Lucky Luke bei Bastei – Oder: Die Taschenbücher und Comichefte

© Bastei Verlag, Éditions Dargaud

Seit 1977 schrieb der Schriftsteller und Comicautor Peter Mennigen zunächst deutsche Geschichten für Comicreihen wie „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“, „Conny“, „Biggi“, „Vanessa“, „Felix“, „Lasso“, „Phantom“, „Axel F.“ und zahlreiche weitere Serien des Bastei Verlags. Ab den 90er Jahren arbeitete er für andere Verlage wie Egmont (Disney-Magazine), Panini (Jessy, Sternentänzer, Willi will‘s wissen) und Ravensburger (u. a. Fix und Foxi). In dieser Zeit verfasste er auch internationale Comics: „Lucky Luke“, „Schlümpfe“, „Bessy“ und „Isnogud“. Aktuell arbeitet er zusammen mit Ingo Römling an der Mystery-Serie „Malcolm Max“. Für comic.de blickt er zurück auf seine Arbeit im deutschen Comicverlagsgeschäft.

Seit meiner ersten Begegnung mit dem „einsamen Cowboy“ sind inzwischen einige Jahrzehnte vergangen. Irgendwann 1960 erzählte mir ein Freund euphorisch von einem tollen Cowboy namens Lucky Luke. Das „Lucky“ haben wir in unserer kindlichen Unkenntnis lautgetreu mit „u“ statt mit „a“ ausgesprochen, genau wie bei Donald Duck. Der Comic erschien zu der Zeit erstmals in Deutschland im Magazin „Der heitere Fridolin“ aus dem Semrau Verlag.

Damit ich mir ein Bild von dem Revolverhelden machen konnte, lieh mir mein Freund netterweise ein Heft. Gespannt schlug ich die Geschichte mit dem mysteriösen Cowboy auf und… erlebte eine herbe Enttäuschung. Zu Beginn der Story „Aufregung in Red City“ nimmt Lucky Luke irgendwo in der Prärie ein Bad, was mir seltsam als Einstieg für einen Western vorkam. Zu allem Überfluss stibitzt man ihm auch noch sein Pferd und seine Kleidung, weshalb er in pinker Unterwäsche eine vornehme Lady um Hilfe bitten muss. Mit dieser Peinlichkeit war der Gipfel der Lächerlichkeit aber noch längst nicht erklommen. Denn die Bewohner einer Westernstadt verspotten den vermeintlichen Helden, indem sie ihm einen Dauerlutscher und ein Steckenpferd schenken.

Unter einem „tollen Cowboy“ schwebte mir schon etwas Heldenhafteres und weniger Blamables vor. Ich war halt noch zu jung, um die Story als Persiflage zu verstehen. Nachdem sich im Verlauf des Comics offenbarte, wie schnell Lucky Luke bei einer Auseinandersetzung mit dem Falschspieler Pat Poker den Colt zog und wie unglaublich präzise er schoss, stellte das seine Reputation in meinen Augen wieder her.

Ab 1972 brachte der Koralle Verlag die Abenteuer des Mannes, der „schneller zog als sein Schatten“, im „ZACK“ Magazin heraus.
Kleines Kuriosum: Während „ZACK“ die „Lucky Luke“-Abenteuer des französischen Verlages Dargaud druckte, veröffentlichte Kauka von 1972 bis 1973 parallel dazu „Lucky Luke“-Geschichten von Dupuis.
Cover Artwork: Morris
Copyright © Koralle Verlag, Éditions Dargaud

Leider konnte ich es mir finanziell nicht leisten, die Abenteuer des „einsamen Cowboys“ weiter im „Heiteren Fridolin“ zu verfolgen. So trennten sich unsere Wege für einige Jahre, bis sich Rolf Kauka der Serie 1965 annahm. Als erstes „Lucky Luke“-Abenteuer veröffentlichte er „Aufstand der Blaufüße“ in Heft 7 des „Lupo“-Magazins, das ich von Heft 1 bis zur letzten Ausgabe fasziniert gelesen hatte. In der Reihe erschienen außer „Lucky Luke“ zahlreiche andere franko-belgische Comics wie „Asterix“ (als „Sigi und Babaras“), „Mick Tanguy“ (als „Rolf“) oder „Spirou“ (als „Pit und Pikkolo“). Auch wenn die Geschichten aus heutiger Sicht teils verstümmelt und eingedeutscht worden waren, verbinde ich mit ihrer Publikation in „Lupo“ bzw. „Lupo modern“ meine „goldenen Comicjahre“. Das „Lucky Luke“-Fieber packte mich jedoch erst richtig mit den Veröffentlichungen in dem überformatigen „ZACK“-Magazin aus dem Koralle Verlag. Jede neue Story des Mannes, der „schneller zog als sein Schatten“, verschlang ich mit Begeisterung. Hätte mir zu der Zeit jemand gesagt, dass ich dessen Abenteuer eines Tages selbst texten durfte, hätte ich ihn für vollkommen verrückt erklärt.

