„Ideale und sonstiger Mottenfraß“

Foto: "Black Hammer" (© Dark Horse / Splitter Verlag)

„I’m the new national hero of united Germany. I am Hauptmann Deutschland“, staucht ein bis dato unbekannter Superheld 1991 sein Gegenüber zusammen. Kurz nach der Wiedervereinigung hatten die Entscheidungsträger bei Marvel Comics die Schutz Heiliggruppe ins Leben gerufen, die erste explizit deutsche Superheldenvereinigung. In Kooperation mit Captain America war sie der deutsche Außenposten eines immer weiter wachsenden Superheldenkosmos. Neben dem Anführer Hauptmann Deutschland, der später den Namen Vormund erhielt, gehörten zum Team Blitzkrieger und Zeitgeist. Der Erfolg wollte sich allerdings nicht einstellen. Nach einer Handvoll Auftritten war Schluss für die Schutz Heiliggruppe.

Betrachtet man die Geschichte des Superheldengenres, ergeben solche regionalen Verwurzelungen der Helden ohnehin wenig Sinn; zahlreiche ihrer Biografien sind von Migrationserfahrungen geprägt, von Flucht und dem Gefühl, innerhalb der amerikanischen Gesellschaft ein Alien zu sein: Superman stammt vom Planeten Krypton, Wonder Woman aus Themyscira und Green Lantern aus dem Weltall, Colossus ist Russe, Forge ein Native American, Black Panther stammt aus dem afrikanischen Wakanda, und Magneto ist Auschwitz-Überlebender. Sie hadern mit einer Gesellschaft, die sie zwar vor dem Bösen beschützen, die aber gleichzeitig Angst vor dem Fremden hat, das sie verkörpern.

Solche Zweifel waren der Schutz Heiliggruppe fremd. 30 Jahre nach ihrem unspektakulären Ende scheint der Zeitgeist sich jedoch wieder in Richtung nationaler Superhelden zu orientieren, die an die Tradition der Schutz Heiliggruppe anknüpfen, jedoch ohne die Rückendeckung von Captain America. Liga Deutscher Helden nennt sich etwa eine solche Truppe, die seit einigen Jahren erneut unter Führung von Hauptmann Deutschland beziehungsweise Captain Germany, wie er sich nunmehr nennt, für die Rettung Deutschlands eintritt. „Europa braucht seine Heldinnen und Helden, die zwischen Fachwerkbauten, in Rhein und Main oder über dem Kölner Dom ihr Unwesen treiben“, erklären die Macher auf ihrer Webseite. „Superheldencomics brauchen Geschichte, Legenden und coole Settings. Von all dem hat Europa reichlich.“ Anders als die USA, meint man da im Subtext mitzulesen. „Geschichte“ ist da etwa der Karneval, verkörpert vom schwarz-rot-gold gewandeten und Kamelle schmeißenden Jeck, andere Helden heißen Lorelei, Blanker Hans oder Watzmann und sollen der klischeehaften Story lokale Identifikationsfiguren geben, die selbstverständlich im jeweiligen Dialekt sprechen. Der Feind ist ebenfalls schnell ausgemacht und sitzt wie zu den Hochzeiten des Kalten Kriegs im Osten: „Wie die meisten von euch wissen, war der Rote Husar Mitglied der Komintern und ein mächtiger Gegner der Wiener Wächter.“ Bierernst werden längst überwundene Feindbilder reaktiviert und ein Superheldenbild gezeichnet, das sich in den USA kein Künstler mehr zu entwerfen wagte.

Die erwähnten Wiener Wächter sind das österreichische Pendant zur Liga Deutscher Helden, auch bekannt als Austrian Superheroes, die seit 2016 mit wachsendem Erfolg in Heft- und Buchform erscheinen. Etwas ambitionierter als ihre deutschen Ableger haben die Macher für ihre Helden eine Herkunftsstory entwickelt, die bis in jene Zeit zurückreicht, als die US-Superhelden auf der Bildfläche erschienen: im Zweiten Weltkrieg. Viele Vertreter der ersten Generation amerikanischer Superheldenzeichner hatten bekanntlich einen jüdischen Migrationshintergrund und machten nicht nur ihre Ausgrenzungs- und Fluchterfahrungen unter der Oberfläche zum Thema der Comics, sondern ließen ihre Helden auch ganz explizit gegen die Nazis ins Feld ziehen. Ausgerechnet der erste Superheld der Wiener Wächter, Captain Austria, wird in einer Story als jüdischer Überlebender der Konzentrationslager eingeführt, erkennbar an seiner Tätowierung auf dem Unterarm: „Alle meine Freunde von früher sind fort. Tot. Oder geflohen, ausgewandert.“

In seinem Hass auf die Russen, die 1946 in Wien stationiert sind, unterscheidet sich Alfred Kogler, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, allerdings nicht von seinen Landsleuten. Eine US-Geheimorganisation namens Socrates bildet ihn zum Superhelden aus, und kurze Zeit später blickt er stolz auf das Land, das ihm noch wenige Jahre zuvor die Zugehörigkeit verweigert hatte: „Mit unserer Hilfe war Österreich nicht nur frei – es war sicher! Schurken, Gauner, gebt nur acht! Weil Captain Austria stets wacht!“ Wo die X-Men auf Kontinuitäten des Antisemitismus verwiesen haben, wenn in den Comics etwa parlamentarische Diskussionen über die Kennzeichnungspflicht von Mutanten geführt wurden, wird der ehemals verfolgte Kogler rasch ins Nachkriegsösterreich integriert, als hätte es die Jahre vor 1945 nie gegeben und als wären die zentrale Bedrohung 1946 Kleinkriminelle und selbstverständlich „die Russen“.

