Stranger than Paradise – „Motor Girl“

Afghanistan-Veteranin Sam lebt zurückgezogen auf dem Schrottplatz der kauzigen aber herzlichen Libby. Als diese rüstige Rentnerin ein seltsam hohes Angebot für den wenig rentablen Flecken Erde mitten in der Wüste bekommt, wird sie misstrauisch. Sam fühlt sich im Rahmen ihrer posttraumatischen Umstände hier wohl, wenigstens kommt sie zurecht und verbringt den Tag am liebsten damit, gemeinsam mit ihrem imaginären Freund, dem missmutigen Gorilla Mike, vorfahrende Autos am Klang ihres Motors zu erkennen. Was steckt hinter dem großzügigen Angebot und warum lässt der mysteriöse Unternehmer sich einfach nicht abwimmeln?

Terry Moore (Autor und Zeichner): „Motor Girl“.
Schreiber & Leser, Hamburg 2018. 224 Seiten. 24,95 Euro

„Motor Girl“, das neueste Werk von Ausnahme-Comickünstler Terry Moore, ist in jeder Hinsicht reduziert, wenn man es mit seinen übrigen Erzählungen vergleicht. Der in sich abgeschlossene Band fährt nicht die atemberaubend detaillierten Splash-Pages seines Mystery-Horrors „Rachel Rising“ auf und ist auch deutlich kürzer und bündiger als das preisgekrönte Soap-Drama „Strangers in Paradise“. Trotzdem ist die fantasievolle Psychostudie ein waschechter Moore. Die wenigen Charaktere sind bis in kleinste neurotische Eigenheiten ausdefiniert und der im immer goldrichtigen Tempo erzählte Plot erzeugt herzliche Lacher, gespannte Begeisterung und tiefe Betroffenheit.

Die Verankerung in sein alle Serien umspannendes „Mooreverse“ geschieht hierbei über die herrlich rotzige Oma Libby, die Terrys Fangemeinde natürlich längst als Francines Tante aus „Strangers in Paradise“ ein Begriff ist. Die Fortsetzung seines wohl umfangreichsten Werks startete erst vor einigen Monaten in den Vereinigten Staaten. Knuddelige Auftragsschläger, putzige Aliens oder die vielen sympathischen Details aller Figuren in „Motor Girl“ können nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Motor Girl“ ein emotional extrem beeindruckendes Werk ist, das neben seinem intelligent konstruierten Spiel mit Realität und Halluzinationen vor allem durch Terrys unnachahmliches Talent für die Gestik und das Gefühlsleben seiner Figuren getragen wird.

Ein großartiges und berührendes Comic-Vergnügen, das sich wegen seiner übersichtlichen Seitenzahl und seiner realistisch verwurzelten Handlung auch ideal als Eisbrecher für Freunde und Verwandte eignet, die bislang keinen Einstieg in die Welt der Comics gefunden haben. Eine ganz klare und unbedingte Empfehlung.

Hier findet sich ein Video-Interview mit Terry Moore.

Dieser Text erschien zuerst auf: DeinAntiheld.de

Mattes Penkert-Hennig ist Betreiber des Online-Comicmagazins DeinAntiHeld.de, Autor für Comic.de und den Berliner Tagesspiegel, war Juror beim „Rudolph Dirks Award“, Panelmoderator auf Comicmessen und hat zahlreiche Video-Interviews mit internationalen Comic-Künstlen geführt. Darüber hinaus produziert er animierte Video-Trailer für Comics und artverwandte Medien.

Seite aus „Motor Girl“ (Schreiber & Leser)