Große Ereignisse kündigen sich manchmal kaum merkbar, bisweilen gar nicht an und überrollen einen dann quasi aus dem Nichts. So geschehen Anfang 1991, als mich Werner Geismar, der damalige Chefredakteur der Bastei-Jugendredaktion, zu einem Gespräch ins Verlagshaus nach Bergisch Gladbach einlud. Genaueres wusste ich nicht, ahnte aber, dass es sich um einen neuen Comic drehen würde, den ich schreiben sollte. Ich hatte gerade in seinem Büro Platz genommen, da begann er die Unterhaltung mit: „Wir haben die Lizenz für eine Serie gekauft, die eigentlich keiner mehr lesen will.“ Was natürlich ein gewolltes Understatement seinerseits war, auf das ich mit dem Gedanken reagierte: Du lieber Himmel, was kommt jetzt bloß auf mich zu? Nach einer kleinen Kunstpause ließ mein Gastgeber die sprichwörtliche Katze aus dem Sack: „Lucky Luke.“ Spontan ging mir durch den Kopf: „Lucky Luke“ bei Bastei? Wie konnte das passieren? Das war zwar einerseits sensationell, andererseits war mir nicht klar, was ich damit zu tun hatte. Schließlich waren die „Lucky Luke“-Comics in Frankreich fertig produziert und mussten nur noch übersetzt werden. Weil sich meine Französischkenntnisse auf „Bonjour“ und „Merci“ beschränkten, kam ich als Übersetzer wohl kaum in Frage. Deshalb ordnete ich die Information über „Lucky Luke“ als Überleitung zum tatsächlichen Thema ein. Damit lag ich nicht ganz falsch. Allerdings hatte ich dieses „tatsächliche Thema“ selbst in meinen kühnsten Träumen nie und nimmer auf dem Radar gehabt.

Wie sich herausstellte, hatte Bastei die Rechte für Taschenbücher mit neuen „Lucky Luke“-Geschichten erworben, die jedoch nichts mit den Comics in den Alben zu tun haben durften. Denn das wiederum würde mit den bestehenden Verträgen zwischen Morris alias Maurice de Bévère und Egmont Ehapa, dem Lizenznehmer für die deutschen „Lucky Luke“-Alben, kollidieren. Aus dem Grund waren die „Lucky Luke“-Taschenbücher als sogenannte „Balloon-Books“ geplant, wie es sie bereits von „ALF“ und „Graf Duckula“ gab. Bei den Balloon-Books handelt es sich um eine Mischform aus Comic und Roman. Auf je einer Taschenbuchseite gibt es ein bis zwei Illustrationen mit großen Sprechblasen (den „Balloons“, daher die verlagsinterne Bezeichnung für die Reihe), meist mit relativ viel Text. Durch diesen Kunstkniff hatte Bastei schon bei „ALF“ erfolgreich eine bestehende Lizenzvereinbahrung juristisch einwandfrei umgangen. Seinerzeit besaß der Loewe Verlag die deutschen Rechte für „ALF“-Bücher. Weil die „ALF“-Comics so grandios liefen, suchte man bei Bastei nach einem Weg, den Erfolg auch auf den Buchmarkt auszuweiten. Das Ergebnis war ein Hybrid aus Roman und Comic: Das Balloon Buch. Der „Lucky Luke“-Deal war über die Stuttgarter Lizenzagentur von Hans Werner Fuchs zustande gekommen, die ebenfalls die Verträge für die Alben mit dem Delta Verlag bzw. Egmont Ehapa ausgehandelt hatte.

