Die Entstehung von „Emmeline und Miranda“ – Teil 2 Oder: Das Leben und andere Unwägbarkeiten

Seit 1977 schrieb der Schriftsteller und Comicautor Peter Mennigen zunächst deutsche Geschichten für Comicreihen wie „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“, „Conny“, „Biggi“, „Vanessa“, „Felix“, „Lasso“, „Phantom“, „Axel F.“ und zahlreiche weitere Serien des Bastei Verlags. Ab den 90er Jahren arbeitete er für andere Verlage wie Egmont (Disney-Magazine), Panini (Jessy, Sternentänzer, Willi will‘s wissen) und Ravensburger (u.a. Fix und Foxi). In dieser Zeit verfasste er auch internationale Comics: „Lucky Luke“, „Schlümpfe“, „Bessy“ und „Isnogud“. Aktuell arbeitet er zusammen mit Ingo Römling an der Mystery-Serie „Malcolm Max“. Für comic.de blickt er zurück auf seine Arbeit im deutschen Comicverlagsgeschäft.

Hier geht es zum 1. Teil.

„Ein solches Maß an Dummheit akzeptiert man vielleicht bei einer Fruchtfliege. Bei einem Inspector von Scotland Yard fällt das schon schwerer.“ (Emmeline Finch)

Nachdem wir grünes Licht vom Verlag bekommen hatten, fehlten noch die drei Zeichner(innen) für die übrigen Episoden. Prinzipiell ist eine solche Albenveröffentlichung für die meisten Comiczeichner das Größte. Andererseits herrschen raue Sitten im „Freelancer-Paradies“. Für Freiberufler ist ein solches Vorhaben immer ein Balanceakt zwischen den der Sicherung des Lebensunterhalts geschuldeten Pflichtaufgaben und der Verwirklichung ihrer Träume. Bei einem Projekt mit vier Zeichnern multipliziert sich dieser Unsicherheitsfaktor entsprechend. Weswegen einige der in Frage kommenden Künstler zwar Interesse signalisierten, es ihnen jedoch an der dafür notwendigen Zeit mangelte. Andere schickten uns Probezeichnungen, die entweder noch nicht ausgereift genug waren oder stilistisch nicht passten.

Bevor sie ihre Comic-Episode zeichnete, schickte uns Simone Grünewald eine wunderbare Illustration von „Emmeline und Miranda“, die später im Zusatzmaterial von „Malcolm Max“ #3 veröffentlicht wurde.

Im Verlauf unserer Suche stießen wir schließlich auf Simone Grünewald. Eine Illustratorin aus Hamburg und Absolventin der Hamburg Animation-School, die bereits als Graphic Artist bei der Hamburger Spieleschmiede Daedalic Entertainment gearbeitet hatte. Ihr dynamisches, detailverliebtes Artwork war phänomenal. Also stellten wir Simone kurzerhand unser Projekt vor. Am 11.10.2015 sagte sie ihre Mitarbeit bei „Emmeline und Miranda“ zu. Sie schickte gleich eine wunderbare Illustration in Sepiatönen von den beiden Mädchen mit, die im Zusatzmaterial von „Malcolm Max“ #3 gedruckt wurde.

Für Simone schrieb ich die Story „Die Entführung“. Darin geht es um eine Bande Berufskidnapper, die es gezielt auf eine Gruppe Kinder abgesehen hat. Aus mysteriösen Gründen geraten auch Emmeline und Miranda in den Fokus der Entführer. In der Geschichte ließ ich erstmals die „Baker Boys“ „offiziell“ in Erscheinung treten. Dabei handelt es sich um drei Straßenjungs aus der Baker Street. „Malcolm Max“-Leser werden zwei von ihnen von einem Kurzauftritt im dritten Album „Nightfall“ wiedererkennen. Als Emmeline sie mithilfe eines der Schwerkraft ausgesetzten Blumentopfes vor einem Amok laufenden Maschinenmenschen rettet. Da Simones Episode in dem fertigen Album das Abschlusskapitel bildet, werden die „Baker Boys“ bereits in zwei der drei vorangegangenen Comics zu sehen sein, die ich allerdings später geschrieben habe.

Nachdem mit Simone eine zweite Illustratorin im Team war, überlegten Ingo und ich, ob wir nicht alle vier Geschichten des Albums von Frauen zeichnen lassen sollten. Bot sich bei einer Anthologie mit Mädchen als Protagonisten eigentlich an. Wie bei „Malcolm Max“ war ursprünglich vorgesehen, dass das Spin-off eine rein deutsche Produktion werden sollte. Um einheimischen Nachwuchstalenten eine – im Idealfall internationale – Bühne zur Präsentation ihres Könnens zu bieten. Entsprechend suchten wir nach geeigneten Künstlerinnen aus Deutschland. Aus unterschiedlichsten Gründen verliefen alle Bemühungen erfolglos. Letztendlich waren wir gezwungen, uns von dem Plan zu verabschieden. Bevor aus der Suche eine never-ending Story wurde, streckten wir unsere Fühler lieber nach Künstlern im Ausland aus.

