Kriegsbilder – „Vom Winde verweht“

Der französische Comiczeichner Pierre Alary hat „Vom Winde verweht“ als zweibändige Graphic Novel adaptiert – mit bemerkenswertem Ergebnis, das ohne den Rassismus der Vorlage(n) auskommt.

„Vom Winde verweht“ ist einer der großen Bestseller der US-amerikanischen Literatur; auch die Verfilmung gilt als hervorragend. Ich las das Buch in den frühen 80er-Jahren, den Film sah ich auch in jenem Jahrzehnt. Meine Erinnerungen sind also nicht mehr sonderlich frisch, trotzdem sind beide Varianten der Geschichte in meinem Gedächtnis stark verankert.

Man muss klar sagen: Sowohl der Roman als auch der Film weisen rassistische Stereotype und Darstellungen auf. Andererseits spielt die Geschichte in einer extrem rassistischen Zeit, und das lässt sich nicht ganz voneinander lösen. Interessant fand ich es deshalb, auch unter diesem Aspekt die Comic-Version zu lesen.

Der französische Comic-Künstler Pierre Alary setzte „Vom Winde verweht“ in eine packende Graphic Novel um. Beide Teile sind mittlerweile beim Splitter Verlag erschienen. Alary ist kein Unbekannter: Mit „Moby Dick“ nahm er bereits einen anderen Literatur-Klassiker für einen Comic als Basis. Darüber hinaus war er für eine großartige „Conan“-Geschichte sowie eigenständige Comics („Don Vega“, „Silas Corey“, „SinBad“) verantwortlich. Der Mann versteht also sein Geschäft.

Tatsächlich schafft es Alary, die umfangreiche Vorlage so zu straffen und zu bearbeiten, dass viele der ausufernden Beschreibungen wegfallen und die rassistischen Darstellungen völlig fehlen. Er destilliert gewissermaßen die Geschichte aus dem Epos heraus, konzentriert sich auf seine Hauptfigur und deren Schicksal. Scarlett O’Hara wird bei ihm fast schon lebendig; ihr Verhalten und ihre Taten bleiben glaubhaft, auch wenn sie manchmal schwer nachvollziehbar sind.

Zur eigentlichen Handlung: Am Vorabend des amerikanischen Bürgerkriegs ist Scarlett die verwöhnte Tochter eines Plantagenbesitzers in Georgia. Schwarze arbeiten auf den Feldern, beaufsichtigt von weißen Männern mit Peitschen – doch davon bekommt Scarlett kaum etwas mit. Sie hat eher mit den schwarzen Sklaven zu tun, die im Haushalt arbeiten und ihr bei allen Dingen des täglichen Lebens helfen. Das gibt dem Mädchen den Freiraum, sich für junge Männer zu interessieren. Doch Ashley, die Liebe ihres Lebens, heiratet eine andere Frau.

Vor dem Hintergrund des fürchterlichen Krieges, dessen Auswirkungen immer wieder zu spüren sind, vollzieht sich Scarletts Schicksal. Sie heiratet, wird erst zur Witwe, dann zur Mutter, sie trifft den Blockadebrecher Rhett, und sie versucht, in den Wirren der Nachkriegszeit ihre Plantage zu behalten. Dabei verändert sie sich; in einer starken Szene sieht man sie Seite an Seite mit ehemaligen Sklaven auf den Feldern arbeiten.

Allein daran lässt sich beispielhaft erkennen, wie Alary die Klippen der Rassismen der Vorlagen umschifft. Dem Autor gelingt es, die Essenz des ursprünglichen Plots zu übernehmen und in eine packende Geschichte zu verwandeln. Man folgt der durchaus anstrengenden Hauptfigur, man leidet und fühlt mir ihr; man möchte wissen, wie es mit ihr weitergeht.

Die Illustration passt dazu. Alary stellt das Leben in den Südstaaten in den Jahren 1860 bis 1864 glaubhaft dar. Man sieht die Bälle der wohlhabenden Reichen, später dann die Szenen des Krieges. Der Künstler versteht sich auf die Darstellung überfüllter Straßen und fliehender Menschen; er kann Gesichter, Häuser und Landschaften gleichermaßen gut darstellen. Die Bilder sind so realitätsnah, wie das möglich ist, die Farbgebung passt sich den klaren Linien an. Wer klassische frankobelgische Comics mag, wird Alarys Stil schätzen. Und wer den Roman oder den Film kennt, wird mit Spannung darauf achten, wie Alary die Original-Geschichte rafft und neu interpretiert – man bekommt tatsächlich eine andere Sicht auf den Klassiker.

Dieser Text erschien zuerst auf: perry-rhodan.net

Pierre Alary: Vom Winde verweht Band 1 & 2 • Aus dem Französischen von Sophie Beese und Hanna Reininger • Splitter Verlag, Bielefeld 2023/2025 • 144/152 Seiten • Hardcover • je 29,80 Euro

Klaus N. Frick ist Chefredakteur der Science-Fiction-Heftroman-Serie „Perry Rhodan“ sowie Autor zahlreicher SF-Romane und -Kurzgeschichten.