Im Mai 1991 erschien das erste „Lucky Luke“-Taschenbuch mit einem Umfang von 176 Seiten. Dabei handelte es sich um eine Mischform aus Comic und Roman.
Copyright © Bastei Verlag, Éditions Dargaud

Eine Frage, die sich mir spontan aufdrängte, war: Was hatte Morris zu einem so drastischen Schritt bewogen? Damals wusste ich nicht, dass Morris „Lucky Luke“ nicht mehr von Dargaud, sondern selbst vermarkten wollte. Deswegen waren sowohl die für die deutschen Rechte zuständige Lizenzagentur als auch Morris neuen Einnahmequellen gegenüber sehr aufgeschlossen. Es ist darum gut möglich, dass es Morris bzw. die Agentur Fuchs war, die wegen „Lucky Luke“ bei Bastei angeklopft hatten und nicht umgekehrt.

Nachdem Werner Geismar mich über die geplante „Lucky Luke“-Veröffentlichung in Kenntnis gesetzt hatte, übertrug er mir die Aufgabe, die neuen Abenteuer des „einsamen Cowboys“ für die Balloon Books zu verfassen. Ich muss gestehen, meine Reaktion darauf war nicht sonderlich eloquent. Mir klappte die Kinnlade runter, während ich meinen Gegenüber anstarrte wie ein Wesen von einem anderen Planeten. Unglaublich, ich sollte „Lucky Luke“, nach „Asterix“ eine der legendärsten Comicreihen Europas, schreiben? Ich musste gestorben sein – plötzlicher Herztod direkt vor dem Schreibtisch des Chefredakteurs der Jugendredaktion – und war wider Erwarten im Himmel gelandet. Mithilfe einer mörderischen Deadline wurde ich rasch in irdische Gefilde zurückgeholt. Das erste Buch sollte bereits im Mai im Handel sein. Bedeutete: Ich musste mich sputen. Inhaltlich hatte ich vollkommen freie Hand. Dasselbe galt für die Auswahl der „Lucky Luke“-Panel-Illustrationen aus den bei Dargaud veröffentlichten Alben. Die Bilder sollten nur irgendwie einen Bezug zu meiner jeweiligen Story haben. Die betreffenden Zeichnungen würden dann auf den einzelnen Buchseiten unter oder über die großen Sprechblasen mit meinem Text platziert.

Zu Hause machte ich mich gleich ans Werk. Es war ausgesprochen hilfreich, dass ich Erfahrung im Schreiben der Balloon Books hatte. Das gab mir ein Gefühl für die Umsetzung der Storys und den für 176 Buchseiten benötigten Textumfang. Als Erstes musste auf die Schnelle ein griffiger Buchtitel her, damit Bastei das Werk umgehend in Kataloge und Vorankündigungen für die Buchläden und Comicshops lancieren konnte. Aus meiner Liste der potentiellen Kandidaten gewann schließlich „Wenn die blauen Bohnen wieder blüh’n“ das Rennen. Ich plante eine Reihe abwechslungsreicher, größtenteils in sich abgeschlossener Storys. Geschrieben in der Ich-Form, die den Geschichten einen leicht autobiographischen Flair verlieh. Die Episoden sollten möglichst unterhaltsam sein und das eine oder andere Westernklischee auf die Schippe nehmen, ohne dabei das Genre oder die Serie an sich lächerlich zu machen. Wie in dem Abschnitt über Pistolen Paule, einem Revolverhelden mit einer pathologischen Sucht nach dem nächsten Duell, der sich vor dem Kräftemessen mit Lucky Luke dermaßen in Nebensächlichkeiten verzettelt, dass es nie zu einem Schusswechsel kommt. Ein anderer Beitrag widmet sich der philosophischen Frage: „Wie einsam ist ein Cowboy wirklich?“ In einem weiteren Abenteuer geben sich die Daltons die Ehre. Die berüchtigten Brüder Joe, William, Jack und Averell Dalton, deren Lebensgeschichte eine einzige Symphonie aus gesetzlichen Entgleisungen und epischem Scheitern ist. Natürlich spielte in dem Buch auch Lucky Lukes Pferd Jolly Jumper, das den meisten Zweibeinern des Wilden Westens intellektuell haushoch überlegen ist, eine wichtige Rolle.
Nicht zu vergessen, meine Lieblingsfigur im „Lucky Luke“-Universum: Rantanplan, der Hund, der dümmer ist als sein Schatten. Es bereitete mir großen Spaß, in die bizarre Denkweise des Vierbeiners einzutauchen und die splapstickhaften Konsequenzen daraus zu Papier zu bringen.
Insgesamt umfasste das erste Buch dreizehn Kapitel um den „Lonesome Cowboy“, die ich termingerecht beim Verlag einreichte.

