Diese Kritik erschien zuerst am 15.07.2016 in: filmgazette.de
London liegt in Trümmern, ein Land ist ohne Führung, aber willens, seinen Unabhängigkeitstag neu zu definieren. Zugleich kommt es zu einer Häufung von Präsidentenfiguren: Eine davon ist gewählt (das aber nur für kurze Zeit), eine ist ein charismatischer Altpräsident, eine ist ein interimistisches Vertretungsstaatsoberhaupt in Waffen. Währenddessen wittern feindselige Mächte, deren Eroberungsversuch damals nur ganz knapp abgewehrt werden konnte, ihre zweite Chance – und bekommen sie. Das ist endlich mal Katastrophen-SciFi mit Zeitbezug – nicht nur in Großbritannien nach dem Brexit-Votum und in Österreich nach dem Wahlwiederholungsentscheid. Das ist „Independence Day: Wiederkehr“.
Im Sommer vor einer US-Präsidentenwahl legt Hollywood sich nicht gern fest (installiert nicht gern eine definitives Oberhaupt, sondern deren drei). Da trifft sich auch gut, dass Frauen, sofern sie hier nicht als Kriegerbraut oder im Pflegedienst fungieren, im baldigen Abgang (Exit) sind: Letzteres widerfährt denn auch der farblosen (weißen) US-Präsidentin – also übernimmt ein General (Eventmovie-Urgestein William Fichtner) die provisorische Staatsführung im Abwehrkrieg. Derweil treiben Pflichtgefühl und senile Bettflucht den Mann, der in Teil 1 Bill Clinton nachempfunden war (beide Male gespielt von Bill Pullman), als Altpräsident zurück in den Kampf.
„Independence Day“ beschwor 1996 ein globales Amerika im Zeichen von poppiger Geschichtsverwurstung (Zweiter Weltkrieg, Alien-Mythen des Kalten Krieges, Aufbrüche und Konflikte der Sixties) und von Multikultur, mit Akzent auf Kultur, vom Multi nicht zu viel: postpolitische Memory Culture, Differenzen kontrolliert und begrenzt, in Form von Diversität zur Schau gestellt. Roland Emmerichs Neuauflage ersetzt die 1990er Gemeinschaftsparameter von Kultur und Gedächtnis durch die aktuellen von Geo- und Realpolitik (wie es schon im Vorjahr ein anderes Reboot, „Jurassic World“, tat): Meines Feindes Feind ist mein Freund, also schmieden wir pragmatische, aber schwach fundierte Allianzen – das gilt für zentralafrikanische Warlords, für eine zweite Alien-Fraktion, gar für eine Französin (Charlotte Gainsbourg, heiser wie immer, diesmal in Safari-Shorts). Anstelle der zentralen Black-Jewish-Alliance Smith-Goldblum von 1996 trumpft nun die Welt- und Markt-Macht China auf und liefert halbe Hauptfiguren, zumal den Kommandeur der Mondstation und dessen Tochter.Überhaupt sind hier alle Söhne und Töchter von irgendwem, zum Teil von Vorfahren aus dem ersten Film, zum Teil einfach so, weil die Realpolitik der Zweckbündnisse und zu umschmeichelnden neuen Absatzmärkte wenig an dauerhaften Bindungen zulässt, wenig an institutionellen Referenzen. Da bietet sich die Familie im Sinn eines stolzen Stammbaums an; der verweist nun aber weniger ins kulturelle Gedächtnis zurück (als Geschichtsüberformung nach Art der 1990er, siehe am allerexemplarischsten „Forrest Gump“), auch nicht in die B-Movie-Historie, die „Independence Day“ damals zur imperialen Staatskunst der Ironie als verordnetem Massenhabitus erhob. Sondern: Referenz ist nun vor allem der zwanzig Jahre alte Film selbst (den Emmerich persönlich seitdem noch gefühlte fünf Mal, de facto aber nur drei Mal in abgewandelter Form neu gedreht hat) – für den neuen Film, dessen Plot mit Gedenkfeierlichkeiten zu einem zwanzig Jahre zurückliegenden Krieg beginnt. Bei diesen Feiern hat der Ende 2015 verstorbene Schauspieler Robert Loggia einen letzten Filmauftritt, als greiser General, der eine Einstellung lang von der Veteranentribüne der „War of ’96“-Gedenkzeremonie runtergrinst und dabei noch lächerlicher aussieht als mit der Camouflage-Mütze, die er vor zwanzig Jahren in „Independence Day“ trug.
