Die Entstehung von „Emmeline und Miranda“ – Teil 1 Oder: Von der Idee zum „Malcolm Max“ Spin-off

Seit 1977 schrieb der Schriftsteller und Comicautor Peter Mennigen zunächst deutsche Geschichten für Comicreihen wie „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“, „Conny“, „Biggi“, „Vanessa“, „Felix“, „Lasso“, „Phantom“, „Axel F.“ und zahlreiche weitere Serien des Bastei Verlags. Ab den 90er Jahren arbeitete er für andere Verlage wie Egmont (Disney-Magazine), Panini (Jessy, Sternentänzer, Willi will‘s wissen) und Ravensburger (u.a. Fix und Foxi). In dieser Zeit verfasste er auch internationale Comics: „Lucky Luke“, „Schlümpfe“, „Bessy“ und „Isnogud“. Aktuell arbeitet er zusammen mit Ingo Römling an der Mystery-Serie „Malcolm Max“. Für comic.de blickt er zurück auf seine Arbeit im deutschen Comicverlagsgeschäft.

Hier geht es zum 2. Teil.

„Das Paradies ist ein Mythos. Wie sonst ließe sich die mangelnde Anziehungskraft auf ein Leben im Jenseits erklären?“ (Miranda Finch)

Ihr Comicdebüt feierten die beiden Nachwuchsdetektivinnen aus der 221A Baker Street bereits 2013 im ersten „Malcolm Max“-Album „Body Snatchers“. Geplant war eigentlich nur ein einmaliger Kurzauftritt in drei oder vier Panels. Doch irgendwie verselbstständigten sich die Finch-Schwestern im Verlauf der Story und verhalfen dem Titelhelden dank ihrer Unterstützung sogar zur Lösung des Falles. Seitdem gehören Emmeline und Miranda zum festen Ensemble der Serie.

Die zwölfjährige Emmeline Finch ist eine Art „forensisches Wunderkind“, das durch den Nachbarn, ein Detektiv namens Sherlock Holmes, geprägt wurde. Dadurch wurde sie eine kleine Meisterin der Deduktion, der Fähigkeit aufgrund genauer Beobachtung von Details logische Schlussfolgerungen zu ziehen. Emmelines Auftreten ähnelt in der Tat ein wenig dem von Benedict Cumberbatch in seiner Rolle als Sherlock. Man könnte ihre leicht besserwisserische Art auch als Ausdruck ihres Selbstbewusstseins werten. Ähnliches gilt für ihre achtjährige Schwester Miranda, die so etwas wie eine höchst rationale menschliche „Faktenmaschine“ ist. Wobei sie mit ihrem niedlichen Stofftier ein unzertrennliches Duo bildet, das durch Dick und Dünn geht.

Cover des ersten „Malcolm Max“-Spin-off-Albums aus dem Splitter Verlag. Artwork: Ingo Römling

Nach dem Erfolg der ersten beiden „Malcolm Max“-Alben hätten Ingo Römling und ich gern den Veröffentlichungsrhythmus der Serie etwas erhöht. Was jedoch aufgrund des damit verbundenen Arbeits- und Zeitaufwandes unmöglich war. Zumal wir beide auch in anderen Projekten eingebunden waren. Für Panini und Disney/Marvel zeichnete Ingo verschiedene „Star Wars“-Comics. Ich schrieb neben einer monatlichen Comicserie für Panini etwa alle drei Monate einen neuen „Cotton Reloaded“-Roman für Bastei. An eine Erhöhung unseres Outputs für „Malcolm Max“ war also nicht zu denken.

Vor diesem Hintergrund mailte mir Ingo kurz vor Fertigstellung des dritten „Malcolm Max“-Albums eine Fan–Art-Illustration. Die Zeichnung stammte von Regina Haselhorst und zeigte Charisma und Fiona bei einer Teestunde. Die Art der Darstellung, die Mimik der Personen, die Natürlichkeit ihrer Posen und die Farbgebung fand ich beeindruckend. Wir beschlossen spontan das Bild als Zusatzmaterial mit ins nächste „Malcolm Max“-Album zu nehmen.

Die Illustration brachte uns noch auf eine andere Idee: Was, wenn wir die Popularität von „Malcolm Max“ nutzten und ein Spin-off-Album der Serie mit Regina als Zeichnerin produzierten? Das würde nicht nur das Malcolm-Max-Universum erweitern, sondern den Lesern die Wartezeit bis zum nächsten Album der Hauptserie verkürzen. Hinter diesem Plan standen allerdings eine Menge Fragezeichen. Allesamt vorzüglich geeignet, unser Vorhaben Schiffbruch erleiden zu lassen. So wussten wir nicht, ob Regina bei dem Projekt überhaupt mitmachen würde. Im Zwerchfell Verlag war zwar ihr „Mädchencomic“ veröffentlicht worden und sie hatte auch Erfahrung als Illustratorin, Concept Artist und Animatorin. Ein 48 Seiten umfassendes Comicalbum war jedoch ein ganz anderes Kaliber, das locker zehn bis zwölf Monate Arbeitszeit beanspruchte.

Vita unserer jungen Heldinnen. Artwork: Ingo Römling

Die Lösung des Dilemmas schien denkbar simpel, zumindest in der Theorie: Was, wenn das Album anstatt einer 48-Seiten-Story mehrere Kurzgeschichten beinhaltete? Vier Episoden mit einem Umfang von jeweils 12 Seiten schienen durchaus machbar. Wenn vier Künstler es zeichneten, wäre das Album relativ schnell fertigzustellen. Dachten wir damals zumindest. Uns war nicht klar, wie viele Unwägbarkeiten sich uns noch in die Quere stellen würden.

