Seit 1977 schrieb der Schriftsteller und Comicautor Peter Mennigen zunächst deutsche Geschichten für Comicreihen wie „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“, „Conny“, „Biggi“, „Vanessa“, „Felix“, „Lasso“, „Phantom“, „Axel F.“ und zahlreiche weitere Serien des Bastei Verlags. Ab den 90er Jahren arbeitete er für andere Verlage wie Egmont (Disney-Magazine), Panini (Jessy, Sternentänzer, Willi will‘s wissen) und Ravensburger (u. a. Fix und Foxi). In dieser Zeit verfasste er auch internationale Comics: „Lucky Luke“, „Schlümpfe“, „Bessy“ und „Isnogud“. Aktuell arbeitet er zusammen mit Ingo Römling an der Mystery-Serie „Malcolm Max“. Für comic.de blickt er zurück auf seine Arbeit im deutschen Comicverlagsgeschäft.
Der Westerncomic um Silberpfeil, den jungen Häuptling der Kiowa, und dessen weißen Blutsbruder Falk erschien in Deutschland von 1969 bis 1988. Mit insgesamt 768 Heften* und 19 Taschenbüchern gehört der Comic mit zu den langlebigsten Serien aus dem Bastei Verlag. Erfunden und gezeichnet wurde „Silberpfeil“ von dem am 3.Dezember 1942 in Antwerpen geborenen Künstler François „Frank“ Sels. Zwischen 1963 und 1969 hatte Sels für das Studio von Willy Vandersteen gearbeitet, wo er Episoden der Comicserien „Bessy“, „Karl May“ und „Der Rote Ritter“ zeichnete.
Erstmals wurde „Silberpfeil“ 1966 in dem flämischen Magazin „OHEE“ veröffentlicht. Drei Jahre später gründete Sels sein eigenes Studio und produzierte „Silberpfeil“ fortan exklusiv für den Bastei Verlag. Die ersten Geschichten erschienen ab Januar 1969 als Fortsetzungen in dem Comicmagazin „Felix“. Im Juni 1970 erhielt der Titelheld dann sein eigenes, wöchentlich erscheinendes Heft. Die Reihe entwickelte sich in Deutschland rasch zu einem Bestseller mit Auflagenzahlen, von denen jeder Comicverlag heute nur träumen kann.
Wenige Monate nachdem ich die Serie „Bessy“ übernommen hatte, schrieb ich ab Ende 1978, Anfang 1979 fast zeitgleich auch die Comicreihen „Lasso“ und „Silberpfeil“. Allesamt kommerziell sehr erfolgreiche und bei den Lesern beliebte Titel. Ich hatte die Comics früher regelrecht verschlungen und konnte mein Glück kaum fassen, die Abenteuer der Helden meiner Kindheit nun selbst gestalten zu dürfen.Meine „Ernennung“ zum Autor von „Silberpfeil“ verlief relativ unspektakulär: Eines schönen Tages erhielt ich ein Päckchen von der Bastei-Jugendredaktion mit einigen „Silberpfeil“-Comics und der Aufforderung zwei oder drei Exposés für die Serie zu schreiben. Offenbar hatte ich dabei nicht viel falsch gemacht, denn binnen einer Woche bekam ich meine Exposés – mit kleinen Anmerkungen und Änderungswünschen versehen – genehmigt wieder. Im nächsten Schritt setzte ich die Storys als Skripte mit ausführlichen Bildbeschreibungen für den Zeichner um.
Von da an schrieb ich die Exposés und Skripte für „Bessy“, „Lasso“ und „Silberpfeil“ kontinuierlich Woche für Woche – zum Ende ihrer Laufzeit hin dann zweiwöchentlich – bis zu ihrer Einstellung Mitte der 1980er Jahre. Hinzu kamen noch diverse andere wöchentlich bzw. zweiwöchentlich und monatlich erscheinende Comicreihen. Alles zusammengenommen war das ein ziemlicher Output. Ich hatte dermaßen alle Hände voll zu tun, dass mir keine Zeit blieb einen Gedanken daran zu verschwenden, was ich unternehmen sollte, falls mir mal die Ideen ausgingen.
