Fesseln der Tradition

In ihrer Mangaserie „Saturn return“ lässt die Zeichnerin Akane Torikai Literatur und Leben ineinander fließen: Die Schriftstellerin Ritsuko Kaji leidet nach ihrem erfolgreichen Romandebüt an einer Schreibhemmung. Als dann auch noch ein Freund aus dem Studium stirbt, bringt sie das völlig außer Fassung. Aus dieser Grundkonstellation entfaltet „Saturn return“ eine präzise Beobachtung über Konvention, Selbstbestimmung und die Rolle der Frau.

Es gibt Druck von allen Seiten! Da ist die Schriftstellerin Ritsuko Kaji die vor ungefähr fünf Jahren ihr Debüt hatte, ein Überraschungserfolg, und deren Verlag nun den Nachfolgeroman drucken will. Damals hatte sie eine Affäre mit ihrem Lektor, den sie später geheiratet hat. Der neue Lektor, ein junger Mann namens Koide, soll sie nun mit engmaschiger Betreuung dazu bringen, den neuen Roman endlich abzugeben. Er hat gerade erst im Verlag angefangen und besitzt noch nicht das Vertrauen seiner Kollegen und Chefs. Und dann bringt sich auch noch ein Studienfreund von Kaji um, sodass sie noch weniger schreiben kann. Zugleich scheint dieser Freund aber auch so etwas wie der Schlüssel zu Kajis Schreibblockade zu sein. Der Redakteur Koide und Kaji werden als Figuren gezeigt, die viel Zeit und Kraft aufbringen, um sich als erfolgreiche Menschen zu inszenieren – sowohl hinsichtlich ihrer Kleidung als auch ihrer Art, mit anderen zu reden.

Die Rolle, die Frauen zugeschrieben wird, ist eher beiläufig erzählt: Etwa, indem es für alle ganz klar ist, dass Kaji den Haushalt übernimmt, nachdem sie geheiratet hat, obwohl sie eigentlich der Star ist. Oder wenn Kaji von einer Schriftstellerkollegin als Femme fatale bezeichnet wird, weil sie ihren Redakteur geheiratet und ihn damit angeblich um seine Karriere gebracht hat. Sie wird also herabgewürdigt für etwas, was als völlig normal empfunden wird, wenn es ein Mann macht.

Rollenmuster haben sich ganz tief eingeprägt. Dass verdeutlicht die Mangaka Akane Torikai auch an Bemerkungen unter den Frauen. So rettet Kaji eine Freundin, die von einer Brücke gefallen ist. Sobald die Gefahr vorüber ist, fällt der Freundin nichts anderes zu sagen ein als: Du hast den Yukata – ein traditionelles japanisches Gewand – falsch gewickelt, das bringt Unglück.

Vieles wirkt traditioneller als bei uns in Europa. Doch weil Akane Torikai mit feinen Andeutungen erzählt, entwickelt „Saturn return“ auch für westliche Leser*innen eine Wucht. Dazu kommt, dass die Mangaka die Frauen von leicht unten zeichnet, sodass sie gar nicht wirken wie Frauen, die sich alles aus der Hand nehmen lassen, sondern wie moderne Frauen, die ihr Leben in die Hand nehmen – und an den eingeübten Rollenmustern hängenbleiben.

Akane Torikai schickt Kaji und Koide auf eine Reise, bei der sie das Geheimnis von Kajis verstorbenem Schulfreund herausfinden wollen. Denn der war nicht nur die Hauptfigur in Kajis erstem Roman, sondern hat ihr vor seinem Tod auch eine Seite daraus geschickt. Auf dieser Reise treffen sie andere Frauen, denen der Schulfreund offenbar gleichzeitig Heiratsanträge gemacht hat, und Männer, mit denen er in einem erotischen Club für Frauen gearbeitet hat.

„Saturn return“ ist ein Genremix aus Liebesgeschichte, Abenteuer und Slice of Life – ein typisches Manga-Genre, in dem Alltagsgeschichten erzählt und vor allem viel japanischer Alltag gezeigt wird. Trotzdem liest sich „Saturn Return“ ungeheuer spannend. Weil Akane Torikai die sehr nah gezeichneten Figurenszenen immer wieder zu großen doppelseitigen Zeichnungen aufreißt. Da ist zum Beispiel die Katze, die sich in der Silvesternacht erschrickt und ein Glas über den Tisch schüttet, gerade als Kaji einer Affäre ihres Schulfreundes sagt, dass sie nicht die Einzige war, die einen Heiratsantrag von ihm bekommen hat. Die Doppelseite darauf zeigt die Skyline einer Stadt, die vom Feuerwerk überstrahlt wird, ganz so, als dürfe man bei all dem Glanz nicht über den Alltag reden.

Mit „Saturn return“ hat Akane Torikai eine ungeheuer starke grafische Dramaturgie gezeichnet, mit der sie die Rollenmuster von Frauen immer wieder neu erforscht. Welche Wege und Erkenntnisse Kaji noch verfolgen wird, bleibt spannend – die Serie ist auf zehn Bände angelegt.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 31.07.2024 auf: radio3 rbb

Akane Torikai: Saturn return. Bd 1-3 • Aus dem Japanischen von Antje Bockel • Carlsen, Hamburg 2024 • 240/208/192 Seiten • Softcover • Je 8,00 Euro

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.