Gaston in der Zeitkapsel

Eigentlich verfügte André Franquin, dass nach seinem Tod niemand die Büroabenteuer seiner Gaston-Figur fortsetzen dürfe. Nach einem langen Rechtsstreit hat der Frankokanadier Delaf nun doch ein neues Album veröffentlicht, in dem die Zeit stehengeblieben ist.

Urlaub rum, Gaston wieder da. Als sei nichts gewesen (was ja auch tatsächlich 25 Jahre lang der Fall war) spaziert der chaotische Bürobote wieder in die Redaktion seines Verlages (im Original Dupuis, bei uns Carlsen). Und glücklicherweise ist alles noch da, vom Chemiebaukasten („Der kleine Chemiker“) bis hin zum berüchtigten Gastophon. Und sofort stellen sich die gewohnten Katastrophen wieder ein, zum Leidwesen von Redaktionschef Demel und seinen Mitarbeitern. Denn Gaston sprüht wieder vor brillanten Ideen, die sich bekanntermaßen jedoch als völlig unausgereift erweisen und stets im Desaster enden. Beispiele gefällig? Das mobile Telefon, das an einer Schiene hängt, das E-Bike mit falsch konzipierter Batterie oder das nicht kalte Spezialeis, das Gaston zu einem Spider-Man werden lässt, übrigens inklusive nettem Verweis auf Peter Parker und Tante May.

Ja, da ist er wieder. Nach einigen Problemen (ein Rechtsstreit mit Franquins Tochter, man einigte sich schließlich) veröffentlicht der Frankokanadier Marc Delafontaine, der als Delaf Comics macht, ein neues Album mit der von André Franquin 1957 erdachten Figur, für die dieser damals die Arbeit an „Spirou und Fantasio“ schließlich aufgab. Franquin „betreute“ „Gaston“ bis zu seinem Tod 1997. Dann war Schluss, denn er verfügte, dass nach seinem Ableben kein anderer Autor oder Zeichner seinen Gaston verwenden darf. Jetzt geht es also doch weiter – und gleich vorweg: Man kann beruhigt sein. Delaf stellt sich ganz in die Tradition der Figur und ihres Erfinders, inhaltlich wie optisch, mit viel Liebe zum Detail. Dabei scheint die Zeit stehen geblieben: Man raucht im Büro (Homeoffice ist natürlich noch ein Fremdwort), tippt mit Schreibmaschine, zeichnet mit Stift und Pinsel und Trudel ist noch immer ein Fräulein. Und in Gaston verschossen.

Denn erfreulicherweise bleibt auch bei den Charakteren alles beim Alten. So ist das komplette, bekannte wie beliebte Figuren-Ensemble am Start, von Demel über Hauszeichner Krause, Buchhalter Bolte, Gastons Chaos-Kumpel Alfons, Wachtmeister Knüsel und natürlich Bruchmüller, der noch immer unermüdlich und freilich vergeblich versucht, nicht näher benannte Verträge zu unterschreiben. Alle haben ihre wohl dosierten Auftritte in fast durchweg gelungenen, lustigen Gags und Pointen, stets respektvoll im Stile Franquins, der sogar selbst eine unsichtbare Rolle in diesem Band spielt und heuer seinen 100. Geburtstag feiern würde. Gegen Ende entwickelt sich aus den einzelnen Gags eine Story mit Fantasio als Vertreter von Demel, dazu gesellen sich Spirou und auch das Marsupilami in Gastrollen – und es ist eine Freude, all diese Figuren wieder unter einem Dach zu sehen. So darf Delaf gerne weitermachen.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Delaf: Gaston Band 22: Die Rückkehr eines Chaoten • Aus dem Französischen von Marcel Le Comte • Carlsen, Hamburg 2024 • 48 Seiten • Softcover • 15,00 Euro

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.

Abb. oben © Dupuis/Carlsen