„Humor ist eine sehr gute Waffe gegen die gestrigen und dumpfen Teile der Gesellschaft“

Seit den späten 80ern zählt Beck zu den meist profilierten und fleißigsten Cartoonisten Deutschlands. Einen Cartoon pro Tag produziert der Leipziger Zeichner, stets am Puls der Zeit. Seine Arbeiten erscheinen regelmäßig in Die Zeit, Taz, Natur und Eulenspiegel und bei Verlagen wie Carlsen und Edition Moderne. Letzterer bringt nun mit „Gehänselt und gegrätelt“ eine Sammlung von über 300 der Beck’schen Absurditäten über digitale Selbstversklavung, Schrebergartenmentalität, Beziehungsunmut, Greta-Wahn und Kommunikations-SuperGAUs im handlichen Ziegelsteinformat heraus. Wir präsentieren das folgende Presse-Interview mit Beck mit freundlicher Genehmigung der Edition Moderne.

Kannst du dich noch an deinen allerersten Cartoon erinnern? Wann ging es bei dir mit der Witzezeichnung los?
Leider nein. Ich erinnere mich an zartes Witzezeichnen für Plakate in der Erweiterten Oberschule (heute Gymnasium). Beim Architekturstudium waren es dann wieder Plakate, die mich zu witzigen Illustrationen brachten, ich zeichnete Veranstaltungsplakate für einen Studentenclub. Der erste Witz, an den ich mich bewusst erinnere, ist eine Zeichnung von 1986, die Goethe zeigt, wie er in „Campagna-Haltung“, nach dem berühmten Gemälde von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, auf einer Meldestelle der (Volks-)Polizei sitzt, um eine Reise in den Westen zu beantragen. Die Beamtin fragt ihn nach seinem Verwandtschaftsverhältnis zur Campagna (Westreisen bekamen nur Promis, Künstler und nach gusto Verwandte ersten Grades genehmigt). Ohne mich selbst zu loben, imponiert mir heute immer noch die Tiefe in meiner Zeichnung: Goethe als Autor der „Wahlverwandtschaften“, tsts… Das Blatt habe ich damals als Siebdruck in kleinen Ausstellungen verkauft.

Beck (Autor und Zeichner): „Gehänselt und gegretelt“.
Edition Moderne, Zürich 2020. 608 Seiten. 19,80 Euro

Welche Zeichner und Humoristen haben dich geprägt? Mit welcher Art von Humor/humoristischen Zeichnerungen bist du aufgewachsen?
Meine Eltern hatten ein dickes „Max und Moritz“-Buch von Wilhelm Busch, das habe ich oft und gerne angesehen. Dazu hatten wir kleine Witzbücher eines lokalen Zeichners im Haus, Epper. Dann kamen die Zeichner der NBI (Neue Berliner Illustrierte) dazu; an Willy Moese, Frank Leuchte und Nabil el Solami erinnere ich mich noch gut und an Henry Büttner. Der war der Größte. In der Zeitschrift Magazin entdeckte ich nicht nur die diversen Aktfotos, sondern auch Cartoons aus dem New Yorker und dem Punch, die im Magazin schamlos nachgedruckt wurden. Noch heute zähle ich die New-Yorker-Zeichner zu meinen Vorbildern: u. a. Sam Gross, Charles Booth, Jack Ziegler, Roz Chast. Die beiden letzteren habe ich vor ein paar Jahren sogar persönlich treffen können.

