König – Dame – Turm

© Universal

King Kong kann vieles bedeuten. Zum Start von Peter Jacksons Blockbuster dient er gar als Werbespotfigur einer seit jeher mit cinpehilem Flair beworbenen Taschentuchmarke: Oh, it´s a Kong! Kong heißt ja, so heißt es, in dem Teil Indonesiens, aus dem der Titelheld stammt, „Affe“. Und der Affe stammt bekanntlich, so wie Gott, vom Menschen ab, zumal vom modernen Menschen, dem der Kong (wie auch Gott) eben viel bedeutet. So viel, dass er einer Entstehungslegende zufolge einst nicht nur King, sondern Kaiser war: Ein Plakat aus dem Ersten Weltkrieg zeigte der US-Öffentlichkeit den deutschen Imperator als brüllenden Riesenaffen. Dieses Sujet könnte Ernest B. Schoedsack und Merian C. Cooper, die nach ihrem Kriegsdienst als filmende Abenteurer umherreisten, mit zu ihrem Filmhit von 1933 inspiriert haben. Zwischen Kaiser und King vermarkteten die Populärethnografen auch ein exotisches Filmbestiarium mit dem Titel „Chang“. Dann kam Kong. Bingo!

King Kong, die Kinoikone. Sein Wüten auf dem Empire State Building wird gern als mediale Fantasie gedeutet, die politische Ängste abbildet: Geben Wolkenkratzer Kapitalzusammenhängen eine sichtbare Form, so leiht der zornige Affe verd(r)eckter, geschundener Arbeitskraft eine bedrohliche physische Präsenz. Solche Metaphorik spielt Jacksons Neuverfilmung von Anfang an grell aus, geht von Affen im Zoo zum Panorama arbeits- und obdachloser New Yorker in der Great Depression anno 1933 über. Damit ist das Thema moderner Massenerfahrung zunächst abgehakt: Auf geht’s ins Fahrwasser eines Individualismus, der sich im Triebhaften und Archaisch-Heroischen realisiert; auf dem Gebiet ist Kong natürlich King. Wie geil autoritäre Weltbilder aussehen, hat Jacksons zwischen Feudalwesen und Herrenmenschentum changierende „Lord of the Rings“-Trilogie gezeigt. „King Kong“ frönt nun der Freude am Monarchischen mit mehr Schmäh, weniger Schmachtworten und gleicher Verachtung für die Masse; den Part des Pöbels spielen New Yorker Zylinderträger und deren primitives Pendant, ein Inselstamm, der ebenfalls in pompösen Hochbauten haust, Kong begafft und vor Sensationsgier geifert und trommelt. Bongo!

Zwischen Städten und Stämmen agiert hier, ähnlich Gandalfs multinationaler Eingreiftruppe, eine ethnisch und sozial diversifizierte Schiffscrew; sie erkundet den Inselurwald, fängt Kong und zitiert dabei ausgiebig aus Joseph Conrads Kolonialwahnsinnsroman „Heart of Darkness“. Allein, die Stärke des Films liegt nicht im Symbolhaften, auch nicht im ausladenden Erzählen, das Actionsituationen nach Game-Manier auffädelt. Wirklich wild wird es vielmehr, wenn uns Rauminszenierung und Digitaltechnik groteske Körper in obszöner Plastizität aufs haptische Aug drücken – von Nebelklippen und bösen Bauten auf der Insel über die Üppigkeit bizarrer Flora bis zu haarsträubendem Getier: Wo Riesenasseln und Saugwürmer oder ledrige Fleischwülste einer Saurierstampede schamlos das Bild durchwogen, da erscheint Jurassic Park als Kurort.