Aufgrund der guten Verkaufszahlen verlegte Bastei bereits im August 1991 das zweite „Lucky Luke“-Buch.
Cover Artwork: Morris
Copyright © Bastei Verlag, Éditions Dargaud

Das Ergebnis gefiel offenbar und nachdem die Verkaufszahlen ebenfalls vielversprechend waren, erhielt ich den Auftrag für das Nachfolgewerk, dem ich den Titel „Tolle Tage in Texas“ gab. Der Textumfang blieb wie beim ersten Band, lediglich das inhaltliche Konzept wurde geändert. Statt dreizehn zumeist voneinander unabhängiger Geschichten zog sich im zweiten Buch eine Hauptstory – die Belagerung von Fort „Maddog“ – als roter Faden durch zwölf in sich abgeschlossene Episoden. Einige Erzählungen, wie „Freitag der 13.“ um den abergläubischen Kommandanten Firefly von Fort „Maddog“, habe ich später als Comic für die „Lucky Luke“-Hefte adaptiert. „Tolle Tage in Texas“ erschien im August 1991.

Da sich das Buch ebenfalls gut verkaufte, erteilte mir der Verlag grünes Licht für den dritten Band. Dieser wurde im November 1991 unter dem Titel „Rhapsodie in Blei“ publiziert. In zehn Kapiteln erzählte ich beispielsweise, wie Rantanplan zum Bürgermeister gewählt wurde, wie eine Zahnplombe aus Gold einen Goldrausch auslöste und ähnliche Absurditäten im Wilden Westen. Als viertes „Lucky Luke“-Buch schrieb ich dann „Knapp vorbei ist auch daneben“. Eigentlich sollte es im Sommer 1992 auf den Markt kommen, doch im Frühjahr beschloss die Redaktion überraschend eine Pause für die „Lucky Luke“-Taschenbuchreihe. Letztendlich wurde der Comicroman überhaupt nicht mehr veröffentlicht, weil es unter dem neuen Verleger zu einer partiellen Neuausrichtung bei Bastei kam, bei der Comics kaum mehr eine Rolle spielten. 

Zwischen Mai und November 1991 erschienen insgesamt drei „Lucky Luke“-Taschenbücher. Der Hauptgrund für die Unterbrechung der Reihe war, dass man sich bei Bastei auf ein viel ambitionierteres Projekt konzentrierte: Einer Kooperation mit Morris. Deren Zielsetzung war nichts Geringeres, als die Veröffentlichung neuer „Lucky Luke“-Comics unter dem Label von Bastei. Im Frühsommer 1992 teilte mir Werner Geismar die Sensation mit: Bastei plante die Herausgabe einer monatlichen Heftreihe mit neuen „Lucky Luke“-Comics. Er fragte, ob ich die Skripte inklusive der Sprechblasentexte schreiben wolle. Natürlich wollte ich nichts lieber als das, äußerte allerdings Zweifel an der Realisierbarkeit des Projektes. Ein solches Konkurrenzprodukt zu seinen „Lucky Luke“-Alben würde dem Ehapa Verlag vermutlich gar nicht schmecken. Worauf der Chefredakteur meinte, ich solle mir deswegen keinen Kopf machen; das werde mit Morris und der Lizenzagentur Fuchs geklärt.

Auf je einer Taschenbuchseite gibt es ein bis zwei Illustrationen mit großen Sprechblasen (den „Balloons“, daher die verlagsinterne Bezeichnung „Balloon-Books“ für die Reihe) meist mit relativ viel Text.
Artwork: Morris
Copyright © Bastei Verlag, Éditions Dargaud
Quelle: „Bastei Freunde“-Magazin # 46
Bild-Scan: Thomas Opitz

