Der Dandy muss ins Bett

Paris, 31. August 1867. Die Beerdigung von Charles Baudelaire. Zu Lebzeiten ein halbwegs bekannter Dichter und Schriftsteller. Abseits der überschaubaren Trauergemeinde steht eine Frau, ärmlich und krank aussehend. Niemand der Trauergäste beachtet sie, doch ist sie den meisten, darunter der Mutter Baudelaires, die ihren Sohn um vier Jahre überleben sollte, nur allzu gut bekannt. Denn bei der bedauernswerten Gestalt handelt es sich um Jeanne Duval, zwei Jahrzehnte lang Muse und Geliebte Baudelaires. Sie schreibt danach einen Brief an die Mutter und schildert ihr darin – und damit auch uns – die Geschichte ihrer turbulenten, romantischen und letztlich auch selbstzerstörerischen Beziehung.

Yslaire: „Mademoiselle Baudelaire“.
Aus dem Französischen von Tanja Krämling. Splitter Verlag, Bielefeld 2021. 160 Seiten. 39,80 Euro

Charles Baudelaire wurde 1821 in Paris geboren. Sein Vater starb früh. Gegenüber dem neuen Mann seiner Mutter, einem Offizier, empfand er stets größte Abneigung. 1842 begegnet er erstmals Jeanne, die eine kleine Rollen im Theater spielt. Sofort vernarrt er sich in die Frau aus Haiti – bis heute ist unklar, wann genau sie geboren wurde, ob Duval ihr richtiger Name war und auch das Datum ihres Todes ist nicht gesichert. Allseits wird sie wegen ihrer dunklen Haut als „Mulattin“ verhöhnt, Baudelaires Freunde aus der Kunstszene treten ihr, der „schwarzen Venus“, offen rassistisch gegenüberr und betrachten die beiden als Hure und Zuhälter.

Der belgische Autor und Zeichner Yslaire (d. i. Bernard Hislaire), bekannt durch seinen Dauerbrenner „Sambre“, den er seit 1986 zeichnet und später auch schreibt, stellt in diesem 160-seitigen Band die Beziehung Baudelaires und Jeannes in den Mittelpunkt. Natürlich werden die wichtigsten Eckdaten des Lebens des Autors von „Die Blumen des Bösen“ eingebunden, ebenso historische Ereignisse wie die Februarrevolution von 1848. Baudelaire tritt als Lebemann auf, lässt sich von der Bohème beeinflussen und leiten, so gibt er später den Dandy und während der Revolution den einfachen Arbeiter. Immer unstet, immer unzufrieden. Und immer lebt er über seine Verhältnisse, verschuldet sich, veröffentlicht selten Gedichte, die er im Kreise seiner Künstler-Freunde gerne rezitiert.

Die Beziehung zu Jeanne ist elektrisierend, mit ihrer offenen Sexualität pfeift sie auf gesellschaftliche Normen. Er widmet ihr erste Gedichte, lässt sich inspirieren. Später, wenn die beiden unter einem Dach wohnen, gibt es immer wieder Streitereien, die in offener Feindseligkeit münden. Als Chales endlich seine Gedichtsammlung „Die Blumen des Bösen“ veröffenticht, muss gleich darauf miterleben, dass sechs Gedichte daraus verboten werden (übrigens bis 1949).

Yslaire gestaltet sein Werk in seinem typischen Stil, der auch „Sambre“ auszeichnet: weiche Zeichnungen in monochromen Farbtönen, kein einfaches Schwarz-Weiß, dazwischen immer wieder Farbakzente. Dazu erotische Episoden, ganzseitige gespenstische Collagen, Sinnbilder, in denen Baudelaire Jeanne geradezu transzendiert. Sein künstlerisches Schaffen tritt in den Hintergrund, nur Edgar Allan Poe, dessen Werke er ins Französische übertragen hat, wird in einer frühen Passage von Yslaire antizipiert, als er den jungen Baudelaire das Krächzen eines Raben als „Nimmermehr/Nevermore“ interpretieren lässt. Später zitiert Yslaire Spitzwegs Gemälde des armen Poeten, das einmal mehr die verzweifelte Lage Baudelaires veranschaulicht.

Charles Baudelaire ist einer jener tragischen Dichter und Schriftsteller, die ihren Ruhm nicht zu Lebzeiten erfuhren. Sein selbstzerstörerisches Dasein wurde in weiten Teilen begleitet von Jeanne. Am Ende des kunstvollen Bandes, der manche Gelegenheits-Comicleser überfordern mag, wird es ruhiger. Charles und Jeanne sind sichtlich gealtert, gezeichnet vom Leben und ihrer Beziehung. Vielleicht auch etwas weiser. Und am Schluss setzt es eine leise, beinahe versöhnliche Pointe.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.

Seite aus „Mademoiselle Baudelaire“ (Splitter Verlag)