Ordentlich Schauwerte – „Guardians of the Galaxy“

© Walt Disney

Tumult im Space-Knast: Frischfleisch ist eingetroffen, da gruppieren sich auch schon die schweren Jungens und fiesen Typen, sie posieren böse und johlen zornig von der Galerie. Wer im Publikum genau aufpasst (und vielleicht zu irgendeinem Zeitpunkt in seinem Leben mal in die Tiefen dessen getaucht ist, was man einst „Trashfilm“ nannte), wird unter den Knastbrüdern vielleicht für einen Moment ein bekanntes Gesicht erkennen, das man an dieser Stelle – wir befinden uns in einem Blockbuster mit dickstem Budget und ganz und gar hervorragenden Spezialeffekten, produziert von Hollywoods derzeit nahezu im Alleingang den Markt mit Mega-Hits am laufenden Meter melkenden Marvel Studios – ganz gewiss nicht erwartet hätte: Kein Geringerer als Lloyd Kaufman ist es, der da, mit seiner eher schmächtigen Gestalt zwischen all den Bodybuilder-Weltall-Fratzen eher deplatziert, gehörig mit abfinstert. Lloyd who? Nun gut, man kann den Namen wirklich nicht als bekannt voraussetzen: Im ersten „Rocky“-Film spielte er einen Betrunkenen, den Sylvester Stallone kurzerhand schulterte – wer von den beiden aus diesem Film als Star hervorging, ist bekannt. Berüchtigt wurde Kaufman allerdings als Gründer und Produzent der Independent-Firma Troma Studios, die sich erst mit frivolen Komödien, später mit überzeichnetem Horror-Schlock und Trash-Satiren wider jeden guten Geschmack einen Namen unter Filmfreaks machte.

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Mit „Toxic Avenger“ (1985) feierte Troma seinen größten Erfolg, weshalb der Titelheld bis heute als Firmen-Maskottchen dient. Wobei Erfolg in diesem Zusammenhang nicht viel heißen muss: Auch nach über 1000 Produktionen (mit klangvollen Titeln wie „Surf-Nazis Must Die“, „Cannibal: The Musical“ oder „Poultrygeist: Night of the Chicken Dead“) arbeitet die Firma weitgehend nach Do-it-Yourself-Prinzip auf einem Budgetniveau, auf das sich selbst die unterbeschäftigtesten Indie-Regisseure Hollywoods nicht herablassen. Und Lloyd Kaufman gibt dazu bis heute den quirligen Business-Anarchisten, der seine Produktionen freigiebig auf Youtube hochlädt, gegen Hollywood und die Medienkonglomerate ätzt und sich dabei selbst als Pleitegeier auf die Schippe nimmt. Eine Art Roger Corman ohne Business-Plan, vor allem aber ohne das Auftreten des distinguierten Elder Statesman of Trash Cinema – eher kommt er rüber wie ein Eichhörnchen auf Ecstasy.

Wie landet nun ein Lloyd Kaufman vom untersten Segment der US-Filmproduktion im obersten? Die Antwort findet man in James Gunn, einem Maverick, der auf dem Regiestuhl einer von vornherein auf Nummer Sicher kalkulierten Multimillionen-Dollar-Comicverfilmung eigentlich auch erstmal deplatziert wirkt, aber unter Lloyd Kaufmans Fittiche einst seine ersten Schritte in die Filmwelt wagen konnte. Und so was schweißt offenbar zusammen.

Aber auch in anderer Hinsicht ist die Troma-Spur ergiebig, stand Troma doch in den 80ern, als sich der Mainstream-Film zwecks nötiger Reichweiten-Sicherung zusehends um eine scharfe Abgrenzung zu den proletarischeren, drastischeren Formen der Kinounterhaltung bemühte, für reines, überdrehtes Vergnügen der geschmackloseren Sorte, gewissermaßen die Mischung aus MAD-Heft, viel zu viel übersalzenen Fritten und jeder Menge süßer Cola hinterher, auf das die Cine-Pickel wachsen.