Bad Taste meets Big (Monkey) Business. In diesem Ekelbarock klingt Jacksons Splatterfilmvergangenheit nach. Oder vielmehr: Hier kulminiert die monströse Vision eines multimedialen, synästhetischen Kinos, das alles (evolutions- oder kulturgeschichtlich) Archaische „bespielen“ kann und das Repräsentationsmuster vervielfältigt, um sie zu sprengen – und vice versa. Ein Film-im-Film-Plot breitet detailreich Bild- und Wissensschätze des alten Hollywoodkanons aus, um oft in einen Irrwitz zu verfallen, der antikanonisch und „unamerikanisch“ ist, eher an ein postkoloniales Neuseeland aus Nerdigkeit und kultivierter Perversion gemahnt. Hier trumpft die Affenliebe auf: Wir kriegen mehr Liebe, mehr Affe – keine Pelzpuppe, sondern einen von Fliegen umflorten digitalen Berg aus Gebrüll – und mehr „weiße Frau“. Wenn Naomi Watts, im Totaleinsatz jeder Locke und Zehe, für den Affen tanzt, ihn mit Variététricks zum Lachen bringt, sich ihm als Puppe zum Schubsen preisgibt (aber nur bis sie das SM-Ritual satt hat und ihn anschreit) oder mit ihm im Central Park eisläuft, als wär’s ein Judy Garland-Film – dann ist das kaum zu beschreiben. Jedenfalls ist es noch berührender (von wegen Taschentuchwerbung!) als die Entblätterung der strampelnden Fay Wray anno 1933 oder Jessica Langes Geräkel unterm Fön aus Kongs Nüstern im Remake von 1976; vom Flirt zwischen Mr. und Mrs. Kong im 1983er Aufguss „King Kong Lives“ ganz zu schweigen.

Adrien Brody als netter Retter bleibt peripher; auf einer Höhe mit dem Amour-Fou-Animal ist einzig die Figur des obsessiv-gewieften Filmregisseurs. Gespielt von Jack Black sieht er aus wie Jackson selbst in seiner übergewichtigen Phase; sein Adlatus dagegen erinnert an den jungen Jackson. „King Kong“ handelt vom Kino, seinen Traditionsnormen und seiner Enormität, davon, wie es gemacht und wie es genossen wird. Kino-King ist nicht der Regisseur, sondern die (letztlich doch anzuerkennende) Masse derer, die zuschauen, und so ist auch Kong als fetter Allesfresser vor allem Konsument, der sich die Shows des Stammes und der blonden Frau oder mit ihr im Arm einen Hollywood-Sonnenuntergang anschaut. Der einst fette Regisseur hingegen erhielt unlängst einen Preis für Verdienste um die Stadt New York. Was ist Jacksons Verdienst? Vielleicht dass er die Angstfantasietradition „Archaisches Wüten gegen Wolkenkratzer“ fortsetzt, nachdem sie realisiert wurde. Wobei King Kong eben vieles bedeutet: 1976 kletterte er im Showdown auf das World Trade Center und kämpfte gegen Helikopter; in den Tagen nach 9-11 hingegen zeigte ein Cartoon Kong auf den Twin Towers, wie er zwei Jets vom Himmel holt, und dazu die Frage: „Where were you when we needed you?“ Jetzt ist er voll da.

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Falter 50/2005

King Kong
USA, Neuseeland 2005 – 188 min.

Regie: Peter Jackson – Drehbuch: Peter Jackson, Fran Walsh, Philippa Boyens – Produktion: Peter Jackson, Fran Walsh, Jan Blenkin, Carolynne Cunningham – Kamera: Andrew Lesnie – Schnitt: Jamie Selkirk – Musik: James Newton Howard – Verleih: Universal – FSK: ab 12 Jahren – Besetzung: Naomi Watts, Jack Black, Adrien Brody, Andy Serkis, Thomas Kretschmann, Colin Hanks, Jamie Bell, Kyle Chandler – Kinostart (D): 14.12.2005

Drehli Robnik, geb. 1967, Theoretiker in Sachen Film und Politik, Edutainer, Kritiker, Disk-Jockey. Doktorat Universität Amsterdam (2007). Universitäre Lehrtätigkeit in A, D, CZ, FL 1992-2015. Monografien zu Stauffenberg im Film, zu Jacques Rancière und zur Regierungs-Inszenierung im Kontrollhorrorkino. Herausgeber der Film-Schriften von Siegfried Mattl. In Arbeit: DemoKRACy: Siegfried Kracauers Politik[Film]Theorie. Kürzlich erschien von ihm bei Neofelis „Ansteckkino. Eine politische Philosophie und Geschichte des Pandemie-Spielfilms von 1919 bis Covid-19“.