Der Comic-Künstler in der Krise – „Weiße Felder“

In seinem Graphic-Novel-Debüt seziert Genre-Szenarist Sylvain Runberg das Comicverlagsgewerbe.

Vincent Marbier könnte sich glücklich schätzen. Sein neuester Comic, der Auftakt der großangelegten Heroic-Fantasy-Serie „Der Pfad der Schatten“, hat sich mit über 125.000 verkauften Exemplaren in Frankreich zu einem echten Überraschungshit entwickelt. Ob Marbiers Autoren-Kollege Olivier Moral, sein Verlagshaus Èditions Rivage oder die Buchhändler – eigentlich ist die gesamte Branche zufrieden, Instant-Bestseller sind rar geworden. Nach einigen kostspieligen Veröffentlichungen, die nicht so recht zünden wollten, steht vor allen Dingen seinem Verlag das Wasser bis zum Hals. Eine schnelle Fortsetzung verspricht volle Kassen. Allein: Marbier ist der Aufgabe nicht gewachsen. Von der raschen Popularität überrumpelt und nach einem Dutzend unbeachteten Veröffentlichungen im eher künstlerisch orientierten Segment vom großen Erfolg dieser spontanen Auftragsarbeit auch durchaus narzisstisch gekränkt, verliert er sich in Prokrastinationstechniken, Lügen und Verdrängung.

Dem französische Autor Sylvain Runberg, vornehmlich bekannt durch Genre-Brocken wie „Warship Jolly Roger“, „Orbital“, „Konungar“ oder „Reconquista“ (allesamt bei Splitter erschienen), ist die Comicbranche bestens vertraut. Seine erste Zusammenarbeit mit Zeichner Olivier Martin an „Weiße Felder“ ist zugleich auch sein Debüt im realistisch geerdeten Strang der Comicerzählungen. Ihre Graphic Novel ist eine kleine Abrechnung mit den Strukturen des Verlagsgeschäfts, ohne deswegen jedoch in Bitterkeit zu verfallen. Das Sujet Künstler-in-der-Krise ist im Comic geläufig: Die Arbeiten von Art Spiegelman, Joe Matt, Seth oder Lewis Trondheim enthalten immer wieder Spuren autobiografischer Werkskritik. Runberg fügt der künstlerischen Selbstzerfleischung die Geschäftssicht hinzu und verlässt dafür auch als Erzähler die Perspektive seines Alter Ego Marbier. Das ist manchmal kalt, gelegentlich bizarr, dann wieder ausgesprochen komisch: Wenn sich der opportunistische Autorenkollege insgeheim mit dem Verlagschef trifft, um Marbiers Nachfolger zu bestimmen; wenn selbst Marbiers Notlüge, die nie gezeichneten ersten Seiten des Folgebandes im Zug verloren zu haben, noch zur Presse-Schnitzeljagd für Fans eignet; oder wenn Zeichner Olivier Martin realen Zeichner- und Autorenkollegen wie Kris (Mutter Krieg), Emmanuel Lepage (Weiß wie der Mond, Ein Frühling in Tschernobyl) und sogar sich selbst einen Gastauftritt spendiert. Schließlich wendet sich Marbier von der Sicherheit des Bestseller-Geschäfts ab und arbeitet zukünftig an Stoffen, die ihm am Herzen liegen. Dass selbst eine solche profane Geste in der Schlusspointe nicht ohne Marketingunterstützung vollzogen wird, darf man wohl als launigen Kommentar zum ewigen Konflikt zwischen Kunst und Kommerz verstehen. Der „Blick hinter die Kulissen der Welt des Comics“, den der Klappentext verspricht, ist jedenfalls nicht getrübt.

Sylvain Runberg, Olivier Martin: Weiße Felder. Splitter, Bielefeld 2015. 88 Seiten. 17,80 Euro