Aufhänger für die Heftreihe war die Ausstrahlung einer „Lucky Luke“-Trickfilmserie im deutschen Fernsehen. Die erste Staffel war bereits 1985 von der ARD gesendet worden. Die zweite Staffel sollte von Juni 1992 bis Juni 1993 bei RTLplus jeweils samstagvormittags gezeigt werden. Das Zeitfenster war zwar knapp, jedoch unter normalen Umständen wäre das erste „Lucky Luke“-Heft eigentlich im August 1992 auf dem Markt gewesen. Nur leider waren die Umstände nicht normal. Ich weiß nicht, welche rechtlichen Hürden noch überwunden werden mussten, aber das Ganze zog sich bis zum Spätsommer. Als die Rechtslage geklärt schien, tauchte ein anderes Problem auf, das das Projekt verzögerte. Bei meinen Geschichten für die Balloon Books hatte ich in Bezug auf Handlung und Personen vollkommen freie Hand. Anders bei den geplanten Comics. Hier forderte Morris die absolute Kontrolle über den Inhalt der Storys. Er bestand darauf, dass diese von Autoren seiner Wahl aus Frankreich und/oder Belgien geschrieben wurden. Dem wollte Bastei auf keinen Fall zustimmen. Die franko-belgischen „Lucky Luke“-Autoren waren es gewohnt, 46 Seiten pro Jahr für ein Album zu verfassen. Für Bastei hätten sie pro Monat Skripte für 24 Seiten produzieren müssen. Dieses Risiko schätzte die Jugendredaktion als zu groß ein.

Die Bedenken waren nicht unberechtigt. Negative Erfahrungen mit Comicschaffenden aus Frankreich und ihrer gewissen Lockerheit Deadlines gegenüber hatte Jahre zuvor der deutsche Koralle Verlag bei seinem internationalen Magazin „Super As“ machen müssen. Von termingerechter Abgabe hielten einige Künstler nicht viel, was kontinuierliche Fortsetzungen erschwerte und letztendlich mit zum Scheitern des Koralle-Projektes führte. Ich wurde über die Diskussionen zwischen Bastei und Morris nicht in Kenntnis gesetzt, aber hinter den Kulissen gab es offenbar ein ziemliches Hin und Her. Die Korrespondenz lief über die Agentur Fuchs und zog sich zäh hin. Inzwischen wurde „Lucky Luke“ bereits im Fernsehen ausgestrahlt und immer noch war keine Lösung in Sicht.

Es war nicht so, dass ich in der Zeit vor Langeweile Däumchen drehte. Obwohl die Comicproduktion bei Bastei nicht mehr das Volumen wie in den 1970er und 1980er Jahren besaß, hatte ich trotzdem eine Menge zu tun. Andererseits konnte ich es kaum erwarten, mit „Lucky Luke“ loszulegen. Irgendwann hatte ich von der Verzögerung genug. Ich schlug Werner Geismar vor, die Skripte für das erste „Lucky Luke“ auf mein eigenes Risiko zu schreiben. Meine Drehbücher würden dann auf Französisch übersetzt an Morris weitergeleitet. Der könne dann anhand meiner Geschichten entscheiden, ob er mir die Serie anvertraute oder eben nicht. Werner Geismar fand die Idee gut und unterbreitete Morris den Vorschlag. Etwas widerwillig akzeptierte er das Angebot. Also konzipierte ich die Comics für das erste Heft. Die Redaktion machte dafür zwei Vorgaben. Da man die Trickfilm-Zuschauer als Zielgruppe anvisierte, sollten erstens die Geschichten auf eine jüngere Leserschaft zugeschnitten sein als bei den „Lucky Luke“-Alben. Zweitens musste ich mir einige Magazinseiten ohne Comics einfallen lassen, damit sich das Produkt formal weiter von den Alben abhob.

Im November 1991 publizierte „Bastei“ das letzte „Lucky Luke“-Buch unter dem Titel „Rhapsodie in Blei“.
Cover Artwork: Morris
Copyright © Bastei Verlag, Éditions Dargaud

Zu dieser Zeit rief Frau Strothteicher, die für „Lucky Luke“ zuständige Redakteurin, täglich an. Sie wollte wissen, wie es mit der Arbeit voranging. Zwar sprach es niemand in der Redaktion aus, doch war die Spannung enorm. Wenn Morris meine Geschichten ablehnte und die von ihm ausgesuchten franko-belgischen Autoren ihre Abgabetermine nicht einhalten würden, konnte das Magazin nicht gedruckt und ausgeliefert werden. Was für Bastei jedes Mal mit hohen Konventionalstrafen an die Druckerei und den Vertrieb verbunden gewesen wäre. Das wiederum hätte möglicherweise die Einstellung der Serie bedeutet. Im Laufe der Jahre hatte ich gelernt, mit neuen Herausforderungen und knappen Deadlines umzugehen, aber bei „Lucky Luke“ geriet ich schon ein wenig unter Druck. Schließlich war das nicht irgendeine Serie, sondern ein Comic der europäischen Spitzenklasse. Die Vorstellung, dass Morris meine Skripte lesen und bewerten würde, sorgte beim Schreiben jedenfalls für einen leicht erhöhten Puls. Andererseits, was hatte ich schon groß zu verlieren? Außer einer Chance, wie man sie als Comicautor vermutlich nur einmal im Leben bekam. Wegen der anderen Serien, die ich für Bastei schrieb, blieben mir für ein monatlich erscheinendes „Lucky Luke“-Heft bloß fünf, in Ausnahmefällen sieben Tage. Das beinhaltete das Erfinden der Geschichten, Ausarbeiten dieser Ideen zu Exposés, nach deren Freigabe das Anfertigen der Skripte mit den Bildbeschreibungen für den Zeichner und zum Schluss das Texten der Dialoge für die Sprechblasen. Wäre damals wahrscheinlich ein denkbar ungünstiger Moment gewesen, sich den Luxus einer Schreibblockade zu leisten.

