Die dreibändige Sachcomic-Reihe „Es war einmal Amerika“ ist ein eindrucksvoller Ritt durch den Kanon der US-amerikanischen Literaturgeschichte.
Amerikanische Literatur gilt gemeinhin als „bilderreich“, begleitet die sprichwörtliche Geburt einer Nation und blickt trotz ihrer vergleichsweise kurzen Historie auf eine bunte Vielfalt an Stilrichtungen zurück. Dank ungezählter Adaptionen als Kinderbücher, aber vor allem für die Leinwand gehören die Werke von James Fenimore Cooper, Herman Melville, Mark Twain, Edgar Allan Poe, John Steinbeck und Ernest Hemingway quasi zum kollektiven Bewusstsein, was auch die Phantasie der Comickünstler immer wieder anregt. Von den Illustrierten Klassikern bis hin zu Einzeladaptionen führten der Lederstrumpf, Tom Sawyer, Kapitän Ahab, das Haus Usher und viele andere immer wieder auf den Seiten von Comics und Graphic Novels ihr Eigenleben.
„Es war einmal in Amerika“ geht als enorm ambitioniertes Projekt einen anderen Weg. Auf Basis eines Konzeptes von Oliver Gallmeister und François Guérif entwickelt Catherine Mory eine faszinierende Verbindung von historischem Kontext, Lebensgeschichte des Autors (Autorinnen treten mit seltenen Ausnahmen wie Emily Dickinson nicht in Erscheinung) und Inszenierung der jeweiligen Hauptwerke. Zeichnerisch wählt Jean-Baptiste Hostache einen leicht an Funnies angelehnten Stil, der der Gravitas des Stoffes allerdings in jedem Strich gerecht wird.

Den Anfang nimmt das Geschehen mit der Ankunft der Pilgerväter und dem ersten Thanksgiving 1621, das den radikalen Puritanismus der Neuankömmlinge kaum kaschieren kann. Im Unabhängigkeitskrieg bilden sich die ersten auch literarischen Themen heraus: die Suche nach Identität, Streit mit den alten Kolonialherren, die brutale Landnahme und der Kontrast zwischen Stadt und Land. Mit James Fenimore Cooper findet die junge Nation eine erste authentische Stimme. Nach ersten Erfolgen im Stile von Walter Scott mit „Der Spion“ (1821) erfindet der literarische Romantiker mit seiner fünfteiligen Saga um den Lederstrumpf die amerikanische Literatur gewissermaßen im Alleingang. Der Trapper Natty Bumppo durchläuft eine zunehmende Desillusionierung, vom nostalgischen „Last of the Mohicans“ 1826 bis hin zum „Deerslayer“ von 1841 erscheinen die Indianer zwar als menschlich, aber stets distanziert, während die Siedler zunehmend kritisch gesehen werden.
Mit Nathaniel Hawthorne rückt der Puritanismus in seiner gestrengen Ausprägung in den Mittelpunkt. Hawthorne selbst wuchs im erzkonservativen Salem auf, wo Denunzierungen und Hexenjagden mit 19 Hinrichtungen auch von seinen eigenen Vorfahren praktiziert wurden. Zeit seines Lebens litt Hawthorne unter diesen Verstrickungen. In seinen Erzählungen wie etwa den „Twice Told Tales“ von 1857, dreht sich alles um Schuld, Sühne und Verdammnis, was sich in seinem Meisterwerk kristallisiert: Mit dem „Scarlet Letter“ schafft Hawthorne den ersten psychologischen Roman, in dem die junge Hester Prynne mit einem aufgestickten „A“ als Ehebrecherin (Adulteress) markiert wird, wobei sich der heuchlerische Reverend Dimmesdale selbst als Missetäter herausstellt. Auch im „House of the Seven Gables“ liefert Hawthorne 1851 nochmals eine düstere Mär über einen Fluch, der die Jahrhunderte überdauert.

