„Wenn man alles gerecht teilen würde, wäre genug für alle da“

mawil hase schreibtischMarkus „Mawil“ Witzel, geboren 1976 in Ostberlin, ist Comiczeichner. Er gehört zu einer Gruppe von ComiczeichnerInnen, die sich auf dem Blog „Bildkorrektur“ (hier wurde das Projekt kurz vorgestellt) zusammengetan haben, „um die Top 15 der Besorgten-Bürger-Ängste zu illustrieren – und mit Fakten zu entkräften.“

Sven Jachmann: An dem Blog „Bildkorrektur“ sind 15 ComiczeichnerInnen beteiligt, außerdem der Journalist und Fluter-Autor Felix Denk, der Text und Recherche übernommen hat. Gab es konkrete Ereignisse, die zur Gründung des Blogs geführt haben?

Mawil: Die Ereignisse nahmen generell immer mehr Fahrt an, da gab es keinen konkreten Anlass – aber zum Glück eine konkrete Kollegin, die Alex Klobouk. Die hat uns angestoßen und wir dann wiederum weitere Zeichner. Das ganze Konzept, also ob und wie man das überhaupt aufziehen kann, haben wir dann gemeinsam entwickelt.

Wie muss man sich die Themenverteilung untereinander vorstellen? Mit welchen Methoden wurden die „Top 15 der Besorgten-Bürger-Ängste“ zunächst identifiziert?

Diese Topängste standen alle im Raum. Wir haben uns die rausgepickt, die man in den Medien, aber auch im eigenen Umfeld am häufigsten gehört hat. Und dann hat sich jeder das Thema rausgesucht, zu dem er sich selber eine Bildidee zugetraut hat. Das hat teilweise wahnsinnig lange gedauert. Wir haben uns die alle gegenseitig gezeigt und dann musste jeder seinen Senf dazu geben.

Das Projekt erhält enorm viel Presseresonanz, der Tenor scheint durchgehend wohlwollend, sogar die Kommentare auf eurer Facebook-Seite sind vollkommen gesittet. Wie sieht die Reaktion von rechter Seite aus?

Uns war von Anfang an klar, dass wir das nicht für uns zum Sich-gegenseitig-auf-die-Schulter-klopfen machen und auch nicht für die Pegidas, die sich ja auch schon ihre Meinung gebildet haben. Unsere Hoffnung war einfach, dass es zwischen den beiden Lagern noch ein paar Unentschlossene gibt, die wir hoffentlich noch beeinflussen können. Bei Spiegel Online haben sie ja inzwischen bei solchen Themen die Kommentarfunktion ausgeschaltet, auf anderen Seiten standen dann aber schon so Sachen wie: „Diese Künstler kriegen ja in ihren Villen nichts von den Flüchtlingen mit“ oder „Ich wette 50 Euro, dass das von der Regierung bezahlt ist“. Ziemlich lustig, wenn’s nicht so traurig wäre.

tumblr_o0fmsgeiJ01v2jc76o1_r2_1280Der Blog ging kurz nach den Vorfällen in Köln online. Rassismus, Antisemitismus und Ressentiments gegenüber Schwachen und Minderheiten gehören in Deutschland zur Tagesordnung. Seither sind sowohl Diskurs als auch öffentliches Klima noch einmal so massiv nach rechts gerutscht, dass einem angst und bange wird. Wie erklärst du dir diesen Hass, der immer enthemmter zutage tritt?

Das ist jetzt meine eigene Theorie, aber ich denke, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer auseinander klaffen wird. Es gibt nur noch Oben und Unten und kaum noch eine gesunde Mitte. Viele haben Angst, zu den Verlierern zu gehören, hecheln nach oben und treten vor allem nach unten. Dabei wäre, wenn man alles gerecht teilen würde, mehr als genug für alle da.

Aufklärung durch gewitzt aufbereitete Faktenlage, würde ich die Programmatik des Projekts beschreiben. Wenn beispielsweise der Pegida-Wutbürger blökt: „Die Flüchtlinge bringen den Islamismus zu uns“, wird in einer der Illustrationen gekontert: „Nein. Der Islam ist keine gewalttätige Religion. Wie andere Religionen auch predigt er Mitgefühl und Nächstenliebe.“ Wird den das beeindrucken?

Wie gesagt, wir können damit nur Leute zum Nachdenken bewegen, bei denen noch eine Chance besteht, dass sie das Problem vielleicht auch mal aus einem anderen Blickwinkel als bisher betrachten. So was kann manchmal eine politische Karikatur oder ein Tortendiagramm besser als ein langer Text oder eine trockene Zahl.

Der Comic, erst recht der Cartoon, muss visuell pointiert verdichten. Je universeller die Zeichnung, desto breiter das Identifikationsmoment. Stereotype sind dafür ein hilfreiches Instrument. Wie entgeht man dabei beim Zeichnen der Klischeefalle?

Das ist tatsächlich ein Problem. Wir müssen ja auch Klischees benutzen, um Sachen auf den Punkt zu bringen. Wie stellt man z.B. einen Flüchtling dar, ohne ihn als Klischee zu zeichnen? Da muss man sehr vorsichtig sein. Aber wir können natürlich auch gerade mit diesen Klischee in den Köpfen spielen, um die Leser zu überraschen, so wie beim Bildpaar mit dem Koffer oder der Silhouette der Flüchtlingsfamilie.

Welche Vor- und Nachteile besitzt das gezeichnete Bild gegenüber dem analytischen Text? Worin besteht die „Macht des Bildes“, auf die man sich in der Projektbeschreibung bezieht?

Man kann Zusammenhänge auf den Punkt bringen oder aus einem anderen Blickwinkel zeigen. Natürlich muss man dabei auch verallgemeinern oder zusammenfassen. Das ist schwer zu erklären. Am besten ist, ihr guckt euch mal die Bilder an. (lacht)

Ihr setzt auf virale Verbreitung. Der Blog steht unter der Creativ-Commons-Lizenz, die nicht-kommerzielle Nutzung ist ausdrücklich gewünscht, das Projekt wird laufend fortgeführt. Sind noch weitere ähnliche Aktionen geplant?

Das ist nicht auszuschließen. Es werden in Zukunft sicher noch weitere Ängste auftauchen, denen wir uns stellen müssen. Wir haben aber auch noch eine große Schar kreativer Kollegen in der Hinterhand, die mit gespitztem Stift bereitstehen. Der Blog wird sicher weiterlaufen.

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