Ein „Lucky Luke“-Heft bestand zumeist aus einer zwölfseitigen Hauptstory, einem sechsseitigen plus einem zweiseitigen Comic und mehreren Onepagern. Meinen ersten „Lucky Luke“-Comic widmete ich den Daltons und einem ihrer unzähligen gescheiterten Gefängnisausbrüche. Den Mittelteil des Heftes bildete eine Doppelseite mit einem Poster. Nach mehreren Onepagern folgte dann die zweite längere Geschichte, in der ein Häuptling Lucky Luke um Hilfe bittet, weil sein Sohn sich mehr für Bücher als die Sitten und Gebräuche eines echten Kriegers interessiert. Inhaltlich versuchte ich die Geschichten in der Tradition von Goscinny zu schreiben. Später ließ ich auch mehrere seiner großartigen Charaktere – wie z.B. Roy Bean und Billy the Kid – erneut auftreten.

Die Exposés für das erste Heft sandte ich an die Redaktion. Bei anderen Serien dauerte es bis zum Feedback meist mehrere Tage. Diesmal kam die Antwort in Rekordzeit. Meine Exposés müssen kaum den Schreibtisch von Frau Strothteicher berührt haben, da rief die Redakteurin an, ich solle die Skripte schnellstmöglich fertigstellen. Weder bei diesen noch späteren „Lucky Luke“-Exposés gab es irgendwelche Korrekturwünsche seitens der Redaktion. Mich beschlich der Eindruck, als rangierte das intern unter dem Motto: Wir halten uns aus den Geschichten raus. Sollte uns Morris die Storys um die Ohren hauen, haben wir nichts damit zu tun und der Autor kriegt allein eins auf die Mütze. Meine Skripte wurden übersetzt und an die Agentur Fuchs nach Stuttgart geschickt. Von dort leitete man sie an Morris weiter. In der Zwischenzeit dachte ich mir etwas für den geplanten Magazinteil in den Heften aus. Das Ergebnis war eine Doppelseite mit „Averells Tagebuch“. Man darf zwar davon ausgehen, dass der gute Averell aufgrund seines etwas limitierten Intellekts weder lesen noch schreiben konnte, aber ich fand es amüsant, ihn sein Leben aus seiner Sicht erzählen zu lassen.

Im Mai 1993 erschien das erste „Lucky Luke“-Heft aus dem Bastei Verlag. Laut Alexander Ortega, Sohn des Studioleiters José Ortega Bassols, wurden die „Lucky Luke“-Comics für Bastei von den Künstlern Bernardo (bzw. Bernat) Serrat und Angel Garcia Del Arbol angefertigt.
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Nach etwa zwei Wochen erhielt Bastei das Feedback von Morris. Mental hatte ich mich auf eine Absage eingestellt, doch zu meiner Erleichterung erteilte er grünes Licht für die Geschichten. Bei sämtlichen nachfolgenden „Lucky Luke“-Geschichten lief das Procedere genauso ab. Morris prüfte jedes meiner Skripte persönlich. Deshalb handelt es sich bei den „Lucky Luke“-Heften um keine übliche Bastei-Produktion, sondern um eine Veröffentlichung von Morris autorisierter Geschichten. Ich habe von seinen Feedbacks an den Verlag kaum etwas mitbekommen. Lediglich, dass er keine einzige Geschichte von mir abgelehnt hat. Laut Werner Geismar hat sich Morris einmal direkt bei Bastei gemeldet und sich lobend über meine „Lucky Luke“-Storys geäußert. Allerdings wollte er nicht glauben, dass ein einziger Autor in vier Wochen die Geschichten für ein komplettes Heft schreiben konnte. Dass ich neben „Lucky Luke“ jeden Monat auch noch etliche andere Comics verfasste, hat Werner Geismar ihm daraufhin lieber nicht gesagt.

