Als Anfang diesen Jahres (es ist hier noch das Jahr 2018 gemeint) „I Kill Giants“ in den US-amerikanischen Kinos anlief, fielen die Kritiken eher gemischt aus, und auch am Einspielergebnis gemessen war der Film sicherlich kein durchschlagender Erfolg. In Deutschland verzichtete man gleich ganz auf einen Kinostart des Coming-of-Age-Fantasy-Filmdramas von Anders Walter und beschränkte sich auf die Veröffentlichung als DVD/Blu-ray. Der Regisseur muss sich hier wohl an die eigene Nase fassen, denn die von ihm adaptierte grafisch-literarische Vorlage wurde seit ihrem erstmaligen Erscheinen mit zahlreichen Comic- und Literaturpreisen ausgezeichnet. Und auch nach meinem Dafürhalten ist der auch in deutscher Übersetzung erhältliche Comic nur eines: ausgezeichnet.
Es kann zwar zunächst passieren, dass man für die junge Protagonistin des Buches namens Barbara Thorson wegen ihrer Dickköpfigkeit, notorischen Eigensinnigkeit und herausgestellten Unfreundlichkeit kaum ein Fünkchen Sympathie aufzubringen vermag. Es wäre aber genauso gut möglich, das elfjährige Mädchen für seine Unangepasstheit, seinen Kampfeswillen und sein Durchsetzungsvermögen zu feiern und als empowerndes Vorbild für alle adoleszenten Leser*innen (grafischer) Literatur zu sehen. Beides wäre aber vorschnell geurteilt, denn Barbara ist – das stellt sich mit zunehmender Lektüre heraus – derzeit wohl nicht sie selbst. Der Grund dafür lautet, dass sie einen Kampf mit sich und der Welt austrägt, der im Unterschied zu den Konflikten und Problemen ihren frühpubertierenden Altersgenoss*innen eine schier existenzielle Schwere in sich trägt.Der US-amerikanische Comicautor Joe Kelly und der spanische Zeichner José María Ken Niimura del Barrio haben mit der Geschichte eines Mädchens, das sich in Welten voller Elfen und Riesen phantasiert und die Brücken zu seiner sozialen Umwelt abzubrechen gewillt ist, eine grandiose grafische Erzählung erschaffen, die tief in die Abgründe einer verängstigen wie wütenden Kinderseele hinabtaucht. Die Comicmacher bringen dabei je ein Stilelement ein, das auch als jeweils ganz persönliche Signatur verstanden werden kann. Das Motiv von einem Menschen, der über sich hinauswachsen muss, um die ihn an Größe und Stärke überlegenen Feinde zu besiegen, aber auch die actionreiche Dynamik der Handlung erinnern daran, dass Autor Kelly in der Regel Geschichten für Superheldencomics entwirft. Dass die überbetonte Bewegung und überpräsente Action in solchen Comics eigentlich auf einen grundsätzlichen Stillstand verweisen, wird auch und gerade in dieser Geschichte, in der es um Abwehr und Verleugnung von etwas Unerträglichen geht, wieder einmal offenkundig. Die Umtriebigkeit der jungen Heldin, ihre Rastlosigkeit und ihre donnernde Wut sind eigentlich Symptome einer (inneren) Verharrung und Ausdruck ihrer Unfähigkeit, das längst unvermeidlich Gewordene zu akzeptieren.
Aufseiten der grafischen Gestaltung der Erzählung besann sich Illustrator Ken Niimura offenbar seiner teilweisen japanischen Herkunft und zeichnete die Figuren im schwarz-weißen Mangastil. Dies und die visuell eingebauten Cosplay- und Rollenspielelemente verleihen der Geschichte einen antinaturalistischen Touch und geben dem phantasmatischen Schirm, mit dem Barbara die Realität verzweifelt abzuwehren versucht, eine fulminant ausdrucksstarke Gestalt. Darüber hinaus gelingt es dem Zeichner, die Panelrasterung – sprich die Anordnung der Einzelbilder auf einer Seite – rhetorisch zu funktionalisieren: Umso mehr sich Barbara in ihre teils albtraumhaften Halluzinationen verstrickt, umso unruhiger gerät auch der Seitenaufbau, die Panels geraten in Schieflage, bedrängen und überlagern sich. Mit der Katharsis und dem Sieg des Realitätsprinzips ändert sich das. Die Rasterung wird ruhiger, einheitlicher, fast monoton und unterstützt den Umstand, dass die Protagonistin der erzählten Welt wieder sicheren Boden unter den Füßen hat. Und das ist wiederum die notwendige Grundlage für die gelingende Bewältigung von Abschied und Trauer. Barbaras nächster Kampf, aber ein wesentlich aussichtsreicherer.
Diese Kritik erschien zuerst am 26.12.2018 auf: Taz-[ˈkɒmik_blɔg]
Mario Zehe (*1978) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Lehrer für Geschichte, Politik & Wirtschaft an einer Freinet-Schule bei Quedlinburg (Harz). Seit vielen Jahren liest er Comics aller Art, redet und schreibt gern darüber, u. a. im [ˈkɒmik_blɔg] der Taz und für den Freitag.