Stirb schnell und oft

© Warner Bros.

Bei Hollywood-Actionkino, wie es seit einiger Zeit gern wieder im Science-Fiction-Modus antritt, heißt es oft (und meist aus Bequemlichkeit), die Action, die Special Effects, die Animationen, das sei eh okay; aber die Story – das, wovon unser Deutschlehrer gesagt hat, dass dafür das Kino erfunden bzw. noch nicht abgeschafft worden sei – lasse doch sehr zu wünschen übrig.

Juhu! Mit Doug Limans „Edge of Tomorrow“ gibt es einen Hollywood-Actionfilm, bei dem wir es genau umgekehrt sehen können (und sei es auch nur aus Bequemlichkeit). Die Actionmomente dieses Films, die Kämpfe bei der Rückeroberung Kontinentaleuropas von Alien-Invasoren, die Gestaltung und Moves der Tentakelmonster selbst, Geballer und Pyrotechnik, die Verwüstung französischer Strände, Trailerparks, Bauernhöfe und (vielleicht am wenigsten schade) des Louvre samt Pyramide – das alles ist manchmal nicht viel mehr als lauwarm. Und dass das Zentrum des Alien-Kollektivs reichlich uterin aussieht und der Held leblos darüber im Wasser schwebt, bevor er wieder erwacht, das macht visuell auch keinen schlanken Fuß. Aber es macht zumindest Sinn in einem Zeitreise- und Mindgame-Film, der seine Akzente vom Poltern in den Plot und vom Getrampel ins Temporale verlagert hat.

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Ein zu den Landungstruppen strafversetzter PR-Offiziers-Schnösel wird nach jedem Kriegstod im Moment seines verkaterten Aufwachens am Tag davor wiedergeboren und erlebt alle Schrecken, samt dem fatalen Scheitern der Gegenoffensive auf französischen Atlantikstränden, aufs neue; zwecks Rettung der, öh, Menschheit muss er lernen, es besser zu machen, und so nutzt sein Vorwissen über immer mehr Detailabläufe. Das bildet im Kleinen die Erfahrung von Spielstages nach („Bis hierher weiß ich, was kommt – ab jetzt ist es Neuland“ – oder Game Over) und im Großen den Look und die Logistik des D-Day vor genau siebzig Jahren. Hinzu kommt die Erster-Weltkriegs-Chiffre im Beinamen einer Superkriegerin, die zum Propaganda-Idol der kampfbereiten Menschheit aufgebaut wurde: Angel of Verdun.

Und da sind wir schon mitten in dem amüsanten Pärchenplot: Tom Cruise, gerade in seinem Grinsen gespalten wie in seinen besten Rollen, wird von besagtem martialischen Engel (souverän wie stets: Emily Blunt) geschult und initiiert; bei jedem Scheitern macht sie an ihm Reset per Kopfschuss. Das male panic-Potenzial dieser abstrusen Prämisse zeitigt Screwball und Slapstick (beim Sich-Zusammenraufen bzw. Gegen-Wände-Laufen), Momente von Montagehumor und Masochismus: Die Erzählung signalisiert, dass sich über die nächsten fehlgegangenen Anläufe des (nicht nur am Schmerz, sondern gar am Tod) Lernenden mit einer Schnellschnittfolge von „Eh schon wissen“-Bildern flott hinweggehen lässt; und unser Grinsekater Tom landet ständig in Situationen, wo du ihm schadenfreudig „Ätsch!“ zurufen möchtest, wenn er an der Kippe zum Morgen ohnmächtig und tot ins Gestern zurückfällt. Tom Maso ist Tom Morrow: Ätsch of Tomorrow, indeed.

