Verbot von Holocaust-Comic „Maus“ an US-Schulen löst Kontroverse aus

Bild aus Art Spiegelmans "Maus" (Fischer Verlag)

Es brach ein kleiner Sturm aus, als ein Schulbezirk im US-Bundesstaat Tennessee vor kurzem entschied, Art Spiegelmans Graphic Novel „Maus“ aus dem Lehrplan der letzten Klasse der Unterstufen und somit aus den Schulbibliotheken zu entfernen. Im Fahrwasser der folgenden Debatte, die vor allem in den US-Medien ausgetragen wurde und sich darum drehte, welche Bücher unterrichtet werden sollten, stolperte zuletzt Schauspielerin und Talkmasterin Whoopi Goldberg über unqualifizierte Aussagen zum Thema.

© Fischer Verlag

Dabei wirkt die ganze Chose ein wenig wie ein Déjà-vu. Denn schon kurz nach Erscheinen Ende der 1980er-Jahre sorgte „Maus. Die Geschichte eines Überlebenden“ für eine heftige Kontroverse. Dass Spiegelman sich in dem zweiteiligen Werk, in dem er die Holocaust-Erfahrungen seines Vaters aufarbeitete, erlaubt hatte, Juden mit Mäuse- und Nazis mit Katzen-Köpfen zu zeichnen, wurde mehr diskutiert als die meisterhafte Verwebung einer Familien- mit der Weltgeschichte. Insbesondere nach der Erstveröffentlichung in Deutschland 1989 kam es zu heftigen Reaktionen – zu tief war verankert, dass der Comic ein „triviales“, rein der Unterhaltung dienendes Medium sei, in dem überhaupt keine adäquate Darstellung des Holocaust möglich wäre.

„Obszönitäten und Nacktheit“

Allen Kritiken zum Trotz erhielt „Maus“ 1992 als erstes Comic überhaupt einen Pulitzerpreis. Genau 30 Jahre später votierte nun die Schulbehörde von McMinn County, etwa 240 Kilometer von Nashville entfernt, in einem einstimmigen Votum dafür, die Graphic Novel als Lehrmittel zu entfernen. Die Begründung: „Unnütze Verwendung von Obszönität und Nacktheit sowie die Darstellung von Gewalt und Suizid“, was für die Altersgruppe nicht angemessen sei. Moniert wurden auch die Thematisierung von vorehelichem Sex und „acht Schimpfworte“.

Art Spiegelman, 73, zeigte sich in einem CNN-Interview „verblüfft“ über die „kurzsichtige“ Entscheidung. Die einzige Nacktdarstellung betreffe eine kleine Illustration, die zeigt, wie seine Mutter in der Badewanne gefunden wurde, als sie sich zwei Jahrzehnte nach dem Krieg das Leben genommen hatte. Das Vorgehen der Schulbehörde stehe für ein „größeres Problem“ in den USA.

Er sehe zwar keine Hinweise auf einen antisemitischen Hintergrund, sagte Spiegelman. Der Verbannung hafte aber ein „Hauch von Autokratie und Faschismus“ an. Auch jüdische Verbände kritisierten die Entscheidung des Schulbezirks scharf. „Angesichts der ausgeprägten Wissenslücken vor allem junger Amerikaner über den Holocaust“ sei die Entscheidung „völlig unverständlich“, sagte der Vorsitzende des American Jewish Committee, David Harris.

Wegweisendes Werk

Seite aus Art Spiegelmans „Maus“ (Fischer Verlag)

„Maus“ wird seit langer Zeit an vielen Schulen im Geschichtsunterricht eingesetzt. Es gilt in mehrerlei Hinsicht als wegweisend: Es läutete einerseits eine breite Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen und historischen Themen im Comicformat ein und war ein Wendepunkt für das Genre der autobiografischen, dokumentarischen Graphic Novels. Nicht zuletzt aufgrund der Wogen, die es in der Öffentlichkeit schlug, und des internationalen Erfolgs war „Maus“ wesentlich daran beteiligt, dass sich das Medium immer mehr als ernstzunehmende, auch aufklärerische Literatur etablieren konnte.

Spiegelman, der in den 80ern gemeinsam mit seiner späteren Frau Françoise Mouly das legendäre Underground-Comix-Magazin „RAW“ herausgab – wo auch die ersten „Maus“-Episoden erschienen – und später unter anderem mit der 9/11-Graphic-Novel „Im Schatten keiner Türme“ Aufsehen erregte, beeinflusste eine ganze Generation von Comicschaffenden.

Bücherverbote

Die nunmehrige Debatte steht in einer Reihe mit zum Teil heftigen Auseinandersetzungen darüber, welche Inhalte und Bücher auf den Lehrplan gehören. Im Zentrum stehen dabei oftmals Bücher, die sich aus der Sicht von Minderheiten mit historischen Themen befassen.

So setzten sich im vergangenen Jahr etwa Eltern im Bundesstaat Virginia dafür ein, den Sklaverei-Roman „Menschenkind“ der schwarzen Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison aus dem Lehrplan zu streichen. In Pennsylvania kämpften im vergangenen Oktober Schüler darum, ein Verbot von Büchern über den Anti-Apartheid-Kämpfer Nelson Mandela und die pakistanische Aktivistin Malala Yousafzai rückgängig zu machen.

Das Vorgehen gegen solche Bücher geht meist von Konservativen aus. In jüngerer Zeit beschlossen einige Schulen auf Druck von Anti-Rassismus-Aktivisten aber auch das Streichen von Klassikern wie „Wer die Nachtigall stört“ oder „Huckleberry Finn“ aus dem Lehrplan mit der Begründung, dass darin afroamerikanische Figuren negativ dargestellt würden.

Im Fall von „Maus“ haben sich jedenfalls bereits einige Gegeninitiativen formiert. So hat das Geschäft Nirvana Comics in Knoxville eine Fundraising-Kampagne gestartet, um Schülerinnen und Schüler mit „Maus“-Exemplaren zu versorgen, und damit in kürzester Zeit mehr als 100.000 Dollar gesammelt. Das Buch sollte Pflichtlektüre für jeden sein, hieß es vonseiten des Betreibers.

Politische Cartoonisten wiederum verteidigen Spiegelman, indem sie die Causa selbst zum Inhalt einer Reihe von spöttischen Cartoons machten. Immerhin kommt „Maus“ auch im Zuge der aktuellen Kontroverse wieder einmal die Aufmerksamkeit zu, die ihm gebührt.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 04.02.2022 auf dem Standard-Comicblog Pictotop.

Hier gibt Ole Frahm Deutschlandfunk Kultur ein Interview zur Sache.

Karin Krichmayr arbeitet als Wissenschaftsredakteurin für Der Standard. Außerdem betreibt sie für die österreichische Tageszeitung den Comicblog Pictotop.