Ein fiktiver Konflikt – wissenschaftliche Forschungsergebnisse und eine knallbunte Kleinfamilie, die all das diskutiert. Mehr braucht Lea Loos nicht, um die unterschiedlichen wissenschaftlichen Theorien zu Widerstandsbewegungen anschaulich werden zu lassen. Der Konflikt kommt per Fernsehnachrichten ins Familienwohnzimmer: In einem Altenheim ist es zu einem gewalttätigen Aufstand der Senioren gekommen, weil das Essen so schlecht sei. Die Beschwerden der Bewohner hatten nichts bewirkt. Richtig so, meint die Mutter, denn ohne Gewalt ändert sich ja ganz offensichtlich nichts. Der Vater ist dagegen grundsätzlich gegen Gewalt.
Im Comic macht das die Tochter deutlich, die zwischen den Positionen der beiden Eltern moderiert. Eine Schülerin, die zu den Demonstrationen von Fridays for Future gehen könnte. Lea Loos, die gerade ihr Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig abgeschlossen hat, ist nur ein paar Jahre älter.Die Tochter präsentiert Beispiele von erfolgreichem Widerstand aus der Vergangenheit. Die indische Unabhängigkeitsbewegung von Mahatma Ghandi zum Beispiel. Oder die schwarze Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King. Beide Bewegungen waren gewaltlos, erzählt Lea Loos im Comic, aber eben alles andere als passiv. Und sie zeigt, dass ein strategisches Vorgehen wichtig ist – auch bei gewaltlosem Widerstand. Martin Luther King beispielsweise ließ manche Konflikte gezielt eskalieren.
Lea Loos baut Forschungsergebnisse unterschiedlicher Soziologen, zum Beispiel vom Wissenschaftszentrum Berlin oder der Columbia University, in Tabellen und Schaubildern in den Comic ein und lässt die Forscher auch selbst im Wohnzimmer der Familie auftauchen und ihre Ergebnisse diskutieren. Eins zeigt sich dabei deutlich: Gewaltloser Widerstand ist erfolgreicher als gewaltsamer Widerstand – sogar in autoritären Diktaturen.
Es macht Spaß, diesem Comic zu folgen. Weil die Charaktere einfach und fröhlich bunt gezeichnet sind. Weil die Forschungssituation leicht nachvollziehbar wird. Und weil er immer wieder Aha-Effekte bringt. Zum Beispiel: Je diverser die Menschen sind, die sich dem Widerstand anschließen, desto erfolgversprechender ist der – weil so mehr Menschen mit dem Widerstand sympathisieren und sich vielleicht doch noch anschließen. Und noch eins ist wichtig: Dass die Bewegung einen langen Atem hat. Es braucht einen harten Kern der Bewegung, der auch dann immer neue Demonstrationen, Streiks oder Sitzblockaden organisiert, wenn die erste Begeisterung abgeebbt ist, der immer wieder Menschen mobilisieren kann und so Druck aufbaut.
Lea Loos erzählt die Geschichte der Widerstandsbewegungen nüchtern und ohne Personenkult und macht gerade dadurch deutlich, welche Strategien des Widerstands funktionieren und wo die Fallstricke liegen. Das ist nüchtern und aufregend zugleich.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 04.08.2021 auf: kulturradio rbb
Hier gibt es ein Interview mit Lea Loos.
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.