Die Wahrheit ist irgendwo im südlichen Afrika

namibiaNamibia 1949. In der ehemaligen deutschen Kolonie gehen merkwürdige Dinge vor sich. Die Maisfelder werden von überdimensionierten Raupen kahl gefressen, und zu allem Überfluss meint ein Reporter auch noch, an einem dieser Felder ein Foto von Hermann Göring geschossen zu haben. Das ruft den britischen Geheimdienst auf den Plan, denn Hitlers Reichsmarschall hatte sich bekanntlich 1946 in seiner Zelle in Nürnberg das Leben genommen. Und während man in Europa der Frage nachgeht, was eigentlich mit Görings Leiche passierte, macht sich die Agentin Kathy Austin nach Afrika auf, um der Sache vor Ort auf den Grund zu gehen.

Kaum in Lüderitz gelandet, wird sie von ihrem Kollegen Bowley in Empfang genommen, der nicht ohne Grund im südlichen Afrika Dienst tut, und der keine hohe Meinung von Frauen und Schwarzen hat, was die Zusammenarbeit der beiden ziemlich erschwert. Denn Austin ist eine verdammt kompetente Agentin, alles andere als blöd und ziemlich weltoffen.

Der 1944 in Brasilien geborene Luis Eduardo de Oliveira, der als Autor und Zeichner unter seinen Initialen Leo firmiert, ist wohl am bekanntesten für seinen umfangreichen Zyklus „Die Welten von Aldebaran“, in dem er seit 1994 über das Leben von menschlichen Kolonisten im All schreibt, und der gerade vom Bielefelder Splitter-Verlag neu herausgegeben wird. Wesentlich erdverbundener kommen da vielleicht zwangsläufig die Abenteuer der britischen Agentin Kathy Austin daher, die kurz nach dem 2. Weltkrieg in Afrika im Einsatz ist, deren Erlebnisse aber kaum weniger fantastisch sind. Denn bei ihren Missionen wird sie stets mit Dingen konfrontiert, die nicht von dieser Welt sind. Das macht sie zur Vorläuferin von Dana Scully, die allerdings wunderbar ohne einen Fox Mulder zurechtkommt.

Für die Abenteuer von Kathy Austin hat sich Leo die Unterstützung des französischen Routiniers Rodolphe (d.i. Rodolphe Daniel Jacquette) geholt, der als Co-Autor fungiert. Gemeinsam erzählen sie „Namibia“ mit bemerkenswerter Ruhe und Sicherheit, mit einem guten Gespür für Charaktere und Szenen. Da gibt es keinen Zwang zu Action und Überwältigung, stattdessen steuert man den Leser ganz entspannt und souverän durch die Geschichte, die in jeder Sekunde fesselt. Abgehangen, könnte man das nennen. Da wissen zwei einfach, wie es geht.

Den ersten Zyklus, „Kenya“ (5 Bände, 2001-2009), hat Leo noch selbst gezeichnet, während dieser zweite, ebenfalls 5-bändige und vollkommen für sich stehende Zyklus  (2010-2105) vom Belgier Bertrand Marchal grafisch inszeniert wurde. Was der Sache ausgesprochen gut tut, denn Marchal ist stilistisch zwar sehr ähnlich unterwegs wie sein Kollege, aber eine Spur dynamischer und lebendiger.

Am Schluss der 1. Episode möchte man am liebsten gleich weiterlesen. Denn der Band endet mit einem ziemlich irren Moment, der dringend Aufklärung bedarf. Da ist es doch schön zu wissen, dass Splitter alle fünf Bände der Serie in monatlichen Abständen veröffentlicht. Die Wahrheit ist also nicht nur irgendwo im südlichen Afrika, sondern befindet sich (zeitlich) sogar in Griffweite.

Rodolphe, Leo, Marchal: Namibia 1. Splitter, Bielefeld 2016. 48 Seiten, € 14,80

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