Bereits 1976 ließen Morris und Goscinny ihren einsamen Cowboy auf den „Kaiser von Amerika“ treffen. In Zeiten, in denen US-Präsident Donald Trump die Armee gegen die eigenen Bürger einsetzt und obskure Militärparaden abhält, wird der Lucky-Luke-Band zu einer brisanten (Re-)Lektüre.
Manchmal kommt die Comic-Fiktion der Realität so nahe, dass man bloß noch so verdutzt in die Welt schauen kann wie bisweilen Jolly Jumper. In Zeiten des Trump-Autoritarismus gilt das besonders für den Lucky-Luke-Band „Der Kaiser von Amerika“: Der Viehzüchter Dean Smith hat im Wilden Westen so viel Geld verdient, dass er „darüber den Verstand verloren hat“. Er hält sich für den Kaiser von Amerika, wettert gegen den „Usurpator“ Ulysses S. Grant im fernen Washington (der ja in Wahrheit der demokratisch gewählte US-Präsident ist), erlässt ein autokratisches Dekret nach dem anderen und umgibt sich auf seiner palastartigen Ranch außerhalb der Kleinstadt Grass Town „mit einem ziemlich grotesken Prunk“. Die Bürger von Grass Town halten den Wild-West-Napoleon für vollkommen harmlos, für einen „dieser bunten Hunde, die der Geschichte unseres Wilden Westens die Würze geben“. Sie spielen das Spiel mit, schreiben an Kaiser Smith Depeschen, unterzeichnet mit den Namen europäischer Monarchen, und drucken die kaiserlichen Proklamationen in der örtlichen Zeitung ab.
So entspannt mit monarchistischen Exzentrikern umgehen zu können, scheint erst einmal Ausdruck eines besonderen republikanischen Selbstbewusstseins zu sein. Ausdruck eines soliden demokratischen Stolzes auf die Gründungsmomente der Vereinigten Staaten: die Loslösung vom Vaterland England, die konsequente Abschaffung des monarchischen Prinzips, die demokratische Selbstermächtigung der ehemaligen Kolonien.
Für Lucky Luke ist dieses demokratische Urvertrauen etwas zu entspannt. Er geht der Sache auf den Grund und entdeckt, dass der monarchische Größenwahn von Dean Smith sich nicht nur den höfischen Prunk europäischer Königshäuser in den Wilden Westen geholt hat, sondern auch eine beeindruckende Privatarmee – denn „es gibt ja kein Gesetz in Texas, das es einem Mann verbietet Waffen zu besitzen, sogar Kanonen“. Und natürlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis der selbsternannte Kaiser seine militärische Macht gegen die eigenen Bürger einsetzt. Wie Donald Trump die Nationalgarde in Kalifornien – so drängt sich der historische Reim auf die protofaschistische Gegenwart der USA geradezu auf. Und was den Lucky-Luke-Band „Der Kaiser von Amerika“ so gegenwärtig macht, sind die sozialen Details dieser politischen Fabel.
Fast verbittert registriert Lucky Luke, wie blind seine Mitbürger für die inneren Gefahren für die Demokratie sind. „Er spielt gern Krieg, das ist alles. Der ist ungefährlich.“ Das behauptet der Sheriff über den selbsternannten Monarchen. Und es ist nur ein kleiner Schritt von der Verharmlosung zur Unterwerfung. Im Angesicht der schieren Macht fallen die Stützen der Gesellschaft schnell um: Der Sheriff lässt sich zum Polizeiminister seiner Majestät ernennen, ebenso wie der Herausgeber der Zeitung zum Informationsminister. Nur der Richter bleibt standhaft und wird dafür in einem Schnellverfahren wegen Hochverrats verurteilt, das mit Rechtsstaatlichkeit nicht das Geringste zu tun hat. Verachtung für eine unabhängige Justiz; Wirtschaftsbosse, die sich dem neuen US-Präsidenten an den Hals werfen und progressive Diversitätsprogramme in ihren Unternehmen auf Eis legen – da sind sie wieder: unheimliche Assoziationen zwischen Gegenwart und Comicgeschichte.
Sie werden einen umso düsterer stimmen, wenn man den historischen Hintergrund bedenkt, vor dem Morris und Goscinny ihren Comic geschrieben haben. Denn den „Kaiser von Amerika“ gab es wirklich. Joshua A. Norton war ein aus England stammender Geschäftsmann, der in San Francisco allerdings pleiteging. Ganz ohne gesellschaftliche Macht ernannte er sich 1859 zu Norton I., Kaiser der Vereinigten Staaten. Und die Stadtgesellschaft von San Francisco erfreute sich jahrelang am humorvollen und exzentrischen Auftreten des Wirrkopfes, der sogar positiv gewirkt haben soll. Bei rassistischen Ausschreitungen gegen Chinesen in San Francisco soll Norton I. einmal einem wütenden Mob Einhalt geboten haben. Morris und Goscinny schreiben in ihrem Nachwort: „Er war ein höflicher und gutmütiger Mann, und als er 1880 starb, nahmen mehr als 10.000 Personen an seinem Begräbnis teil.“ Was für ein Gegensatz zum Donald Trump des Jahres 2025, dessen realer Autoritarismus noch die beunruhigenden Wendungen übersteigt, die Morris und Goscinny ihrer politischen Fabel über den „Kaiser von Amerika“ gegeben haben.
Der bitterste Aspekt im Abgleich von Realität und Comic-Fiktion ist aber: Morris und Goscinny haben immer noch ihren einsamen Cowboy, der einem einsamen Richter hilft, dass die Demokratie nicht vor die Hunde geht. Aber gerade der europäische Comic-Blick weiß: Kein Bernie Sanders oder Robert De Niro wird die amerikanische Demokratie im Alleingang retten. Demokratische Institutionen funktionieren nur, wenn sie aus der Mitte der Gesellschaft mit Leben erfüllt werden. Sind sie in Gefahr, kommt es darauf an, dass die sonst so schweigsame Mehrheit für die Demokratie ihre Stimme erhebt. Die Hoffnung auf den rettenden Helden ist keine reale demokratische Option. Lucky Luke weiß das, und das erklärt den ernüchterten und ernüchternden Unterton des Bandes „Der Kaiser von Amerika“. Ebenso wie seine beunruhigende Aktualität.
René Goscinny (Autor), Morris (Zeichner): Lucky Luke Band 57: Der Kaiser von Amerika • Aus dem Französischen von Gudrun Penndorf • Egmont Comic Collection, Berlin 2014 • 48 Seiten • 7,99 Euro (SC), 14,00 Euro (HC)
Max Bauer ist Redakteur in der ARD-Rechtsredaktion und berichtet u.a. vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Außerdem rezensiert er Comics für SWR Kultur.
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