Staatsmachtträger treten hier als entweder lächerlich, dezentriert oder auf mehrere Figuren verteilt auf (die drei Präsis, keine/r davon „richtig“). Das entspricht einem Zustand, in dem drei Präsidenten – zwei aus postpatriarchalen bzw. bürgerrechtlichen Nachfolgebewegungen der langen Sixties stammend (Clinton, Obama), einer aus dem Polit-Biotop der aggressiv Marktwirtschaftsdemokratie exportierenden Neocons (Bush jr.) – enttäuschte sozialstaatliche Hoffnungen bzw. desaströs gescheiterte Expansionsprojekte zurücklassen und die nachfolgenden Machthabenden durch Toupets, Irrsinn, Skandale (oder in exotischen Ländern durch verfassungsgerichtlich angeordnete Wahlwiederholung) so kompromittiert sind, dass das Eventkino die Formen ihrer – übersetzten – Bildwerdung (oder Anbetung) erst entwickeln wird müssen.Überhaupt: Welche Staatsmachtsymbole sollen Alien-Invasoren 2016 denn groß zertrümmern, wenn das Weiße Haus 1996 von Emmerich synchron mit Kapitol, New York und Los Angeles außerirdisch zerstrahlt und seitdem in mehreren Actionfilmen verwüstet wurde? Folgerichtig wird das Weiße Haus diesmal durch eine Flutwelle mit allerlei Großgeröll „nur“ gedepscht und geknickt. Dafür sind in „die Sequenz“, die es in jedem Emmerich-Film geben muss, rezente historische und als Medienevents global halbwegs erinnerliche Zerstörungsereignisse eingearbeitet – der Tsunami, Hurricane Katrina sowie die terroristische Realinszenierung von 9/11, weshalb diesmal nicht mit Autos, sondern mit Megagerät geworfen wird: Es regnet Passagierjets. Und es hagelt Oneliner, die uns darauf einschwören, dass dieser Film an seinem Vorgänger zu messen und als größer einzustufen ist; einer davon ist sogar ganz lustig – „They like to get the landmarks“, wird trocken vermerkt, als die Alien-Armada gerade Londons Tower Bridge zerstört.
Der Rest ist ein langer Film, der sich kurz abhandeln lässt. Die Rechenleistung hat sich seit damals erhöht, Luftkampf und Telepathie werden diesmal zu Routinehandlungen für den kleinen Gusto zwischendurch, „Transformers“ war eh auch öd, und der andere Hemsworth ist eh auch fesch. Jeff Goldblum meint es gut, Will Smith wusste es besser, und am Ende – als einmal mehr in der strahlend weißen Salzwüste Tabula Rasa gemacht und rasende Mehrfachhochzeit gefeiert wird (was aber nur noch wenig Sinn abwirft, weil in diesem Film andere Soziierungsformen dem bürgerlichen Paar den Rang abgelaufen haben: Neben der Herkunftfamilie ist dies der sozial vernetzte Freundeskreis, der sich dauernd updatet und bei irgendwelchen turbulenten Ausflügen trifft) –, am Ende ertönen Rufe nach Alien-Asskicking in einem weiteren Sequel, die umso unbeholfener klingen, als dieser Film in den USA gefloppt ist. Na, geh! Sei noch vermerkt, dass hier ein schwules Altherren-Pärchen auftritt, das offenbar dann akzeptabel ist, wenn es die Oberdodln abgibt in diesem Postdemokratie-Panorama am Deppen-Dance-Day.
Independence Day: Wiederkehr
(Independence Day: Resurgence)
USA 2016 – 120 min.
Regie: Roland Emmerich – Drehbuch: Nicolas Wright, James A. Woods, Dean Devlin, Roland Emmerich, James Vanderbilt – Produktion: Dean Devlin, Roland Emmerich, Harald Kloser – Kamera: Markus Förderer – Schnitt: Adam Wolfe – Musik: Harald Kloser, Thomas Wanker – Verleih: 20th Century Fox Deutschland – FSK: ab 12 Jahren – Besetzung: Liam Hemsworth, Jeff Goldblum, Jessie T. Usher, Bill Pullman, Maika Monroe, Sela Ward, William Fichtner, Judd Hirsch, Brent Spiner, Patrick St. Esprit, Vivica A. Fox, Angelababy, Charlotte Gainsbourg, Deobia Oparei, Nicolas Wright – Kinostart (D): 14.07.2016
Drehli Robnik, geb. 1967, Theoretiker in Sachen Film und Politik, Edutainer, Kritiker, Disk-Jockey. Doktorat Universität Amsterdam (2007). Universitäre Lehrtätigkeit in A, D, CZ, FL 1992-2015. Monografien zu Stauffenberg im Film, zu Jacques Rancière und zur Regierungs-Inszenierung im Kontrollhorrorkino. Herausgeber der Film-Schriften von Siegfried Mattl. In Arbeit: DemoKRACy: Siegfried Kracauers Politik[Film]Theorie. Kürzlich erschien von ihm bei Neofelis „Ansteckkino. Eine politische Philosophie und Geschichte des Pandemie-Spielfilms von 1919 bis Covid-19“.