Die Auswahl der geeigneten Zeichner ging ähnlich vonstatten wie bei mir. Ursprünglich beabsichtigte Morris die Comics von belgischen oder französischen Künstlern umsetzen lassen. Das war Bastei aus den oben genannten Gründen zu risikobehaftet. Während ich mit den Skripten beschäftigt war, hatte Werner Geismar seine Fühler bereits nach geeigneten Illustratoren ausgestreckt und war bei dem spanischen Studio Ortega fündig geworden. Bernardo Serrat und Angel Garcia Del Arbol hießen die beiden renommierten Zeichner aus Spanien. Arbol hatte unter anderem Disney- und „Tom & Jerry“-Comics gezeichnet. Leider ist er am 18. Januar 2019 in Barcelona verstorben. Von Bernardo Serrat stammen Disney-Comics für Egmont in Dänemark und den italienischen Verlag Mondadori. Im Herbst 1993 lernte ich ihn auf der Frankfurter Buchmesse kennen. Er war dort in Begleitung von José Ortega, Chef des Zeichenstudios Ortega.

Morris war mit den Probearbeiten der beiden Spanier äußerst zufrieden. De facto bedeutete das, dass Morris mit Bastei jetzt quasi ein weiteres Studio an der Hand hatte, das „Lucky Luke“-Comics produzierte. In seinem eigenen Studio lief die Arbeit an den Alben genauso ab wie für die Comichefte bei Bastei: Er war der federführende Kopf des Ganzen und beaufsichtigte ein Team aus Autoren und Zeichnern.

Im Mai 1993 erblickte endlich das erste „Lucky Luke“-Heft das Licht der Medienwelt. Nachdem die Comics am deutschen Markt gut abschnitten, kontaktierte Morris eine Reihe internationaler Verlage, um die Heftreihe als Lizenz auch im europäischen Ausland publizieren zu lassen. Davon und dass meine „Lucky Luke“-Comics auch in den Niederlanden, Belgien, Frankreich und möglicherweise einigen anderen Ländern veröffentlicht wurden, habe ich erst viele Jahre später erfahren. In den meisten Ländern wurde Morris in den Heften als Autor aufgeführt. Was ich einerseits als schmeichelhaft empfand, andererseits wäre es ganz nett gewesen, wenn ich ebenfalls Erwähnung gefunden hätte. In Bezug auf Credits war Bastei nie sehr freigiebig gewesen. Oft wurden die Zeichner und noch öfter die Autoren nicht genannt. Bei „Lucky Luke“ hatte ich im Vorfeld darauf bestanden, dass man mich als Autor nennt. In der Hoffnung, so zumindest ein kleines Stückchen vom internationalen Ruhm zu ernten.

In einer der Geschichten bittet ein Häuptling Lucky Luke um Hilfe, weil sein Sohn sich mehr für Bücher als die Sitten und Gebräuche eines echten Kriegers interessiert.
Artwork: Bernardo Serrat oder Angel Garcia Del Arbol
Copyright © Bastei Verlag, Éditions Dargaud

Zwar hielt sich Bastei an die Absprache, druckte meinen Namen aber nur im Impressum als „Deutsche Bearbeitung: Peter Mennigen“. Was man auch so interpretieren konnte, dass ich bloß eine bereits existierende Vorlage ins Deutsche übersetzt hätte. Lediglich die Franzosen verhielten sich korrekt und führten mich im Impressum als Verfasser der Comics auf. In Frankreich erschienen außer acht „Lucky Luke“-Heften im Jahr 1995 auch drei Hardcoveralben. Sie enthielten eine Auswahl der „Lucky Luke“-Comics von Bastei. Bei den Credits heißt es in den Alben „Texte und Zeichnungen von Morris“ statt von mir. In Griechenland wurden ebenfalls drei Hardcoveralben mit Bastei-Geschichten publiziert und in die Dargaud-Albenreihe als Nummer 66, 17 und 69 integriert.

Zurück ins Jahr 1994: Nachdem über ein Dutzend „Lucky Luke“-Hefte auf dem Markt und die Verkaufszahlen unverändert gut waren, schlug ich Werner Geismar bei einem Besuch in der Redaktion ein Spin-off zu der Serie vor. Ein alle drei bis vier Monate erscheinendes Comicheft namens „Rantanplan“. Er fand die Idee gut und beauftragte mich, ein Konzept plus einige Skripte auszuarbeiten. Was ich umgehend tat, ohne zu ahnen, dass der einsame Cowboy etwa zwei Monate später zum letzten Mal in einer meiner Geschichten dem Sonnenuntergang entgegenritt.

