Portlands dunkle Seite

Über 17.000 Dollar Spielschulden im Casino, die Kreditkarten überzogen, Ebbe auf dem Konto. Privatdetektivin Dex Parios bleibt also keine Wahl, als ihr die Casino-Chefin Sue-Lynne ein Angebot macht, das sie nicht ablehnen kann: Sie soll Sue-Lynnes Enkelin Charlotte Suppa finden, die seit vier Tagen verschwunden ist. Ein vermeintlich einfacher Job, der schnell zum Horror-Trip mutiert. Denn erst wird Dex gegen ihren Willen beim reichen Geschäftsmann und Kartellboss Hector Marenco vorstellig, der ebenfalls über den Stand der Ermittlungen informiert werden will, dann übersteht sie einen Mordversuch mit lediglich einigen Blessuren. Bald wird klar, dass Marencos Kinder, Tochter Isabel und Sohn Oscar, in den Vermisstenfall involviert sind und Dex offensichtlich wichtige Details verschweigen.

Greg Rucka (Autor), Matthew Southworth (Zeichner): „Stumptown. Band 1“.
Aus dem Englischen von Katrin Aust. Splitter Verlag, Bielefeld 2021. 160 Seiten. 24 Euro

Dex Parios (eigentlich Dexedrine – man könnte meinen, dass man vorbelastet ist, wenn man nach einem Medikament gegen ADHS benannt wurde) ist ein weiblicher Hardboiled Detective mit alle, was dazugehört. Sie raucht, trinkt, spielt und legt sich ohne nachzudenken mit allen und jedem an. Dabei erweist sie sich als wahre Meisterin im Einstecken. Erst wird sie verprügelt. Dann angeschossen. Doch sie macht weiter, flirtet heftig mit dem behandelnden Arzt im Krankenhaus, nur um sich kurz darauf die nächste Blessur abzuholen. Die natürlich nicht die letzte sein wird. Dex ist und bleibt dabei der Star des Bandes. Ihre stoische Beharrlichkeit geht auch auf Kosten der eigenen Gesundheit, und selbst vor dem großen „Boss“ zeigt sie weder Furcht noch Respekt. Das ursächliche Motiv wird dabei in drei Panels abgehandelt. Dex und ihre Ermittlungen, garniert mit einem beinahe tragischen Familienzwist, stehen im Mittelpunkt des Geschehens.

Die Reihe, die bereits zwischen 2009 und 2016 entstand und in den USA ursprünglich bei Oni Press veröffentlicht wurde, stammt aus der Feder von Autor Greg Rucka (u. a. „Whiteout“, „Gotham Central“), der bereits diverse Eisner Awards abstauben konnte und aktuell mit „Lazarus“ und „The Old Guard“ bei Splitter bereits zwei heiße Eisen im Feuer hat. In „Stumptown“ schafft er ein Noir-Setting in der Gegenwart, in dem Portland, Oregon – obwohl eine Stadt mit über eine halbe Million Einwohnern – einen gewissen dreckigen Kleinstadt-Charme offenbart. Insgesamt werden von „Stumptown“ (das ist der Name von Dex‘ Ein-Frau-Detektei) vier Sammelbände erscheinen, wobei jeder einen abgeschlossenen Fall behandelt. Als Zeichner konnte Rucka Matthew Southworth gewinnen, der die ersten beiden Sammelbände gestaltet. Southworths skizzenhafter, bisweilen grober Stil mag nicht jedem gefallen, erzeugt aber gemeinsam mit der unterkühlten Farbgebung (bei der Southworth von Rico Renzi und Lee Loughridge Unterstützung erhielt) eine passende Atmosphäre.

Einige von Ruckas Werken wurden bereits verfilmt, beispielsweise „Whiteout“ und „The Old Guard“ als Spielfilm. „Stumptown“ wurde als, inzwischen abgeschlossene, TV-Serie adaptiert, bestehend aus 18 Teilen, mit Cobie Smulders („How I met your Mother“ und Maria Hill aus dem MCU) in der Rolle der Dex Parios (u. a. bei Sky zu sehen). Als Dreingabe beinhaltet der erste Band (neben einem launig-originellen Vorwort von Matt Fraction) eine achtseitige Kurzgeschichte, in der Dex einmal mehr ihre Cleverness beweist, sowie diverse Zeichnungen, die Matthew Southworth für Drucke und T-Shirts während der Laufzeit der Serie anfertigte. Band 2 erscheint im Oktober.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.

Seite aus „Stumptown“ (Splitter Verlag)