Nun blieb die große Frage: Welchem Charakter aus dem „Malcolm Max“-Universum sollte das Album gewidmet sein? Unsere Wahl fiel auf Emmeline und Miranda. Zum einen hatte sich das Duo inzwischen als Publikumsliebling in die Herzen vieler Leser ermittelt. Zum anderen mag ich Geschichten mit körperlich eher unterlegenen Protagonisten. Allein schon aufgrund ihres Alters und ihrer Physis verkörpern die Mädchen das Gegenteil des klassischen Helden-Profils. Diese „Mängel“ müssen die jungen Ermittlerinnen durch andere Attribute wie zum Beispiel Klugheit und Mut wettmachen.

Nachdem diese Themen intern geklärt waren, erkundigten wir uns bei Regina, ob sie sich ihre Mitarbeit an einem solchen Comicalbum vorstellen könne. Im März 2015 erhielten wir ihre Zusage. Sie war zwar sofort Feuer und Flamme für den Comic, gab aber zu bedenken, dass sie einen Vollzeitjob hatte und somit lediglich an den Wochenenden zeichnen könne. Was zu diesem Zeitpunkt nicht weiter tragisch war. Da es für unser Vorhaben keine Deadline gab, hatten wir auch keinerlei Zeitdruck.

Miranda und ihr niedliches Stofftier bilden ein unzertrennliches Duo, das durch Dick und Dünn geht. Artwork: Ingo Römling

Damit waren die ersten Weichen für unser Projekt gestellt. Jetzt fehlte „nur“ noch ein Skript. Für das Album schwebten mir vier jeweils in sich abgeschlossene, im viktorianischen London angesiedelte Kriminalgeschichten vor. Allerdings sollten sich die Storys nicht allein um die Lösung von Verbrechen drehen, sondern zudem Einblicke in das Leben von Emmeline und Miranda gewähren, um sie ausführlicher kennenzulernen. Weswegen sie keinesfalls bloß damit beschäftigt sind, zwielichtige Subjekte zu jagen, die es mit den Gesetzen nicht so genau nehmen. Sie tun, was Kinder ihres Alters zu tun pflegen: spielen, zur Schule gehen und so weiter. Hin und wieder tauchen sie in die Londoner Unterwelt ein, wo das Böse hinter jeder Ecke in den dunklen Schatten der nebeldurchtränkten Straßen lauert. Die Aufklärung normaler Delikte erschien mir für ein „Malcolm Max“-Spin-off zu banal. Zur Steigerung des Nervenkitzels plante ich eine Kombination aus realistischen Fällen angereichert mit einem übersinnlichen Flair, gemäß dem Motto: Der echte Horror versteckt sich hinter der Trivialität des Alltäglichen.

Die Geschichten in „Emmeline und Miranda“ sind in erster Linie für „Malcolm Max“-Leser gedacht. Wobei ich den Spagat wagte, die Abenteuer einerseits interessant für eine erwachsene Leserschaft zu gestalten, anderseits sollten sie aber auch als Lektüre für jüngere Leser(innen) in der Altersgruppe der Titelheldinnen – so ab 10 Jahren – geeignet sein.

„Die Leichenkammer“ war der Titel des ersten Skripts, das ich für Regina verfasste. Die Handlung basiert locker auf dem realen Fall von John Christie, dem Frauenmörder von London. Zwischen 1943 und 1953 tötete Christie sieben Frauen, deren Leichen er unter den Dielen und in Hohlräumen der Wände seiner Mietwohnung deponierte. Nachdem sich der Platz für weitere Opfer erschöpft hatte, zog er um. Seine makaberen Hinterlassenschaften überließ er den Nachmietern, die sich anfangs lediglich über den penetranten Verwesungsgeruch in den Räumlichkeiten wunderten, ehe die Wahrheit eines Tages – in Form einer makabren Leichenkollektion – wortwörtlich ans Licht kam. In dem Comic werden Emmeline und Miranda Zeuge des Mordes an einer jungen Frau. Bei einem heimlichen Exkurs in die Wohnung des Täters entdecken sie hinter einem Kleiderschrank das sprichwörtliche Tor zur Hölle.

Beim Schreiben merkte ich bald, dass ein auf 12 Seiten reduzierter Comic zu eng begrenzt war, um die Handlung angemessen zu erzählen. Also erweiterte ich den Umfang des Kapitels um zwei Seiten. Mitte Mai 2015 hatte Regina dann die erste Seite komplett gezeichnet und koloriert.

Im nächsten Schritt stellten wir unser Projekt den Verlegern des Splitter-Verlages vor. Wir schickten Delia Wüllner-Schulz, Dirk Schulz und Horst Gotta ein ausführliches Konzept, das Skript der ersten Story und Reginas Artwork. Am 22.6.2015 mailte Dirk Schulz: Den Malcolm Sonderband werden wir auf jeden Fall machen!

Comicstrip oben: Das Debüt von Emmeline und Miranda im ersten „Malcolm Max“-Album „Body Snatchers“ aus dem Jahre 2013.
Comicstrip unten: Geplant war eigentlich nur ein einmaliger Kurzauftritt in drei oder vier Panels. Doch irgendwie…
Artwort: Ingo Römling


… verselbstständigten sich die Finch-Schwestern im Verlauf der Story und verhalfen Malcolm Max sogar zur Lösung des Falles.


Seitdem gehören Emmeline und Miranda zum festen Ensemble der Serie, wie in dieser Szene aus Malcolm Max #4 „Blutrausch“.


Die „Fan–Art“-Illustration von Regina Haselhorst mit Charisma und Fiona bei einer Teestunde aus Sujet.


Ein Portrait der Künstlerin.


Die erste Seite der „Emmeline und Miranda“-Story von Regina Haselhorst.


Szene aus der „Emmeline und Miranda“-Story „Die Leichenkammer“.