Wie nimmst du die aktuelle Cartoonistenszene in Deutschland wahr? Inwieweit haben sich die Bedingungen für Humorzeichnungen im Vergleich zu deinen Anfangstagen geändert? Ist die Zeitungskrise auch eine Krise des Cartoons?
Die Cartoonistenszene ist eine kleine, feine Szene, die sich mehrmals im Jahr trifft, zur Preisverleihung des Deutschen Karikaturenpreises zum Beispiel. Man mag sich, man kennt sich, das ist alles sehr herzlich und kollegial. Und das, obwohl man die Humorbranche interessanterweise immer noch als in Ost und West gespalten erlebt. Am besten sieht man das am Beispiel der beiden Humormagazine Titanic und Eulenspiegel: Während Titanic ziemlich homogen von Westzeichnern bestückt wird und auch sonst mit dem Osten nichts zu tun hat, hat sich der Eulenspiegel dem Westen schnell geöffnet. Über die Qualität der beiden Blätter möchte ich aber nichts sagen. Mir fehlt die Klasse, die Leute wie z. B. Chlodwig Poth oder F. K. Waechter mitbrachten. Zeitungskrise, Krise des Cartoons? Ich habe den Eindruck, dass tatsächlich immer weniger Cartoons und komische Zeichnungen gedruckt werden. Und was ich so in den großen Playern (Stern, Spiegel, Die Zeit) sehe, ist meist leider nur mittelmässig bis gar nicht witzig. Ich denke, die Redaktionen haben große Angst, Karikaturen und Cartoons abzudrucken. Ausnahmen gibt es natürlich: Greser&Lenz in der FAZ zum Beispiel, oder die Meinungsseite der taz.

Ein Thema, zu dem du in deinen Cartoons immer wieder zurückkehrst, ist die digitale Revolution: Smartphone-Sucht, Facebook-Allüren und Apps-Wahn. Warum steckt so viel humoristisches Potential im technischen Fortschritt und dem Wandel, den er in der Gesellschaft auslöst?
Ja, da bin ich aber gar nicht so originell, der sogenannte Fortschritt hat doch schon immer die Humoristen auf den Plan gerufen. Bei mir speziell hängt es auch noch damit zusammen, dass ich schon etwas älter und ohne diesen ganzen digitalen Kram aufgewachsen bin. Ich kann immer noch staunen, wie sehr uns die kleinen Bildschirmchen in ihren Bann ziehen und sehe darin immer wieder aufs Neue klasse Witzvorlagen.

Du bist per se kein politischer Zeichner, aber viele deiner Cartoons behandeln Themen wie Fremdenhass, Populismus und den Aufstieg der AfD. Wie wichtig ist Humor für dich als Antwort auf gesellschaftliche Missstände und problematische Tendenzen?
Ich habe früher mehr Politik gemacht, stimmt, Ende der achtziger Jahre vor allem. Der Umbruch in meiner Heimat DDR brachte jeden Tag neue, spannende Themen, denen ich unmöglich widerstehen mochte. Ein nicht unwichtiger Nebeneffekt war damals auch, dass ich diese Sachen verkaufen konnte. Später verlor ich die Lust. Mit Pegida und Co. fing ich wieder an, mich aktiver mit Politik auseinanderzusetzen. Ein Pegida-Witz im besonderen hat mir seinerzeit ziemlich unfreundliche Reaktionen eingebracht, die mich aber nur darin bestärkten, weiter politisch zu zeichnen. Ich denke, Humor ist eine sehr gute Waffe gegen die gestrigen und dumpfen Teile der Gesellschaft, aber auch, um unser aller Schwächen bloßzustellen. Leider bemerke ich jedoch immer mal wieder, dass Menschen Humor nicht mehr dechiffrieren können.

Du zeichnest täglich neue Cartoons, richtig? Was hast du heute für ein Gag gezeichnet? Und wie lange hast an ihm gesessen?
Ich zeichne täglich neue Cartoons, stimmt. Mal ist es nur einer, manchmal werden es zehn. Meinen Witz für heute habe ich schon gestern Abend gezeichnet. Es geht um Trump. Ich mache eigentlich nie oder ganz ganz selten Trump-Witze, er kommt auch diesmal als Person nicht vor: Zwei Menschen in Schutzanzügen im Labor unterhalten sich darüber, dass „Präsident Trump 500 % Schutzzoll auf das Coronavirus angeordnet hat, damit es nicht in die USA importiert wird“. Daran habe ich alles in allem vielleicht eine Stunde gesessen, ich kann das nie so genau bemessen.