Hugo Hercules – The First Superhero?!

Sieht man sich mit dem Begriff Comic-Held konfrontiert, ist eine der ersten Assoziationen mit hoher Wahrscheinlichkeit Superman. Im Jahr 1938 erschien erstmals die von dem Künstler Joe Shuster und dem Autor Jerome Siegel erschaffene Comic-Figur. Als Einstieg wurde sie für die Leserschaft bereits auf der ersten Seite klar charakterisiert: „Superman! Champion of the oppressed. The physical marvel who had sworn to devote his existence to helping those in need!“ Auch wenn er in der Reihe der Superhelden mit Sicherheit zu den bekanntesten zählt, ist es daher umso überraschender, dass er nicht der Dienstälteste seiner Artgenossen ist. Zwar wird Superman in den meisten Beiträgen als dieser tituliert, jedoch hatte er zuvor bereits einen, wenn auch deutlich weniger wahrgenommenen Vorgänger. Zwei Jahre zuvor debütierte ein maskierter Held in hautengem Spandex-Anzug, dem Merkmal, das später zu einem großen Charakteristikum für Superman werden sollte. Selbst die viel parodierte „Unterhose“ über der Hose weist er auf. Es war die Geburt des Helden Phantom. In einem fiktiven Land in Afrika sorgt er für Recht und Ordnung und versteht sich als Beschützer der Unschuldigen.

Wilhelm Heinrich Detlev Körner (Autor und Zeichner), Hugo Hercules, Hugo Hercules to the Rescue Once More, The Chicago Tribune o. A

Blickt man allerdings noch weiter bis zur Jahrhundertwende zurück, stößt man auf die Comic-Figur Hugo Hercules. Der im zu Dithmarschen gehörenden Lunden geborene Künstler Wilhelm Heinrich Detlev Körner immigrierte im Alter von drei Jahren mit seinen Eltern nach Clinton in Iowa. In New York und Chicago besuchte er Kunstakademien und verdiente sein Geld mit Zeitungsiluustrationen. Im Zuge dessen schuf er 1902 Hugo Hercules, eine Figur mit übermenschlicher Stärke und der sich selbst gesetzten Aufgabe, Menschen in misslichen Situationen zu helfen. Seine Abenteuer wurden als Comic-Strips in Zeitungen veröffentlicht. Pro Strip ziehen sie sich über drei bis sechs Panels und gipfeln in einer Rettungsaktion, die der Protagonist stets mit seinem Signature-Satz „Just as easy“ zu kommentieren weiß.

Obwohl Hugo Hercules in Alltagskleidung auftritt und auf den ersten Blick nicht viel mit den heute etablierten Superhelden gemein hat, ist seine Auswirkung auf Superman nicht von der Hand zu weisen. Bereits drei Jahre nach seinem Comic-Debüt bekam Superman in Form der „Fleischer Superman Cartoons“ seine eigene Zeichentrick-Reihe. Jeder der Kurzfilme wird mit „Up in the sky! Look! It’s a bird. It’s a plane. It’s Superman!“ eröffnet, woraufhin immer eine Charakterisierung des Helden folgt. So heißt es im ersten Film: „Faster than a speeding bullet. More powerful than a locomotive. Able to leap tall buildings in a single bound. The infant of Krypton is now the Man of Steel. Superman!“ Der erste Satz des Intros ist zu Beginn jedes Films zu hören. Die folgenden Satzteile hingegen dienen lediglich der Vorstellung und werden ab der zweiten Folge durch „This amazing stranger from the planet Krypton. The Man of Steel. Superman!“ ersetzt. Diese, von Jay Morton entwickelte, Vorstellung Supermans wurde sowohl in der später folgenden Radiosendung sowie in der Realverfilmung verwendet und erlangte in Amerika große Berühmtheit. Interessant ist vor allem der erste Satz. Elemente davon sind eindeutig von der ersten Seite des ersten Superman-Comics entnommen. Darauf ist zu sehen, wie er über Hochhäuser springt und einen Zug überholt. Blickt man mit diesem Wissen noch einmal zurück auf Hugo Hercules, merkt man, dass Shuster und Siegel nicht nur inhaltliche, sondern auch kompositorische Inspiration für ihren Helden gehabt zu haben scheinen.

Wilhelm Heinrich Detlev Körner (Autor und Zeichner), Hugo Hercules Now, Wasn’t This Kind of Hugo Hercules? The Chicago Sunday Tribune 26. Oktober 1902.

Schließlich finden sich Panels, in denen Hugo Hercules einen Zug nicht nur überholt, sondern mit seiner schier unbegrenzten Kraft gar selbst hinter sich herzieht, oder ein Auto, samt seiner Insassen, spielerisch in die Höhe hebt. Diese Szenen stellen sich zwar als statischer und vor allem harmloser dar, nichtsdestotrotz ist eine Parallele zum ikonischen Cover des ersten Superman-Hefts erkennbar.

Doch nicht nur die Erfinder Supermans schienen sich an Körner orientiert zu haben. Auch die Batman-Schöpfer Bob Kane und Bill Finger holten sich möglicherweise Ideen von Hugo Hercules Strips. Immerhin stellt sich Hercules im Caption eines Panels selbst als „the boy wonder“ vor, die Charakterisierung, mit der Batmans Sidekick Robin ab 1940 in Verbindung gebracht wird.

