Robyn (Honor Kneafsey) will Wölfe jagen, genau wie ihr breitschultriger Vater (Sean Bean), der jeden Morgen in den Wald aufbricht, um dort Fallen aufzustellen. Stattdessen soll sie in der sicheren Stube bleiben und die Hausarbeit machen. Das irische Kilkenny des Jahres 1650 bietet ihr als Mädchen nicht viele Optionen. Aber Robyn stiehlt sich immer wieder davon, schlüpft durch die Stadtmauer und folgt ihrem Vater in den Wald, der mit seinen blätterrauschend knorrigen Ästen nicht nur eine neue Welt, sondern gleich ein ganz anderes Leben zu verheißen scheint.
Einmal wird in „Wolfwalkers“, dem neuen Film des irischen Animationsstudios Cartoon Saloon („The Secret of Kells“), als Ablenkungsmanöver eine Herde Schafe aus einem Käfig freigelassen. So wie die Tiere hineingepfercht wurden, so fallen sie als quadratischer Block heraus. Dann dauert es nur noch den Bruchteil einer Sekunde, bevor sie unter lautem Blöken auseinander stieben und von links nach rechts und wieder zurück durch den Bildschirm hoppelnd für großen Tumult sorgen. Animationszauber, der die Dekonstruktion all seiner Formen bis hin zu ihrer Auflösung vollführt.

© GKIDS

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Die regelmäßige Bauweise der Gebäude erweist sich genau genommen sogar als Vorteil: Selbst die Gestalt einer Wölfin annehmend kann Robyn, sobald es brenzlig wird, problemlos von Dach zu Dach springen und sich so ihre Stadt auf ganz neue Weise zunutze machen. Regisseur Tomm Moore ist genauso flexibel. Er zeichnete zu Beginn seiner Karriere Comics und scheint noch immer wie ein Comiczeichner zu denken, der statt isolierter Panels ganze Seitenarchitekturen entwirft. Immer wieder teilt er den Bildschirm horizontal oder vertikal in einen mehrfachen Splitscreen auf, nutzt Bildelemente wie die Speere der Soldaten als Grenze zwischen den einzelnen Einstellungen. Fenstergitter, rautenförmige Bodenfliesen, die rechtwinklig zulaufenden Holzbalken der Fachwerkhäuser funktionieren als Symbole für die Zwänge der Figuren einerseits – aber andererseits erweitern sie die Möglichkeiten des Zeichners ins schier Unendliche. Sie umgrenzen immer neue Flächen, die es zu füllen gilt.
Diese Kritik erschien zuerst am 23.12.2020 auf: perlentaucher.de
Wolfwalkers
Irland 2020
Regie: Tomm Moore, Ross Stewart – Drehbuch: Will Collins – Produktion: Tomm Moore, Stéphan Roelants, Nora Twomey, Paul Young – Musik: Bruno Coulais – Laufzeit: 103 Minuten. Auf Apple TV+
Katrin Doerksen, Jahrgang 1991, hat Filmwissenschaft nebst Ethnologie und Afrikastudien in Mainz und Berlin studiert. Neben redaktioneller Arbeit für Deutschlandfunk Kultur und Kino-Zeit.de schreibt sie über Comics, aber auch über Film, Fotografie und Kriminalliteratur. Texte erscheinen unter anderem im Perlentaucher, im Tagesspiegel oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie lebt in Berlin.