Nicht viel freudiger geht es dann bei Edgar Allan Poe zur Sache: Gezeichnet von einem Leben, das von Armut und Schicksalsschlägen geprägt ist, kreiert der scharfzüngige Literaturkritiker Poe trotz aller wirtschaftlichen Fehlschläge ein monumentales Werk. Mit den „Murders in the Rue Morgue“ und dem „Purloined Letter“ erschafft er eigenhändig die Detektivgeschichte, die Arthur Conan Doyle weiterentwickeln wird. Noch bekannter sind Poes Schauergeschichten, die sprachgewaltig eine beklemmende, erschreckende Stimmung erzeugen, die Poe gerne als das „Arabeske“ bezeichnete. Junge Damen, die unerklärlich erkranken und geisterhaft dahinsiechen, übereilte Begräbnisse, Wiedergänger, die Pest des Roten Todes, „The Tomb of Ligeia“, „The Fall of the House of Usher“ – all das steht unter dem Eindruck von Poes leidvoller Erfahrung mit der Tuberkulose. Kurz nach seinem größten Triumph mit der finstern Schauerballade „Raven“ stürzt Poe völlig ab, mit 40 findet man ihn in den Straßen Baltimores nach einem letzten Alkoholexzess.
Mit Henry Thoreau und Ralph Waldo Emerson treten die Transzendentalisten auf den Plan. Ohne Dogma zelebriert man die „self reliance“ und orientiert sich an der englischen Romantik. 1845 zieht sich Thoreau in eine selbst gebaute Hütte in Walden zurück, lebt dort als Öko-Pionier und entwickelt eine durchaus kritische Haltung zur Sklaverei, während im ebenso benannten Werk das „Nature Writing“ seinen Anfang nimmt. Auf ähnlichen Pfaden wandelt kurz später Walt Whitman, der erste Superstar der amerikanischen Literatur, der von seinen Anhängern wie ein Prophet gefeiert, wegen seiner erotischen Gedichte allerdings ebenso angefeindet wird. Er sieht sich als Dichter der Landschaft Amerikas, seine Poesie in „Song of Myself“ und „Leaves of Grass“ erfasst das direkte Leben und führt nebenbei zu einem handfesten Skandal, aber auch einem Lob von Ralph Waldo Emerson. Als dann Lincoln auf den Plan tritt, wird Whitman zum Patrioten mit abolitionistischen Tendenzen, der den aufflammenden Bürgerkrieg betrübt begleitet, bis er nach der Ermordung Lincolns im April 1865 seinen „Captain! My Captain!“ als Elegie sendet.

Im Gegensatz zu Poe und Hawthorne wächst Herman Melville im Wohlstand auf. Als aber nach Misswirtschaft und Pleiten die Armut droht, verdingt sich der junge Herman auf einem Walfänger. Dort wird ihm die Schinderei schnell zu viel, er setzt sich in Polynesien heimlich ab und landet bei den Typees. Die stellen sich als Kannibalen heraus, die Melville allerdings nicht behelligen. Seine Schilderung dieser Erlebnisse (leicht dramatisiert, aus drei Wochen macht er einen Aufenthalt von drei Monaten), die er mit dem Roman „Typee“ vorlegt, gerät zum Sensationserfolg. Danach landet Melville allerdings Flops, worauf er sich seinem epochalen Hauptwerk zuwendet. Die Jagd nach Moby Dick, dem weißen Pottwal, avanciert zu einem Klassiker der Weltliteratur. Der Erzähler Ismael berichtet vom zerstörerischen, für den Calvinisten auch gotteslästernden Kapitän Ahab, der den Wal bis „down into perdition’s flames“ hetzt. Der Kannibale Queequeg schnitzt seinen Sarg, auf dem am Ende der Erzähler als einziger Überlebender davonschwimmt.
Die Isolation Emily Dickinsons, die Lebensfreude Mark Twains, die feinen Gesellschaftsstudien von Henry James und der Goldrausch in der Feder von Jack London bilden die weiteren Stationen dieser monumentalen Fahrt durch die Literaturgeschichte, die zentrale Werke gekonnt inszeniert und vor allem dadurch überzeugt, dass der historische Kontext immer im Fokus steht. Am Ende jedes Kapitels steht ein Stammbaum, der die Nachwirkung des Autors ins Bild setzt. Spannender kann man Literatur nicht erlebbar machen. Band 2 ist kürzlich erschienen und beschäftigt sich mit den Werken der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – darunter Henry Miller („Tropic of Cancer“), Dashiell Hammett („The Maltese Falcon“), F. Scott Fitzgerald („The Great Gatsby“) und John Steinbeck („Grapes of Wrath“) -, bevor Band 3 die Reihe beschließt.
Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.
Jean-Baptiste Hostache (Zeichner), Catherine Mory, Oliver Gallmeister, François Guérif (Autor*innen): Es war einmal Amerika. Band 1: Das 19. Jahrhundert • Aus dem Französischen von Edmund Jacoby • Jacoby & Stuart, Berlin 2025 • 224 Seiten • Hardcover • 32 Euro
Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.

