In Patrick Bonatos Graphic Novel „Toubab im Senegal“ reist ein Comiczeichner zum ersten Mal in den Senegal und hat allerlei diffuse Ängste im Gepäck.
Nicht zufällig erinnert der Titel von Patrick Bonatos „Toubab im Senegal“ an den mittlerweile fast 100 Jahre alten Comic „Tim im Kongo“ von Hergé, 1930 erstmals erschienen. In beiden Fällen macht sich ein weißer Europäer in Richtung Afrika auf, jeweils ausgestattet mit einem künstlerischen Auftrag: Toubab mit einem Stipendium in der Tasche, um an einem Comic zu arbeiten, Tim, um als Reporter über die dortige Flora und Fauna zu berichten. Hier enden jedoch die Gemeinsamkeiten, Bonatos Album wirkt wie ein Gegenmodell zu Hergé: Während Tim selbstbewusst das Land betritt, nebenbei im Auftrag des belgischen Kolonialsystems amerikanische Gangster zur Strecke bringt und zum Idol der missionierten Jugend im Kongo aufsteigt, ist Toubab, der eigentlich Patrick heißt (der Comic trägt autofiktionale Züge), ein verunsicherter Gast, der sich in gebrochenem Französisch durchzuschlagen versucht. Beide Protagonisten tragen als Figuren kaum individuelle optische Merkmale, sie sind beide blond, wirken alterslos und sind sehr reduziert gezeichnet; während Tim dadurch als zentrale Identifikationsfigur dienen soll, lädt der schwitzende und etwas steife Toubab weniger zur Identifikation ein. Er gerät immer wieder in unangenehme Konflikte, da er die Gepflogenheiten des Landes noch nicht kennt, was ihn überfordert und verunsichert, sei es im Umgang mit Straßenhändler*innen, bei einem Trommelkurs oder an Familienfesten.
„Toubab“ bedeute „weiß“, wird Patrick erklärt. „Bevor die Weißen kamen, haben wir das Wort für etwas anderes gebraucht, für die weißen Affen.“ So etwas wäre Tim wohl kaum passiert, suchte er doch stets zu beweisen, dass er ein Vertreter des überlegenen Christentums und des technischen sowie kulturellen Fortschritts ist. Seine Gegenüber dagegen, Anhänger*innen primitiver Naturreligionen, trugen keine individuellen Gesichtszüge, ihre Gesichter glichen einander wie maschinell gefertigte Masken. Bonato dreht auch diese Darstellung um: Während die wenigen Weißen in „Toubab im Senegal“ mit ihren übergroßen Brillen und fehlenden individuellen Eigenheiten wie Karikaturen wirken, sind die Senegales*innen mit sehr viel Freude am Detail gezeichnet, als Individuen, die der Geschichte Leben geben, während sie bei Hergé stets nur als Kulisse dienten, vor der Tim sich entfalten konnte.
„Toubab im Senegal“ ist aber selbstverständlich mehr als nur eine Dekonstruktion von Hergés kolonialem Blick: Es ist eine selbstironische Auseinandersetzung mit dem Gefühl der Fremdheit und ein mit liebevollen Details gezeichneter Einblick in einen unbekannten Alltag.
Dieser Beitrag erschien zuerst in: Strapazin #145
Patrick Bonato: Toubab im Senegal • Luftschacht Verlag, Wien 2021 • 108 Seiten • Hardcover • 24 Euro
Jonas Engelmann ist studierter Literaturwissenschaftler, ungelernter Lektor und freier Journalist. Er hat über „Gesellschaftsbilder im Comic“ promoviert, schreibt über Filme, Musik, Literatur, Feminismus, jüdische Identität und Luftmenschen für Jungle World, Konkret, Zonic, Missy Magazine und andere, ist Mitinhaber des Ventil Verlags und Co-Herausgeber des testcard-Magazins. Zuletzt ist von ihm die Textsammlung „Nach Strich und Rahmen“ erschienen.

