„Indiana Jones und das Rad des Schicksals“, 5. Teil der Blockbuster-Reihe, ist Dienst an der Marke. Was willst du mehr? Du willst nicht mehr.
„Yesterday belongs to us!“ sagt gegen Ende des Films ein Altnazi-Archäologe (Mads Mikkelsen, etwas vergeben als Schurke besetzt), als ihm das Zurückreisen in die Zeit zu glücken scheint. Über Zeitliches, Vergangenes, hatte davor schon der Held dieses Films, vielmehr: dessen Darsteller Harrison Ford, einen starken Sager zu bieten; auf die Frage, ob nach seinem fünften, definitiv finalen Kino-Einsatz als Indiana Jones noch weitere Filme mit diesem Abenteuer-Archäologen denkbar wären, antwortete Ford: Ganz sicherlich nicht – „When I’m gone, he’s gone.“
Wenn Ford fort ist… Der Schauspieler mit der immer noch angenehmen Stimme und den mittlerweile enormen Ohrläppchen ist achtzig Jahre alt. Damit ist er ungefähr so alt wie – nun, nicht wie Indiana Jones, aber wie dessen Vorbilder. Er ist circa so alt wie z. B. „Gunga Din“ (1939, mit Cary Grant im Tropenhelm-Haudrauf-Modus), einem Blueprint des zweiten Indiana Jones-Films (dem mit dem „Temple of Doom“, 1984) und wie generell jene Art von Old-Hollywood-Abenteuer-Exotismus, der dem Indy-Franchise als Inspiration und Revamping-Referenz diente, als es in den frühen 1980ern begann. Damals noch ohne Indy im Titel: „Raiders of the Lost Ark“ hieß sein Filmdebüt; die ark, die hebräische Bundeslade, fand sich 1981 verschämt umgetitelt in „Jäger des verlorenen Schatzes“ im Synchrondeutsch der Nach-Nazi-Länder. Teenies wie ich (und Millionen andere jung und alt) amüsierten sich über vorschriftsmäßig augenzwinkernde Action nach Art von Stationenlauf-Games (all die Schatzkammer-Todesfallen!) vor kolonialen Kulissen. Manche Leute sagten angesichts all dessen ein mysteriöses Wort, das mit P begann und mit „ostmodern“ endete. Hinzu kam die Ahnung, dass Indys lakonisches Erschießen und beherztes Herumkommandieren von Menschen mit Turban, Schleier oder nichtweißer ethnischer Identifizierung rassistisch war. Gar so anders verhält sich das nun in „Indiana Jones and the Dial of Destiny“ vulgo „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ auch nicht.
Dieses Rad drehte – erstmals bei einem Indiana-Jones-Film – nicht Steven Spielberg, sondern James Mangold. Die movie brats von damals – Spielberg und der Indy-Mit-Erfinder George Lucas – verhielten sich ihren vierzig Jahre alten Vorbildern aus Hollywoods schwarzweißen Studiodschungeln gegenüber frech; am frechsten allerdings gegenüber den dazwischen, in den Nachkriegsjahrzehnten, eingetretenen Krisen kolonialer und patriarchaler Herrschaft und ihrer Imaginarien: Diese Brüche galten den jungen Blockbuster-Designern als bloße Abstandsmarkierung, über die hinweg sich auf einen westlichen Kino-Kindheitserinnerungsbestand zugreifen ließ, ganz im Sinn eines augenzwinkernd auftrumpfenden „Yesterday belongs to us!“. Mangold hingegen – ein Regisseur, der sich mit dem Johnny Cash-Biopic „Walk the Line“, mit der Rennfahrer-Hagiografie „Ford v Ferrari“ („Le Mans 66 – Gegen jede Chance“) sowie ambivalenter mit „Logan“ als Denkmalspfleger alter Heldenlegenden eingeführt hat – ist Teil eines umgekehrten Verhältnisses zum Gestern: He makes us belong to yesterday. Demütig unterwirft er sich und sein Publikum einer Vergangenheit, der noch einmal Ehre erwiesen wird. Ehrung heißt hier: mit allen gebotenen, nichts weniger als vorschriftsmäßigen, Streicheleinheiten an Ironie. Mangold geht mit den Indiana-Jones-Erinnerungsbeständen aus der Reagan-Ära so um, als würde er heilige Texte rezitieren. Und was am Beginn des 1969 spielenden Haupt-Plots des Films passend mit dem Beatles-Song als eine „Magical Mystery Tour“ angekündigt wird, gerät zur Abschiedstournee, die – wenn auch flott – noch einmal alles abklappert.