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Scherz beiseite: Tatsächlich geht es hier ums Ausspielen masochistischer Phantasmen des Klein-Machens, bei denen wir Cruise als Hass-Objekt beim Geschunden- und vom Bonvivant zum Krieger Bekehrt-Werden zuschauen können; oder wir können uns mit ihm identifizieren, wenn African American Sergeant, Redneck-Unteroffizier, Hispanic-Kameradin oder eben Amazone Emily ihn unsanft erniedrigen, rumkommandieren und -schubsen. Ein Star wird geschlagen. (Und unter Prügeln wiedergeboren, sofern er zur Selbstaufgabe bereit ist.)

Der Krieg wird da als Neutralisierer von Klassen-, die (Kampf-)Technik als Umkehrer von Gender-Normalität projiziert. Das ist alles nicht so maliziös in Sachen stilistischer und rhetorischer Fascho-Bellizismus-Emulation wie in „Starship Troopers“ (auch der hatte ja viel Weltkrieg-II-Flair in der Optik und im Pflicht-Ethos), auch nicht so queer wie manches in dem Drehbuch, das „Edge of Tomorrow“-Co-Autor Christopher McQuarrie seinerzeit für Cruisens Stauffenberg-Film „Valkyrie“ geschrieben hat; aber beides klingt da an (etwa im Sand-Insekten- und Kollektivhirn-Design der Invasoren).

Wollten wir zum Source Code (jaja) für „Edge of Tomorrow“ vorstoßen – für diesen Kontrast-durch-Korrespondenzfilm zum stylishen Vorjahres-Selbstspaltung-im-Alienkriegs-SciFi-Drama mit Tom Cruise, dessen Titel wir vergessen haben (weil er „Oblivion“ lautet) –, dann würde uns wohl manches aus der Cyborg-Neoklassik begegnen: das „Führe deinen Führer“-Motiv aus „The Terminator“, die hier in ihrer Klobigkeit als dämlich ausgestellten Kampfrobot-Bodysuits aus „Avatar“, „The Abyss“ und dem Showdown von „Aliens“, aus letzterem auch die Besetzung von Bill Paxton als keppelnder Unteroffizier und Blunt als Trägerin einer von Sigourney Weaver entzündeten Fackel (SciFi-Actionheldin) – das sind charmant formulierte Grüße an James Cameron. Ansonsten grüßt hier das Murmeltier – durchaus höflich, warum auch nicht?

Diese Kritik erschien zuerst am 10.07.2017 in: filmgazette.de

Edge of Tomorrow
Australien / USA 2014 – 113 min.

Regie: Doug Liman – Drehbuch: Hiroshi Sakurazaka, Dante Harper, Joby Harold, Alex Kurtzman, Christopher McQuarrie, Roberto Orci – Produktion: Jason Hoffs, Gregory Jacobs, Tom Lassally, Jeffrey Silver, Erwin Stoff – Kamera: Dion Beebe – Schnitt: James Herbert – Musik: Christophe Beck – Verleih: Warner Bros. – FSK: ab 16 Jahren – Besetzung: Tom Cruise, Emily Blunt, Bill Paxton, Charlotte Riley, Jonas Armstrong, Marianne Jean-Baptiste, Franz Drameh, Tony Way, Kick Gurry, Madeleine Mantock, Dragomir Mrsic, Matt Hookings, Ronan Summers, Bentley Kalu, Natasha Goulden – Kinostart (D): 29.05.2014

Drehli Robnik, geb. 1967, Theoretiker in Sachen Film und Politik, Edutainer, Kritiker, Disk-Jockey. Doktorat Universität Amsterdam (2007). Universitäre Lehrtätigkeit in A, D, CZ, FL 1992-2015. Monografien zu Stauffenberg im Film, zu Jacques Rancière und zur Regierungs-Inszenierung im Kontrollhorrorkino. Herausgeber der Film-Schriften von Siegfried Mattl. In Arbeit: DemoKRACy: Siegfried Kracauers Politik[Film]Theorie. Kürzlich erschien von ihm bei Neofelis „Ansteckkino. Eine politische Philosophie und Geschichte des Pandemie-Spielfilms von 1919 bis Covid-19“.