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Und Troma hat stets geliefert – was James Gunn nach seinen Lehrjahren bei Kaufman durchaus verinnerlicht hat, wie seinen erste Mainstream-Gehversuchen „Slither“ (2006) und „Super“ (2010) zeigen. „Guardians of the Galaxy“ steht in einer ähnlichen Tradition, er liefert tatsächlich eine Ahnung davon, warum Blockbuster in den 80ern eine ganze Generation von jungen Zuschauern für das Kino begeisterten: Weil sie hervorragend unterhielten und dabei ordentlich Schauwerte lieferten, statt in nerdigen Soap-Operas schwere Dinge in große Städte krachen zu lassen. Zugegeben, letzteres geschieht auch hier – doch bis dahin liefert „Guardians of the Galaxy“ große Unterhaltung, tolle Schauwerte, liebevoll gezeichnete Charaktere, angenehm eingestreute, nostalgische Popkultur-Referenzen, einen bis in die Nebenrollen toll besetzten Cast, viele, knallig bunte Ideen und einen kindlich schönen Sense of Wonder, der einem immer wieder ein freudiges Lächeln ins Gesicht zaubert.

Eine Handlung hat der Spaß natürlich auch: Ein intergalaktischer Bösewicht will Böses, eine wild zusammengewürfelte Gruppe von Space-Outcasts aus dem halbseidenen Milieu, die ihre Gegensätze im Lauf des Films überwinden müssen, stellt sich dem, nach vielen Tumulten, sitzenden One-Linern und ordentlich Krach-Bumm-Peng entgegen. Nichts Neues unter der Sonne also – doch mit außerordentlich viel Liebe zum Detail und einiger Freude an eskapistischem Kinospaß umgesetzt. Die Hauptattraktion: Ein sprücheklopfender Kleinganoven-Waschbär mit einem humanoiden Stück Holz namens Groot (Stimme: Vin Diesel!) im Schlepptau, beide quasi eine Art Pendant zu Han Solo und Chewbacca, nur eben in Flora und Fauna entrückt. Der eigentlichen Heldenfigur Star-Lord (Chris Pratt), die ihren Nom de Guerre sehr verzweifelt und im wesentlichen erfolglos zu lancieren versucht, läuft dieses Duo einigermaßen mit links den Rang ab.

Allen wuchtigen, überzeugenden, kirre bunten Spezialeffekten zum Trotz weht eine spürbare Sehnsucht nach den 80ern durch diesen Film, der mit einer aufrichtig schmerzhaften Verlusterfahrung des da noch kleinen Star-Lord beginnt. Dann entführen Aliens den Jungen, einen Vorspann bzw. Jahre später taucht er als junger Mann schließlich im Space-Opera-Universum der „Guardians“ als eine Art Indiana Jones minus Archäologie-Professur wieder auf, stets seinen Walkman im Gepäck, in dem er den „Awesome Mix“ seiner Mutter mit allerei alten Hits vergangener Dekaden zu hören pflegt.

Die 90er und 00er Jahre als zuweilen recht dunkle bis zynische Jahrzehnte, was den Blockbuster betrifft, werden hier gewissermaßen übersprungen: Star-Lord kennt sie gar nicht, die 80er bleiben ihm als Zeitkapsel bis heute präsent. Ganz ähnlich sucht auch „Guardians of the Galaxy“ mit seinem zuweilen an die „Goonies“, „Indiana Jones“ und „Star Wars“ erinnernden Atmosphäre Anschluss an das goldene Jahrzehnt des Blockbusters und der deftigen Kinounterhaltung. Wen sollte es auch wundern, dass sich der Blockbuster, der sich in den 80ern gerne an die 50er erinnerte, nun von den 80ern schwärmt – liegen diese doch heute genauso lange zurück wie seinerzeit die 50er. Eine Weigerung, sich der vergangenen Zeit zu stellen, liegt darin gerade nicht: Schon der tricktechnische Aufwand macht aus „Guardians of the Galaxy“ klar ein zeitgenössisches Produkt, wenn auch mit nostalgischer Schlagseite: Eben ein „Awesome Mix“.

Dieser Text erschien zuerst am 27.08.2014 in: perlentaucher.de

Guardians of the Galaxy
USA 2014

R: James Gunn – B: James Gunn, Nicole Perlman – P: Kevin Feige – K: Ben Davis – Sch: Fred Raskin, Hughes Winborne, Craig Wood – M: Tyler Bates – A: Charles Wood – V: Walt Disney – L: 121 Min – FSK: 12 – D: Chris Pratt, Zoë Saldaña, Dave Bautista, Lee Pace, Michael Rooker, Glenn Close, John C. Reilly, Benicio del Toro, Karen Gillan – Start: 28.08.2014

Thomas Groh, Jahrgang 1978, lebt seit 1997 in Berlin, ist Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur und schreibt u. a. für die taz, den Tagesspiegel, den Perlentaucher und weitere Medien über Filme. Im Netz anzutreffen ist er in seinem Blog und auf Twitter.