Ein Portrait der Künstlerin.

In den vergangenen Jahren hatte eine Vielzahl hervorragender Zeichner(innen) aus Italien auf sich aufmerksam gemacht. Was an den professionellen Ausbildungsmöglichkeiten liegt, die angehenden Comickünstlern dort geboten werden. Deshalb erkundigte ich mich bei meinem italienischen Freund, dem Comiczeichner Leo Colapietro, ob er eine gute Zeichnerin kenne, die Interesse an unserem Projekt haben könnte. Seine Antwort lautete: „I have a very very talented friend of mine and her name is Roberta Ingranata. She works for the italian and american market and her lines are very smooth and powerful and at the same time delicate and warm!!!“

Roberta Ingranata konnte bereits einiges an Veröffentlichungen als professionelle Comickünstlerin aufweisen. Auf einem entsprechend hohen Niveau war ihr Artwork. Wir präsentierten ihr unser „Emmeline und Miranda“-Konzept, woraufhin sie uns am 10. Oktober 2016 schrieb: „It would a pleasure, for me, to be part of your project!“

Für Roberta verfasste ich den Comic „Der Vampir“. Mit einem unkonventionellen Intro, das nicht direkt etwas mit der eigentlichen Geschichte zu tun hat. Vielmehr dient es der Charakterisierung von Emmeline und Miranda: Auf der im Bau befindlichen Tower Bridge halten die Mädchen einen angehenden Selbstmörder auf eine etwas aus dem Rahmen fallende Weise vom Sprung in eine ungewisse Zukunft im Jenseits ab. Was sich im weiteren Verlauf der Ereignisse zunächst in Richtung einer stereotypen Vampir-Geschichte zu entwickeln scheint, bekommt im Schlussteil eine überraschende Wende und lenkt das Abenteuer mit dem Blutsauger in eine etwas verstörende Richtung.

Ich erkundigte ich mich bei dem italienischen Comiczeichner Leo Colapietro, ob er eine gute Zeichnerin kenne. Seine Antwort lautete: I have a very very talented friend of mine and her name is Roberta Ingranata.

Statt weiter nach der letzten noch fehlenden Zeichnerin zu suchen, reifte in mir die Überzeugung, dass es im Grunde Ingo Römling gebührte, die erste Emmeline und Miranda Geschichte des Albums zu illustrieren. Schließlich stammte auch die erste graphische Gestaltung der Geschwister von ihm. Zudem passte die inzwischen von mir fertiggestellte Episode „Der kopflose Reiter“ perfekt zu seinem Stil. In der Story zwingt eine diabolische, aus den dunklen Abgründen des Grauens aufgetauchte Spukgestalt unsere Heldinnen u. a. zu einer rasanten Verfolgungsjagd, die ausgezeichnet demonstriert, wie Emmeline und Miranda den Mangel an High-Tech-Equipment eines James Bond durch Improvisationstalent wettmachen.

Eine kleine Besonderheit in dem Skript ist das drollige Meerschweinchen „Fluffy“. Als Ingo und ich 2012 auf der Frankfurter Buchmesse das erste Malcolm-Max-Album signierten, baten ihn zwei nette Teenagerinnen, er solle für sie ein Meerschweinchen in das Album skizzieren. Seine Beteuerungen, dass er noch nie ein solches Tier gezeichnet habe und er es deswegen nicht „artkorrekt“ darstellen könne, schreckten die Mädchen nicht von ihrem Anliegen ab. Das künstlerische Ergebnis glich damals auch mehr einem kühnen Gemisch aus Ratte und Dackel. Bekanntlich macht Übung den Meister. So ist Ingos „Fluffy“ in „Emmeline und Miranda“ an Knuffigkeit nicht zu überbieten. Das Tierchen hat es sogar mit auf das Cover des Albums geschafft. Um seine Darstellung kindgerechter aussehen zu lassen – Fluffy wurde in dem Comic von Emmeline für einen Steckbrief gezeichnet –, brachte Ingo es linkshändig zu Papier.

Statt weiter nach der letzten noch fehlenden Zeichnerin zu suchen, reifte in mir die Überzeugung, dass es im Grunde Ingo Römling gebührte, die erste Emmeline und Miranda Geschichte des Albums zu illustrieren. Schließlich stammte auch die erste grafische Gestaltung der Geschwister von ihm.