Es gibt, was es geben muss, weil es das in den ersten drei Indiana-Jones-Filmen schon gab (der mit dem „Crystal Skull“ und Indys Sohn von 2008 gilt ja, obwohl er seine Momente hat, als Flop). Nämlich: Zug-Kletterei-Action mit Grußgeste an „Indiana Jones and the Last Crusade“ – und mit einem de-aged Ford – als anno 1944 spielender Auftakt; Phoebe Waller-Bridge als verbal wie artistisch engagierte, recht lustige Sidekick; Archimedes‘ Zeitreise-Tools (das titelgebende Schicksalsrad) als zu plündernden Schatz; Mathematik-Mystik als Pendant zu den Schätze hinterlassenden Religionen der Vorgängerfilme (Judentum 1981, Hinduismus 1984, Christentum 1989, Anbetung allwissender Aliens mit Kristallschädel-Datennetzwerk 2008). Weiters gibt es: Aale, wo einst Schlangen waren; Nazis, wo einst Nazis waren; einen marokkanischen Buben als Reminiszenz zum lokalen Helferlein Short Round von 1984 (dessen damals 12-jähriger Darsteller Ke Huy Quan bekam unlängst den Nebenrollen-Oscar); eine in den Ablauf reingeschriebene Schwarze CIA-Agentin als Wink an die Wokeness, der letztere beleidigt. Es gibt zweimal kurz Herrn Sallah, fünfmal kurz Rückspiegel in Verfolgungsjagden, fünzigmal lang das Fanfare-Thema. „Fan, fahre mit!“ fordert die Marschmusik. (Noch mehr als sonst wird in Autos rumgerast: Harrison Ford v Ferrari) Es hilft beim Mögen, das von Kindheit an schon gesehen zu haben. Und: Sentimental geht allemal. Im Liebesdialog am Ende – ehe Indy für die Rückkehr ins Eheglück ostentativ seinen Hut braucht (seine unverzichtbare Peitsche, Signatur der Rückbindung an Kolonialherrenmythologie, ja wohl doch nicht) – wird wie anno ’81 gefragt, wo’s denn nicht wehtut. Was willst du mehr? Du willst nicht mehr.
Eine Kurzfassung dieser Besprechung erschien zuerst in: Falter 26/2023.
Indiana Jones und das Rad des Schicksals
(Indiana Jones and the Dial of Destiny)
USA 2023 – 154 min.
Regie: James Mangold – Drehbuch: Jez Butterworth, John-Henry Butterworth, David Koepp, James Mangold – Produktion: Kathleen Kennedy, Frank Marshall, Simon Emanuel – Bildgestaltung: Phedon Papamichael – Montage: Andrew Buckland, Michael McCusker, Dirk Westervelt – Musik: John Williams – Verleih: Walt Disney – FSK: ab 12 – Besetzung: Harrison Ford, Phoebe Waller-Bridge, Mads Mikkelsen, Antonio Banderas, Boyd Holbrook, Shaunette Renee Wilson, Thomas Kretschmann, Toby Jones, John Rhys-Davies
Kinostart (D): 29.06.2023
Drehli Robnik, geb. 1967, Theoretiker in Sachen Film und Politik, Edutainer, Kritiker, Disk-Jockey. Doktorat Universität Amsterdam (2007). Universitäre Lehrtätigkeit in A, D, CZ, FL 1992-2015. Monografien zu Stauffenberg im Film, zu Jacques Rancière und zur Regierungs-Inszenierung im Kontrollhorrorkino. Herausgeber der Film-Schriften von Siegfried Mattl. In Arbeit: DemoKRACy: Siegfried Kracauers Politik[Film]Theorie. Zuletzt erschien von ihm bei der Edition Filmmuseum die Textsammlung „Ansichten und Absichten. Texte über populäres Kino und Politik“.