Zurück auf Schmerz – „Isle of Dogs“

© Twentieth Century Fox of Germany GmbH

Wer heute nicht zum Computer greift, um Leben in unbewegte Objekte zu hauchen, sondern dafür im Puppentrick-Verfahren Millimeterarbeit leistet, entscheidet sich bewusst für eine obsolete Technik. Dass Wes Anderson nach „Der fantastische Mr. Fox“ (2009) für „Isle of Dogs“ – eine schon im Titelklang kaum verhohlene Liebeserklärung – wieder zu dieser Tricktechnik greift (und dabei, versteht sich, ein extravagantes visuelles Trick-Feuerwerk abfackelt), macht angesichts seines filmografischen Projekts reichlich Sinn: Wie kein zweiter Filmemacher seiner Generation sehnt sich Anderson, Jahrgang 1969, nach Haptik und Textur des 20. Jahrhunderts, insbesondere nach dessen kultureller Blütezeit der 50er bis 70er Jahre.

Vom gediegenen Retro-Popsong bis zum gediegenen Briefpapier sind Andersons Filme makellos kuratierte Designprodukte, in denen jedes Objekt seinen eigens zugewiesenen Platz erhält, bis alles wie ein Uhrwerk schnurrt, bis hin zu den Figuren – der typische, leicht zwanghaft anmutende Puppenhaus-Effekt, den die planen, oft streng symmetrischen Bildkompositionen noch verstärken. Für einen detailversessenen Kontrollfreak, Textur-Fetischisten und Mid-Century-Modernisten gibt es am Stop-Motion-Trick kein Vorbeikommen.

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Andersons Autorenkino bietet jedoch mehr als postmodern-ironischen Tand mit verklärendem Vergangenheitskolorit. Nostalgie? Ja, aber in ihre Wortbestandteile zerlegt – die griechischen Begriffe für „Rückkehr“ und „Schmerz“ – und unbedingt ernst genommen. Andersons Geschichten rühren an wunde Punkte, von denen seine Figuren nicht loskommen, sie handeln von dysfunktionalen Familien, gestürzten Patriarchen, entfremdeten Künstlern, von Kindern, die zu früh erwachsen wurden, von Erwachsenen, die zu lange Kinder blieben. Es geht um biografische Verletzungen und die Suche nach Heilung – Andersons Filme sind Aufarbeitungen dessen, was den Figuren vor Filmbeginn zugestoßen ist.

Sammlung von Japaniana

Neu hinzugekommen ist zuletzt allerdings eine zuweilen irritierende Verdüsterung der historischen Ausgangslage. Schon „Grand Budapest Hotel“ (2014) griff die europäische Katastrophe des deutschen Faschismus vor der Kulisse eines fiktiven Ost-Europas spielerisch auf und verklausulierte sie zu einem Piff-Poff-Pistolenspiel zwischen Tätern und Opfern – allerdings ohne dabei den wahren historischen Schmerz auszublenden.

„Isle of Dogs“ beschreitet diesen Weg konsequent weiter und verortet seine Faschismus-Allegorie von einer diffus bleibenden Gegenwartsposition aus in einem Japan 20 Jahre in der Zukunft: Kobayashi, diktatorischer Bürgermeister von Megasaki, führt einen eisernen Krieg gegen die Hunde: Bald schon werden sie deportiert – nach Trash Island, einer Mülldeponie draußen vor der Küste der Stadt, wo sie sich um jeden Fetzen Essen schlagen.

Atari (Koyu Rankin), der junge Neffe des Diktators, gibt sich damit nicht zufrieden. Auf der Suche nach seinem Leibwächter-Hund Spots (Liev Schreiber) wagt er sich auf die Insel, wo ihm ein zerzaustes Rudel zur Seite steht, das sich um Streuner Chief (Bryan Cranston) gebildet hat. Derweil formiert sich auf dem Festland unter Anleitung einer Austauschstudentin (Greta Gerwig) der Widerstand gegen Kobayashi.

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Eine Hommage an die Filme von Akira Kurosawa und Hayao Miyazaki, an die Bilder von Hokusai und Hiroshige schwebte ihm vor, sagt Anderson in Interviews. Das hat ihm Vorwürfe kultureller Aneignung und Exotisierung eingebracht – zumal die Hunde sich auf Englisch äußern, während die japanische Bevölkerung nicht untertiteltes Japanisch spricht und damit geothert wird. Prinzipiell sind die Vorwürfe nicht von der Hand zu weisen, auch wenn Andersons mit allen erdenklichen Japaniana vollgestopfte Schmetterlingssammlung zum einen smart genug inszeniert ist, um erkennen zu lassen, dass diese Verdichtung ästhetischer Insignien als eine Art Simulacrum bewusst einer westlichen Perspektive entspringt. Zum anderen bleibt sie im Aufgriff behutsam genug, um als Ehrerbietung durchzugehen (auch wenn sich am Ende das White-savior-Motiv sichtlich vergaloppiert).

Interessanter als solche naheliegenden Kritikanlässe ist allerdings die Reibefläche, die entsteht, wenn Anderson die Hässlichkeit der politischen Abgründe des 20. Jahrhunderts nicht eben unheikel auf seine filmische Ästhetik treffen lässt. Die aufrichtige Traurigkeit und der tiefe melancholische Schmerz, den alle Anderson-Filme umkreisen, ummantelt von verschrobenem Witz, inszenatorischen Gags und handverlesenen Objektgalerien, gräbt sich ziemlich konkret ins Bild. Mitunter greift Anderson auf einen Bildfundus zurück, der gemeinhin mit der Shoah in Verbindung steht.

Gut möglich, dass das Verharmlosung ist, dass der Ernstfall des 20. Jahrhunderts im Coffee-Table-Book-Universum eines Hipster-Regisseurs eher schlecht untergebracht ist. Dennoch schwingt da eine zweite Ebene mit: Die Verklärung des 20. Jahrhunderts bricht auf, die Erkenntnis, dass der Hintergrund für dessen ästhetische Textur die Schrecken des Faschismus sind, sickert ein. Anderson sagt geschichtsvergessener Nostalgie den Kampf an mittels einer Rückkehr im Schmerz. Wer die 50er bis 70er Jahre haben will, kommt um die 30er und 40er nicht herum. Mimetische Darstellung ist dagegen bloß illusorische Reproduktion. In dieser Hinsicht ist Wes Anderson Brechtianer.

Dieser Text erschien zuerst in: Der Freitag 19/2018

Isle of Dogs
USA, Deutschland 2018

R: Wes Anderson – B: Wes Anderson – P: Wes Anderson, Jeremy Dawson, Steven Rales, Scott Rudin – K: Tristan Oliver – Sch: Edward Bursch, Ralph Foster, Andrew Weisblum – M: Alexandre Desplat – A: Paul Harrod, Adam Stockhausen – V: 20th Century Fox – L: 100 Min – FSK: 6 – Filmstart Deutschland: 10.05.2018

Thomas Groh, Jahrgang 1978, lebt seit 1997 in Berlin, ist Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur und schreibt u. a. für die taz, den Tagesspiegel, den Perlentaucher und weitere Medien über Filme. Im Netz anzutreffen ist er in seinem Blog und auf Twitter.