Nachdem unser Team vollständig war, stand einer zügigen Umsetzung des Albums eigentlich nichts mehr im Wege. Sollte man zumindest meinen. Doch wie oft im Leben kommt es anders, als man denkt. Ein Projekt mit so vielen Beteiligten an Bord ist zahlreichen unkalkulierbaren Variablen ausgesetzt. Beispielsweise verschoben sich für Simone und Regina mit der Geburt ihrer Kinder die Prioritäten verständlicherweise vom Zeichen- zum Wickeltisch. Robertas Karriere bekam Ende 2016 einen mächtigen Schub. Für den US-Verlag Image Comics zeichnete sie den Relaunch der hochkarätigen Serie „Witchblade“ und für den britischen Publisher Titan Comics eine Reihe „Dr Who“-Comics. Ingo konzentrierte sich zunächst auf die Fertigstellung des vierten „Malcolm Max“-Albums. Erst nach dessen Abschluss Ende 2018 widmete er sich seiner „Emmeline und Miranda“-Episode.

Im Frühjahr 2019 hatten Simone, Regina und Ingo ihre Arbeiten inklusive Kolorierung abgeschlossen. Es fehlten nur noch einige Seiten Artwork von Robertas Episode. Obwohl Roberta mit Arbeiten für andere Verlage bis zum Anschlag eingedeckt war, räumte sie „Emmeline und Miranda“ Vorrang ein und beendete im Frühsommer das letzte Panel. Die Kolorierung der geinkten Seiten konnte sie jedoch unmöglich termingerecht fertigstellen, damit das Album bis Jahresende veröffentlicht werden konnte. Zu unserem Glück fand Ingo mit Vivian Mittag eine ausgezeichnete Koloristin, die Robertas Part übernahm.

Trotz aller Anstrengungen schafften wir es mit dem Album nicht mehr in die Ankündigungen im Splitter-Onlinekatalog 2019/2020. Doch zumindest war das Artwork rechtzeitig auf dem Verlagsserver, um „Emmeline und Miranda“ in der Printausgabe des Katalogs vorzustellen.

Es war ein langer und nicht immer einfacher Weg zum ersten „Malcolm Max“-Spin-off. Das Ergebnis ist eine Zusammenstellung von vier Geschichten mit einem stilistisch breit gefächerten Artwork. Geschaffen von Ingo und drei sehr talentierten Zeichnerinnen, die alle viel Geduld, Zeit, Arbeit und Herzblut in das Projekt gesteckt haben.

Den Inhalt der düsteren Geschichten beschreibt ein subtiler Epilog von Emmeline Finch wie folgt: „Es klingt vielleicht melodramatisch, doch wird Miranda und mir bei unseren Abenteuern nicht nur eine satte Dosis Gänsehaut zuteil, sondern unser letztes Stündlein womöglich auch um einiges früher schlagen und dafür umso grausamer ausfallen, als wir bislang zu hoffen gewagt hatten.“

In Simone Grünewalds Story geht es um eine Bande Berufskidnapper, die es gezielt auf eine Gruppe Kinder abgesehen hat.


Aus mysteriösen Gründen geraten auch Emmeline und Miranda in den Fokus der Entführer.


Auf die eine oder andere – manchmal den Rand der Legalität schrammende – Art sorgen die „Baker Boys“ dafür, dass sie nicht zu kurz kommen.
Artwork: Ingo Römling


Ingo Römling und ich präsentierten Roberta Ingranata unser „Emmeline und Miranda“-Konzept. Sie antwortete: It would a pleasure, for me, to be part of your project!
Artwork: Roberta Ingranata


In ihrer Story halten Emmeline und Miranda einen angehenden Selbstmörder auf eine etwas aus dem Rahmen fallende Weise vom Sprung von der Tower Bridge in eine ungewisse Zukunft im Jenseits ab.
Artwork: Roberta Ingranata


In „Der kopflose Reiter“ nehmen die Geister Verstorbener offenbar Kontakt mit dem Diesseits mittels einer mystischen Schreibmaschine auf.
Artwork: Ingo Römling


Zu allem Übel taucht auch noch eine diabolische Spukgestalt aus den dunklen Abgründen des Grauens auf.


Emmeline und Miranda machen den Mangel an High-Tech-Equipment eines James Bond durch Improvisationstalent wett. Gegen „Miss Speedy“ ist das „Batmobil“ eine müde Rostlaube.
Artwork: Ingo Römling


„Fluffy“, das drollige Meerschweinchen, hat es sogar mit auf das Cover des Albums geschafft. Um seine Darstellung kindgerechter aussehen zu lassen, brachte Ingo Römling es linkshändig zu Papier.


Mit einem strukturierten Projektplan hielt Ingo Römling das Team permanent über den aktuellen Stand der Dinge auf dem Laufenden.