Ich war an jenem Tag zufällig im Verlag, als Frau Strothteicher aus einer Redaktionssitzung kam und mir mitteilte, dass „Lucky Luke“ eingestellt würde. Die Entscheidung traf sämtliche Redakteure völlig überraschend. Besonders die Begründung für die Einstellung gab später noch hinreichend Anlass für Spekulationen. Denn wie es aussah, waren die Verkäufe von Heft #14 zu Heft #15 in astronomische Tiefen gestürzt. Die Konsequenz war, dass die Serie auf der Stelle eingestellt wurde. Dass eine Comicserie nach vierzehn Ausgaben mit stabil guten Auflagen von einem Heft auf das andere derartig abgestürzt sein sollte, kam nicht nur mir äußerst seltsam vor. An jenem Tag wurden neben „Lucky Luke“ fast sämtliche anderen Comicreihen der Bastei Jugendredaktion eingestellt. Von einem Redakteur, der es wissen musste, wurde mir zugetragen, dass der Großteil der letzten „Lucky Luke“-Ausgabe gar nicht ausgeliefert, sondern vom Lager direkt geschreddert worden war. Es wurde gemunkelt, dass der neue Geschäftsführer des Verlages die Einstellung forciert hatte, um die Auflösung der von ihm ungeliebten Jugendredaktion zu legitimieren.

Im Juli 1994 endete meine Begegnung mit dem „einsamen Cowboy“. Nach 74 Comics mit 372 Seiten in 15 Heften trennten sich unsere Wege. Lucky Luke reitet weiter von Sonnenuntergang zu Sonnenuntergang neuen Heldentaten entgegen. Es war mir eine Freude und Ehre ihn auf seinem Ritt durch die Prärie ein Stück weit begleiten zu dürfen.

Eine Werbeanzeige für das neue „Lucky Luke“-Heft von Bastei.
Copyright © Bastei Verlag, Éditions Dargaud


Im fünften Heft ist Lucky Luke erneut im Auftrag der US Regierung unterwegs. Und zwar als Personenschützer für einen englischen Thronfolger, der einen Bären jagen will. SPOILERWARNUNG: Dem Teddy passiert nichts!
Artwork: Bernardo Serrat oder Angel Garcia Del Arbol
Copyright © Bastei Verlag, Éditions Dargaud


Im siebten Heft wird es ein bisschen surreal. Kurz nach seinem Gefängnisausbruch fällt Joe Dalton in die Hände einer wohlhabenden Dame, die ihn für ihren Sohn hält. Im Verlauf der Story zeigt sich, wie eng Himmel und Hölle beieinander liegen.
Artwork: Bernardo Serrat oder Angel Garcia Del Arbol
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In der 9. Ausgabe gibt es ein Wiedersehen mit Billy the Kid.
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Aufgrund eines klitzekleinen Missverständnisses erlangt Billy the Kid unverhofft seine Freiheit wieder.
Artwork: Bernardo Serrat oder Angel Garcia Del Arbol
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In Heft #11 werden wir Zeugen einer denkwürdigen Begegnung zwischen Lucky Luke und dem pathologisch abergläubischen Fortkommandanten Firefly.
Artwork: Bernardo Serrat oder Angel Garcia Del Arbol
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Ein weiterer alter Bekannter aus den Goscinny-Zeiten: Richter Roy Bean und seine etwas gewöhnungsbedürftige Rechtsprechung.
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Links die Introseite des Heftes, rechts eine Seite aus „Averells Tagebuch“.
Copyright © Bastei Verlag, Éditions Dargaud


Ein Großteil der „Lucky Luke“ Comics aus dem „Bastei“ Verlag erschien – als Comichefte und Hardcoveralben – im europäischen Ausland. Von links nach rechts: Deutschland, ehemaliges Jugoslawien, Griechenland und die Niederlande.
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Von links nach rechts: Deutschland, Frankreich, Griechenland, Niederlande
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Die Seite links stammt aus der deutschen Ausgabe von Bastei, die Seite rechts ist aus einem in Frankreich veröffentlichten Album.
Artwork: Bernardo Serrat oder Angel Garcia Del Arbol
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