Silberpfeil und sein Blutsbruder Falk waren die Protagonisten des Heftes. Doch der heimliche Liebling der zumeist männlichen Leserschaft war deren Begleiterin, die junge Indianerin Mondkind. Wobei neben ihrem attraktiven Aussehen vor allem ihr hochgeschlitztes Kleid einen großen Anteil an ihrer Popularität gehabt haben dürfte. Anders als heute waren die Comics der 1960er und 1970er Jahre in puncto freizügige Illustrationen um einiges zurückhaltender. Weswegen die relativ gewagte Darstellung von Mondkind für die vorpubertierende männliche Leserschaft einen echten Wow-Faktor besaß.Bis Anfang der 1980er Jahre hatte sich der Bastei Verlag den Luxus von zwei Jugendredaktionen geleistet. Christian Lohmann war der Leiter der „Funny“-Redaktion, die lustige Kindercomics publizierte: „Felix“, „Sindbad“, „Biene Maja“ und ähnliche Comics, die zumeist populäre Trickfilmserien adaptierten. Werner Geismar hatte die Leitung der anderen Jugendredaktion. Dort produzierte man etwas „härtere“ Actioncomics wie „Gespenster Geschichten“, „Phantom“ oder „Bessy“.
1981 gerieten die Verkaufszahlen der „Bastei“-Comics zunehmend unter Druck. Viele Auflagen stürzten beinahe abrupt ab. 1980 verkauften sich beispielsweise von „Biene Maja“ an die 400.000 Hefte pro Ausgabe. Doch die Serie musste aufgrund der geschwundenen Nachfrage bereits im Juli 1981 eingestellt werden. Nicht ganz so dramatisch, aber doch ähnlich negativ erging es fast allen Reihen. Aufgrund der sich verschlechternden Marktsituation und der damit verbundenen Umsatzrückgänge sah sich der Verlag zu einem Konsolidierungsprogramm gezwungen. Dazu gehörte auch die Zusammenlegung der beiden Jugendredaktionen zu einer Abteilung. Die spannende Frage lautete: Wer würde Chefredakteur?
Beide Kandidaten waren sehr gegensätzlich. Christian Lohmann war ein Pragmatiker, Werner Geismar legte seinen Job etwas unkonventioneller aus. Der Verleger Gustav Lübbe hatte bis dato stets ein sicheres Gespür für Autoren und Redakteure. Weswegen ihm bestimmt nicht entgangen war, wie ausgezeichnet Werner Geismar weltweit mit Producern von Comics, Filmen, Fernsehserien und Musik vernetzt war. Außerdem hatte Geismar in der Vergangenheit eine Reihe Entscheidungen getroffen und Serien veröffentlicht, ohne die seine Jugendredaktion bedeutend schlechter dagestanden hätte. Auf der anderen Seite hatte Christian Lohmann vor allem mit den auf Trickfilmen basierenden Comics spektakuläre Auflagen erzielt. Doch das Kreuz mit diesen Lizenzreihen war: Sobald eine Serie nicht mehr im Fernsehen präsent war, brachen die Verkaufszahlen der Comicadaption umgehend ein. Zur Zeit der Zusammenlegung gab es kaum noch rentable Funnyserien und somit auch keine Argumente mehr, die für Christian Lohmann als Chefredakteur der vereinten Jugendredaktion sprachen. Folgerichtig ging Werner Geismar als Sieger aus dem internen Konkurrenzkampf hervor. Christian Lohmann arbeitete trotzdem noch einige Jahre weiter in der neuen Jugendredaktion. Dort betreute er unter anderem „Silberpfeil“ redaktionell.Als ich irgendwann so um 1982/1983 mal wieder zu Besuch im Verlagshaus in Bergisch Gladbach war, bat mich Christian Lohmann zu einem Gespräch wegen „Silberpfeil“. Konkret ging es um Mondkinds erotische Ausstrahlung und die damit verbundene mögliche „sittliche Gefährdung“ der Leser. Grund des Gesprächs war ein Leserbrief, den Christian Lohmann als sehr verstörend empfand. Das Schreiben stammte von einem jugendlichen Leser, der mit Mondkind eine Art „erste sexuelle Beziehung seines Lebens“ pflegte. In dem Brief beschrieb der Absender sehr dezidiert, in welchen Posen er Mondkind im Comic zukünftig gern sehen möchte. Christian Lohmann hätte das Thema auch als „Sex sells“ verbuchen und auf sich beruhen lassen können. Doch er betrachtete es offenbar mehr unter dem Aspekt Gefährdung der Moral der jungen Leserschaft. Weshalb er mich aufforderte, die Zurschaustellung von Mondkinds Reizen etwas dezenter zu gestalten. Er wolle nicht, dass das Heft, Zitat: „Zur einhändigen Freizeitbeschäftigung dient“.
