ich hole mir die Inspiration von überall. Es gibt eigentlich in allen Ausstellungen, an jeder Straßenecke irgendetwas, das mir gefällt. Das kann das Fotoporträt des Künstlers, eine Skizze, oder ein zehn mal zehn Zentimeter großer Ausschnitt aus einem riesigen Ölgemälde sein. Aber auch ein komischer Fensterladen, eine Stahlpalme vom Flohmarkt oder ein farbiges Stück Holz inspirieren mich. Ich habe nicht so ein konkretes Bild davon, was Kunst ist. Comics haben mich erst später angefangen zu interessieren, da waren Kinderbücher und die Fotografie schon vorher viel wichtiger für mich.

Seite aus „Drei Väter“ (Edition Moderne)