Nun bietet die Frage, ob Hugo Hercules tatsächlich ein Comic-Held ist, gewisses Diskussionspotential. Dass es sich um einen Comic-Charakter handelt, ist schnell geklärt: Die Comic-Strips, die seine Geschichten erzählen, sind die Vorläufer des Comic-Hefts, liefern eine sequentiell visuelle Narration und erfüllen damit nach Scott McCloud das Hauptkriterium eines Comics. Was aber macht Hugo Hercules zu einem Helden? Das Wort Held stammt aus dem Mittelhochdeutschen und leitet sich etymologisch von dem griechischen Heros ab, das sich im Deutschen ebenfalls etabliert hat.

Wilhelm Heinrich Detlev Körner (Autor und Zeichner), Hugo Hercules, Hugo Hercules Comes to the Rescue of the Cannon Ball, The Chicaco Tribune o. A.

Einen wichtigen Beitrag zur Charakterisierung von Helden, unabhängig der Kultur und Ethnie, lieferte 1999 der Mythologie-Professor Joseph Campbell mit seiner Publikation „Der Heros in tausend Gestalten“. Geprägt wurde er dabei von Carl Gustav Jungs Vorstellung der Individuation, also der Selbstverwirklichung des Menschen für das allgemeine Gute. Mithilfe der Heldenreise oder auch des Monomythos – diesen Begriff entlieh Campbell aus James Joyces Roman „Finnegans Wake“ – beschreibt Campbell den Ablauf von Taten, Situationen und Erfahrungen einer Figur, die sie als Held kennzeichnen. Die Reise startet und endet in der Heimat des Helden und beginnt mit der Berufung. Es folgen verschiedene Stationen, die den Helden auf die Probe stellen und ihn in Heroismus schulen. Nicht in jeder Heldengeschichte wird jede einzelne Station behandelt, das Grundmuster stimmt allerdings überein. Wendet man dieses Schema auf Hugo Hercules an, wird deutlich, dass jedes seiner kurzen Abenteuer mit einem Ruf nach Hilfe beginnt. Es folgt der zweite Akt, in dem er auf die Probe gestellt wird, woraufhin die Geschichte in der Rettung ihren Höhepunkt findet. Zugegeben, ist es eine sehr verkürzte Version der Heldenreise, doch sind die Stationen deutlich erkennbar.

Für einen Gerichtsfall von 1952, in dem geklärt werden sollte, ob Wonder Man Superman kopierte und damit das Urheberrecht verletzte, lieferte der zuständige Richter Learned Hand eine sinnvolle Begriffserklärung von Superhelden. Da es aber keine prägnante Definition war, sondern der Argumentation und Rechtsprechung diente, wurde sie von dem Direktor des Institute for Comic Studies Peter Coogan als Grundlage für eine geschärfte Definition genommen. Ihm zufolge ist ein Superheld „a heroic character with a selfless, pro-social mission; with superpowers – extraordinary abilities, advanced technology, or highly developed physical, mental, or mystical skills; who has a superhero identity embodied in a codename and iconic costume, which typically express his biography, character, powers, or origin“.

Wilhelm Heinrich Detlev Körner (Autor und Zeichner), Hugo Hercules Hugo Hercules, Hugo Hercules Obliges Beauty in Distress, The Chicaco Tribune o. A.

Wendet man die Definition Punkt für Punkt auf Hugo Hercules an, treffen vier bis fünf Aspekte zu:

heroic character
selfless, pro-social mission
superpowers/extraordinary abilities
superhero identity
codename
iconic costume
biography/origin-story

Er liefert das soziale, altruistische Handeln und die Superkräfte, die ihn von anderen Charakteren abgrenzen und zu etwas Besonderem machen. Was ihm fehlt, ist das offensichtliche Kostüm sowie die Hintergrund- bzw. Ursprungsgeschichte. Dass es sich bei „Hugo Hercules“ um einen Codenamen handelt, wird der Leserschaft zwar nie direkt vermittelt, doch deutet der zweite Name „Hercules“ darauf hin, dass die Figur sofort mit Stärke und Übermenschlichkeit in Verbindung gebracht werden soll. Der Vorname hingegen war um die Jahrhundertwende so gängig, dass er es der Leserschaft ermöglichte, sich mit dem Charakter auf menschlicher Ebene zu identifizieren. Zudem leitet er sich von dem althochdeutschen hugu ab, was für „Sinn, Geist, Gedanke“ steht, womit Körner subtil zu vermitteln scheint, dass es sich bei seiner Figur nicht um einen stupiden Kraftmenschen handelt. Somit scheint er in dem Namen in gewisser Weise dessen bürgerliche sowie geheime, heldenhafte Identität zu vereinen. Die Superheldenidentität wird den Lesern vermittelt, indem Körner alle Figuren des Strips Hugo Hercules bereits als Helden kennen und akzeptieren. So sind sie in Notsituationen bei seiner Anwesenheit nicht nur erleichtert, sondern sich ihrer Rettung bereits sicher.

Die Frage, ob Hugo Hercules der erste Comic-Superheld ist, darf jeder für sich beantworten. Fest steht, dass seine Auswirkung auf die uns heute so bekannten Figuren nicht zu unterschätzen sind.

Dieser Text erschien zuerst auf: blog.arthistoricum.net

Laura Glötter studiert im Master Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg und verfasst Beiträge für das Themenportal Caricature&Comic. Im Sommer 2017 schrieb sie ihre Bachelorarbeit über die visuelle Narration des finnischen Volksepos in Don Rosas „The Quest for Kalevala“.