Offen gesagt sah ich mich nicht in der Rolle eines Zensors. Weswegen ich auch nichts an Mondkinds Darstellung ändern würde. Dem Redakteur gegenüber drückte ich das ein wenig diplomatischer aus. Ich erklärte ihm, dass für sein Anliegen wohl eher der Zeichner der richtige Ansprechpartner sei. Als Autor beschrieb ich in den Skripten lediglich Situationen. Deren optische Umsetzung konnte ich nur begrenzt beeinflussen. Ob Frank Sels jemals die Anweisung zu einer „sittlich dezenteren“ Abbildung der Indianerin erhalten oder ob er die Anordnung ignoriert hatte, weiß ich nicht. Soweit ich das beurteilen kann, änderte sich an der Gestaltung von Mondkind nichts Gravierendes.Die zugegeben attraktive Indianerin allein auf eine Rolle als Sexsymbol zu reduzieren, würde ihr nicht gerecht. In den Geschichten agierte sie als tapfere und emanzipierte Kämpferin, die durch Klugheit bestach. Mondkinds Pumababy Tinka sprach aufgrund seines „Niedlichkeitsfaktors“ eine etwas jüngere und zumeist weibliche Leserschaft an. Wogegen die beiden männlichen Protagonisten Silberpfeil und Falk ein Leben voller Action und Abenteuer führten, wovon damals fast jeder Junge träumte. Mitte der 1980er Jahre drehte sich der Wind erneut. Der nächste Umbruch bei Bastei stand an, von dem auch „Silberpfeil“ nicht verschont blieb. Die Auflagen etlicher Serien, mit denen eine ganze Generation von Comiclesern aufgewachsen war, brachen weg. Zwischen 1984 und 1985 wurden die Bastei-Westercomics nach und nach Opfer des sich wandelnden Zeitgeistes. Ihr Ende hatte sich bereits länger abgezeichnet. „Bessy“, „Buffalo Bill“ und „Lasso“ wurden entweder sofort eingestellt oder liefen mit Reprints bereits veröffentlichter Abenteuer noch etwas länger. „Silberpfeil“ hielt trotz schlechter Verkaufszahlen – obgleich auch „nur“ mit Nachdrucken – einige Jahre länger durch als die anderen Westerncomics. Was dem Umstand geschuldet war, dass die Serie ein großer Erfolg im Ausland war.
In Belgien und den Niederlanden erschien die Reihe unter dem Titel „Zilverpijl“. In Dänemark wurde sie als „Sølvpil“, in Schweden als „Silverpilen“, in Finnland als „Hopeanuoli“, in Norwegen als „Sølvpilen“ und in Spanen und Portugal unter dem Titel „Flecha de Prata“ veröffentlicht. Allein in Norwegen erschienen 514 Basteihefte. Meines Wissens werden dort heute immer noch sporadisch Sondereditionen der Serie verlegt.
Die damit verbundenen Einnahmen für Bastei durch Lizenztantiemen gestatteten „Silberpfeil“ in Deutschland eine Galgenfrist bis 1988. Dann wurde die Reihe nach 768 Heften hierzulande eingestellt. Wegen der Umstellung auf Nachdrucke war ihr Schöpfer Frank Sels allerdings bereits seit 1985 arbeitslos. Theoretisch hätte er „Silberpfeil“ für den skandinavischen Markt weiterführen können, in der Praxis fehlten den dortigen Verlagen trotz guter Verkaufszahlen offenbar die finanziellen Möglichkeiten, den Comic eigenständig zu produzieren.Wie sehr Frank Sels Herz an „Silberpfeil“ gehangen und wie sehr ihn dessen Einstellung getroffen hatte, erfuhr ich bei einem Besuch im Verlag Ende 1986. Werner Geismar teilte mir mit, dass sich Frank Sels wenige Tage zuvor, am 14. Dezember, im Alter von 44 Jahren das Leben genommen hatte.
Dass „Silberpfeil“ in Deutschland nicht in Vergessenheit gerät, ist neben seinen Fans vor allem dem Verleger Ulrich Wick zu verdanken, der in seinem Wick Verlag bislang 55 „Silberpfeil“-Hefte – chronologisch, beginnend mit den in „Felix“ erschienenen Episoden – in neuer Kolorierung herausgegeben hat. Und zwar ohne diverse Kürzungen, die Bastei bei seinen Veröffentlichungen hier und da vorgenommen hatte.
* Zwar endete die Reihe „Silberpfeil“ mit der Nummer 768, tatsächlich erschienen jedoch nur 767 Ausgaben. Aufgrund des Druckerstreiks bei Bastei im Sommer 1984 entfiel der Band 640. Der Comic wurde dann als Heft 641 veröffentlicht.
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Bei Ertuğrul Edirne bedanke ich mich herzlich für seine großzügige Unterstützung und die zahlreichen zur Verfügung gestellten Illustrationen aus seinem Archiv.