Im Mittelpunkt der Storys steht allerdings die nächste Generation um Alfred Koglers Sohn, der das Kostüm von seinem Vater übernommen hat. Und so kämpfen die Helden Captain Austria Jr., Lady Heumarkt, Donauweibchen und Bürokrat gegen allerhand übernatürliche Wesen und Gefahren. Sie sind erfüllt von „Idealen und sonstigem Mottenfraß“, wie Karl Kraus einmal das zähe Festhalten an Moralvorstellungen umschrieben hat; was aber die US-Superheldenstorys aus Parallelwelten und alternativen Universen, voller Superschurken und schier unbesiegbarer Wesen mit übermenschlichen Fähigkeiten auszeichnet, ist, dass sie etwas über die gegenwärtige Gesellschaft erzählen, über Konflikte und Debatten, Tabus und Aufbrüche – davon ist bei den Austrian Superheroes nichts zu spüren. Ebenso, wie die jüdische Familiengeschichte von Captain Austria keine sichtbare Konsequenz hat, bleiben die Abenteuer der Helden entkoppelt von jeglicher Gegenwart – und das angesichts der politischen Verwerfungen im Österreich der letzten Jahre.

Die ebenfalls neue Reihe „Tracht Man“, deren Protagonist den Freistaat Bayern gegen mutierte „Saupreißen“ verteidigt, versucht gar nicht erst, ambitionierte Hintergrundgeschichten zu etablieren, um das Handeln des Helden zu erklären; er ist eben einfach stark, und es gibt eine Bedrohung, gegen die er kämpft. Das ist nicht besonders spannend oder ästhetisch interessant, nimmt sich aber immerhin nicht allzu ernst.

Vollständig in seiner eigenen Comicwelt lebt der schon in den Achtzigern von Regisseur Jörg Buttgereit entworfene Captain Berlin, der seit ein paar Jahren eine eigene Heftreihe hat. Nazis werden verprügelt, ein mutierter Hitler tritt auf, und später versucht seine Vertraute Ilse von Blitzen bis in die Gegenwart Berlin zurückzuerobern. Viele Zitate klassischer Superhelden in ihrem Eintreten gegen Hitler machen deutlich: Womöglich ist dieser Kampf gegen Superhitler mittlerweile einfach auserzählt. Bei Captain Berlin hat Hitler Ziele und Ambitionen, die jenseits seiner mörderischen Politik liegen, er ist ein Womanizer und wird als Superschurke inszeniert, ein Charaktertypus, der im Comic immer auch Identifikationspotential bieten soll, während von Blitzen als attraktive Klischeefrau inszeniert ist. 1941, als Captain America auf einem Heftcover Hitler mit einem Fausthieb niederstreckte, war in dieser Geste noch der Versuch nachvollziehbar, realen Soldaten, die gegen einen realen Gegner in den Krieg zogen, zumindest symbolische Unterstützung zukommen zu lassen – zumal aus der Feder zweier jüdischer Künstler, Jack Kirby und Joe Simon.

Dass es funktionieren kann, Superhelden jenseits von Gotham City oder anderen US-Großstädten zu verorten, zeigt die Reihe „Black Hammer“, die Jeff Lemire entworfen hat. Darin lebt in den Fünfzigern ein Haufen ehemaliger Superhelden in einer Kleinstadt-WG im Mittleren Westen und muss seine Superkräfte verbergen, um nicht den Hass der Bewohner auf sich zu ziehen. Statt Schurken zu jagen, wird der Stall ausgemistet, ein Entkommen ist nicht möglich, da ein Kraftfeld die Stadt umgibt. Aus der Trostlosigkeit der Provinz entspinnt sich ein ganz neuer Blick auf das Superheldenuniversum, von dem Tracht Man, Captain Berlin, Donauweibchen oder Blitzkrieger in ihrer provinziellen Langeweile nur träumen können.

Dieser Text erschien zuerst in: KONKRET 01/2020

Jonas Engelmann ist studierter Literaturwissenschaftler, ungelernter Lektor und freier Journalist. Er hat über „Gesellschaftsbilder im Comic“ promoviert, schreibt über Filme, Musik, Literatur, Feminismus, jüdische Identität und Luftmenschen für Jungle World, Konkret, Zonic, Missy Magazine und andere, ist Mitinhaber des Ventil Verlags und Co-Herausgeber des testcard-Magazins.